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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Gustav zu putlitz

aß das Glück ohne Wahl und Billigkeit seine Gaben verteilt,
Pcitroklus begraben liegt, und Thersites zurückkommt, wissen wir
und würden es auch ohne die klassische Fassung in Schillers
"Siegesfest" jeden Tag neu erfahren. In tausendfältiger Gestalt
wiederholt sich die Ungleichheit des Glücks, und keiner vermag
das innere Gesetz zu ergründen, das hierbei waltet. Es ist wohlfeil, wenn die
Würfel auf dem Tische liegen, zu beweisen, daß sie gerade so und nicht anders
fallen mußten, wohlfeil, Erfolg und Mißerfolg auf Notwendigkeiten zurück¬
zuführen. Wie viele hervorragende Männer der Litteratur, darunter auch solche,
die eine tiefe und bleibende Wirkung auf ihr Volk geübt haben, sind ohne ein
würdiges litterarisches Denkmal geblieben! Und andre, deren Bedeutung dem
Wert und der schöpferischen Kraft jener Hervorragenden nicht entfernt gleich¬
kommt, werden in liebevollen und wohlausgeführten Bildern dem Gedächtnis
der Nachwelt überliefert. Solcher Betrachtungen kann man sich nicht erwehren,
wenn man eine Biographie des liebenswürdigen Lustspiel- und Schauspiel¬
dichters Gustav zu Putlitz in drei stattlichen Bänden vor sich sieht,^) inner¬
halb dieser breiten, aber lnhalt- und lebensvollen Biographie auf Briefe unsers
größten historischen Nomandichters Wilibald Alexis stößt und sich vergegen¬
wärtigt, daß der Dichter des "Cabanis," der "Hosen des Herrn von Bredow"
und des "Isegrim" bis zur Stunde ohne den bescheidenste" Denkstein, ohne
einen biographischen Aufsatz geblieben ist, der über das Maß eines Konver¬
sationslexikonartikels hinaufginge. Eine gewisse Art der Weltbetrachtung wird
sagen, daß sich auch in dieser Ungleichheit im Tode die ungerechte Ver¬
teilung der Lebensgüter zwischen zwei Männern fortsetze, die noch dazu nahe
und langjährige Freunde gewesen sind; sie wird betonen, daß, wie dem
jüngern der beiden Freunde die Abstammung von einer alten Herrenfamilie
der brandenburgischen Mark, der sichere Besitz unverlierbarer Erbgüter, das
reiche Behagen und die kostbare Muße eines Landedelmanns, die gebietende
Stellung als Leiter zweier Hofbühnen geschenkt, dem andern, ältern, die über¬
mäßige Arbeit des fortgesetzten litterarischen Erwerbs auferlegt war, der er die



*) Gustav zu Putlitz. Ein Lebensbild. Aus Briefen zusammengestellt und ergänzt
von Elisabeth zu Putlitz geb. Gräfin Königsmarck. Drei Bände. Berlin, Alexander
Duncker, 1894 bli- 189ö.


Gustav zu putlitz

aß das Glück ohne Wahl und Billigkeit seine Gaben verteilt,
Pcitroklus begraben liegt, und Thersites zurückkommt, wissen wir
und würden es auch ohne die klassische Fassung in Schillers
„Siegesfest" jeden Tag neu erfahren. In tausendfältiger Gestalt
wiederholt sich die Ungleichheit des Glücks, und keiner vermag
das innere Gesetz zu ergründen, das hierbei waltet. Es ist wohlfeil, wenn die
Würfel auf dem Tische liegen, zu beweisen, daß sie gerade so und nicht anders
fallen mußten, wohlfeil, Erfolg und Mißerfolg auf Notwendigkeiten zurück¬
zuführen. Wie viele hervorragende Männer der Litteratur, darunter auch solche,
die eine tiefe und bleibende Wirkung auf ihr Volk geübt haben, sind ohne ein
würdiges litterarisches Denkmal geblieben! Und andre, deren Bedeutung dem
Wert und der schöpferischen Kraft jener Hervorragenden nicht entfernt gleich¬
kommt, werden in liebevollen und wohlausgeführten Bildern dem Gedächtnis
der Nachwelt überliefert. Solcher Betrachtungen kann man sich nicht erwehren,
wenn man eine Biographie des liebenswürdigen Lustspiel- und Schauspiel¬
dichters Gustav zu Putlitz in drei stattlichen Bänden vor sich sieht,^) inner¬
halb dieser breiten, aber lnhalt- und lebensvollen Biographie auf Briefe unsers
größten historischen Nomandichters Wilibald Alexis stößt und sich vergegen¬
wärtigt, daß der Dichter des „Cabanis," der „Hosen des Herrn von Bredow"
und des „Isegrim" bis zur Stunde ohne den bescheidenste» Denkstein, ohne
einen biographischen Aufsatz geblieben ist, der über das Maß eines Konver¬
sationslexikonartikels hinaufginge. Eine gewisse Art der Weltbetrachtung wird
sagen, daß sich auch in dieser Ungleichheit im Tode die ungerechte Ver¬
teilung der Lebensgüter zwischen zwei Männern fortsetze, die noch dazu nahe
und langjährige Freunde gewesen sind; sie wird betonen, daß, wie dem
jüngern der beiden Freunde die Abstammung von einer alten Herrenfamilie
der brandenburgischen Mark, der sichere Besitz unverlierbarer Erbgüter, das
reiche Behagen und die kostbare Muße eines Landedelmanns, die gebietende
Stellung als Leiter zweier Hofbühnen geschenkt, dem andern, ältern, die über¬
mäßige Arbeit des fortgesetzten litterarischen Erwerbs auferlegt war, der er die



*) Gustav zu Putlitz. Ein Lebensbild. Aus Briefen zusammengestellt und ergänzt
von Elisabeth zu Putlitz geb. Gräfin Königsmarck. Drei Bände. Berlin, Alexander
Duncker, 1894 bli- 189ö.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/470>, abgerufen am 19.05.2024.