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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Lukas (Lranachs Holzschnitte und Rupferftiche

sollte (sie ist übrigens noch nicht ausgestorben, nud was ist die moderne Gro߬
stadtprotzerei im Grunde anders), ist doch kaum denkbar, immer werden die
modernen ausgleichenden Mächte den trennenden die Wage zu halten imstande
sein. Oder glaubt man, daß die deutsche Jugend in Zukunft wieder zu Hause
bleiben werde? Jedes deutsche Land hat seine eignen Schönheiten, seine be¬
sondre Größe oder doch Bedeutung, und indem uns durch die Pflege der
Volks- und Heimatskunde überall die Möglichkeit gegeben wird, auch diese
kennen zu lernen, wird gewiß keine Gleichgiltigkeit gegen die eigne Heimat,
aber Respekt vor jedem deutschen Volkstum Platz greifen nud damit wieder
die Liebe zur großen Heimat, zum Vnterlaude, dessen Kinder wir ja alle sind.




Lukas (üranachs Holzschnitte und Kupferstiche

on den drei großen deutschen Malern des fünfzehnten und sech¬
zehnten Jahrhunderts: Dürer, Cranach und Holbein ist Cranach
bis jetzt von der Kunstwissenschaft und ihrer unentbehrlich ge-
wordnen Gehilfin, der photomechanischen Technik, am stiefmütter¬
lichsten behandelt worden. Der Zeitfolge nach der zweite, fast
gleichaltrig mit Dürer -- Dürer geboren 1471, Cranach geboren 1472, Holbein
geboren 1497 --, nimmt Cranach als Künstler unzweifelhaft die dritte Stelle
ein. Aber wie weit steht er hinter den beiden andern? Wirklich so weit,
wie in den Kreisen unsrer Gebildete" gewöhnlich geglaubt wird, die von
Cranach nnr mit vornehmem Achselzucken reden? Wer kennt ihn deun? Wer
hat denn eine größere Reihe seiner eigenhändigen Werke gesehen? Die meisten
beurteilen ihn ja nur nach einer kleinen Anzahl von Bildern, die ihnen hie und
da auf der Reise in Museen und Kirchen begegnet sind. Auf sächsischem Boden
- sächsisch im geschichtlichen Sinne -- kann man ja kaum eine Dorfkirche
betreten, wo einem nicht ein untergeordnetes Bildnis Luthers oder eine hand¬
werksmäßig gemalte biblische Szene als "echter Cranach" gezeigt würde! Eine
lesbare, auf der Höhe der Forschung stehende und zugleich gut und reich
illustrirte Biographie, wie wir sie von Dürer in dem Buche Thausings, von
Holbein in dem Buche Woltmanns haben, fehlt noch für Cranach. Das drei¬
bändige Werk von Schuchardt (Leipzig, 1851 bis 1871) ist zwar eine reichhaltige
und zuverlässige Materialsammlung, die immer ihren Wert behalten wird, aber
keine Biographie. Das Buch von Lindau (Leipzig, 1883) ist ein gutgemeinter


Grenzboten IV 1895 "6
Lukas (Lranachs Holzschnitte und Rupferftiche

sollte (sie ist übrigens noch nicht ausgestorben, nud was ist die moderne Gro߬
stadtprotzerei im Grunde anders), ist doch kaum denkbar, immer werden die
modernen ausgleichenden Mächte den trennenden die Wage zu halten imstande
sein. Oder glaubt man, daß die deutsche Jugend in Zukunft wieder zu Hause
bleiben werde? Jedes deutsche Land hat seine eignen Schönheiten, seine be¬
sondre Größe oder doch Bedeutung, und indem uns durch die Pflege der
Volks- und Heimatskunde überall die Möglichkeit gegeben wird, auch diese
kennen zu lernen, wird gewiß keine Gleichgiltigkeit gegen die eigne Heimat,
aber Respekt vor jedem deutschen Volkstum Platz greifen nud damit wieder
die Liebe zur großen Heimat, zum Vnterlaude, dessen Kinder wir ja alle sind.




Lukas (üranachs Holzschnitte und Kupferstiche

on den drei großen deutschen Malern des fünfzehnten und sech¬
zehnten Jahrhunderts: Dürer, Cranach und Holbein ist Cranach
bis jetzt von der Kunstwissenschaft und ihrer unentbehrlich ge-
wordnen Gehilfin, der photomechanischen Technik, am stiefmütter¬
lichsten behandelt worden. Der Zeitfolge nach der zweite, fast
gleichaltrig mit Dürer — Dürer geboren 1471, Cranach geboren 1472, Holbein
geboren 1497 —, nimmt Cranach als Künstler unzweifelhaft die dritte Stelle
ein. Aber wie weit steht er hinter den beiden andern? Wirklich so weit,
wie in den Kreisen unsrer Gebildete» gewöhnlich geglaubt wird, die von
Cranach nnr mit vornehmem Achselzucken reden? Wer kennt ihn deun? Wer
hat denn eine größere Reihe seiner eigenhändigen Werke gesehen? Die meisten
beurteilen ihn ja nur nach einer kleinen Anzahl von Bildern, die ihnen hie und
da auf der Reise in Museen und Kirchen begegnet sind. Auf sächsischem Boden
- sächsisch im geschichtlichen Sinne — kann man ja kaum eine Dorfkirche
betreten, wo einem nicht ein untergeordnetes Bildnis Luthers oder eine hand¬
werksmäßig gemalte biblische Szene als „echter Cranach" gezeigt würde! Eine
lesbare, auf der Höhe der Forschung stehende und zugleich gut und reich
illustrirte Biographie, wie wir sie von Dürer in dem Buche Thausings, von
Holbein in dem Buche Woltmanns haben, fehlt noch für Cranach. Das drei¬
bändige Werk von Schuchardt (Leipzig, 1851 bis 1871) ist zwar eine reichhaltige
und zuverlässige Materialsammlung, die immer ihren Wert behalten wird, aber
keine Biographie. Das Buch von Lindau (Leipzig, 1883) ist ein gutgemeinter


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[0289] Lukas (Lranachs Holzschnitte und Rupferftiche sollte (sie ist übrigens noch nicht ausgestorben, nud was ist die moderne Gro߬ stadtprotzerei im Grunde anders), ist doch kaum denkbar, immer werden die modernen ausgleichenden Mächte den trennenden die Wage zu halten imstande sein. Oder glaubt man, daß die deutsche Jugend in Zukunft wieder zu Hause bleiben werde? Jedes deutsche Land hat seine eignen Schönheiten, seine be¬ sondre Größe oder doch Bedeutung, und indem uns durch die Pflege der Volks- und Heimatskunde überall die Möglichkeit gegeben wird, auch diese kennen zu lernen, wird gewiß keine Gleichgiltigkeit gegen die eigne Heimat, aber Respekt vor jedem deutschen Volkstum Platz greifen nud damit wieder die Liebe zur großen Heimat, zum Vnterlaude, dessen Kinder wir ja alle sind. Lukas (üranachs Holzschnitte und Kupferstiche on den drei großen deutschen Malern des fünfzehnten und sech¬ zehnten Jahrhunderts: Dürer, Cranach und Holbein ist Cranach bis jetzt von der Kunstwissenschaft und ihrer unentbehrlich ge- wordnen Gehilfin, der photomechanischen Technik, am stiefmütter¬ lichsten behandelt worden. Der Zeitfolge nach der zweite, fast gleichaltrig mit Dürer — Dürer geboren 1471, Cranach geboren 1472, Holbein geboren 1497 —, nimmt Cranach als Künstler unzweifelhaft die dritte Stelle ein. Aber wie weit steht er hinter den beiden andern? Wirklich so weit, wie in den Kreisen unsrer Gebildete» gewöhnlich geglaubt wird, die von Cranach nnr mit vornehmem Achselzucken reden? Wer kennt ihn deun? Wer hat denn eine größere Reihe seiner eigenhändigen Werke gesehen? Die meisten beurteilen ihn ja nur nach einer kleinen Anzahl von Bildern, die ihnen hie und da auf der Reise in Museen und Kirchen begegnet sind. Auf sächsischem Boden - sächsisch im geschichtlichen Sinne — kann man ja kaum eine Dorfkirche betreten, wo einem nicht ein untergeordnetes Bildnis Luthers oder eine hand¬ werksmäßig gemalte biblische Szene als „echter Cranach" gezeigt würde! Eine lesbare, auf der Höhe der Forschung stehende und zugleich gut und reich illustrirte Biographie, wie wir sie von Dürer in dem Buche Thausings, von Holbein in dem Buche Woltmanns haben, fehlt noch für Cranach. Das drei¬ bändige Werk von Schuchardt (Leipzig, 1851 bis 1871) ist zwar eine reichhaltige und zuverlässige Materialsammlung, die immer ihren Wert behalten wird, aber keine Biographie. Das Buch von Lindau (Leipzig, 1883) ist ein gutgemeinter Grenzboten IV 1895 »6

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/289>, abgerufen am 22.05.2024.