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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Richter und Anwalt

Anhäufung von Großgrundbesitz auf gesetzlichem Wege verhindert worden ist.
In Schweden machen sich ungesunde Zustande auf dem Lande und demgemäß
eine ländliche Arbeiterfrage schon bemerkbar.

Das ländliche Idyll, wie es Vater Haydns Jahreszeiten in Worten und
Tönen malen, ist kein leerer Traum und kein Hirngespinst. Es ist millionen¬
fach dagewesen und ist auch heute noch tausendfach vorhanden, wie wir aus
eigner Anschauung wissen, wenn sich auch seine wirklichen Gestalten und Farben,
in der Nähe gesehen, grober ausnehmen, als in einer idealisirenden Kunst¬
schöpfung. Eine der wichtigsten Fragen unsrer Zeit ist, ob die Arbeit der
zerstörenden Mächte, der es auch bei uns in Deutschland ausgesetzt ist, ihren
Lauf haben, oder ob es uns erhalten bleiben und in größerm Umfange neu
geschaffen werden wird. Die Mächte, die an seiner Zerstörung arbeiten, haben
wir oft genug bezeichnet. Vielleicht die gefährlichste unter ihnen ist im Augen¬
blick das Agrariertum, das unter dem Vorwande, den Bauernstand erhalten
zu wollen, gesetzliche Maßregeln durchzusetzen sucht, die nur dem Großgrund¬
besitz nutzen- Den Bauer, der noch zufrieden und einträchtig mit seinem Ge¬
sinde und seinen Tagelöhnern wirtschaftet, fuchen die agrarischen Agitatoren
in die rein kapitalistische Wirtschaftsweise hineinzudrängen und hineinzuängstigen,
indem sie ihm vorrechnen, daß er seinen Arbeitern viel zu viel gebe und für
seine Produkte viel zu wenig erhalte, und indem sie ihm zu einem "rationellen"
Betrieb verhelfen, der vorübergehend zwar seine Einnahmen erhöhen kann, ihn
aber dafür allen Gefahren der schwankenden Konjunktur aussetzt.




Richter und Anwalt

leder einmal hat der schmähliche Zusammenbruch eines viel ge¬
nannten Berliner Rechtsanwalts, seine Flucht und seine steck¬
briefliche Verfolgung wegen ehrloser Vergehen gegen das Straf¬
gesetz die Öffentlichkeit beschäftigt und erregt. Es läßt sich nicht
behaupten oder gar nachweisen, daß sich die Zahl der strafbaren
Handlungen, die Rechtsanwälte in ihrem Beruf begehen, mehr vergrößert habe,
als es die sehr vermehrte Anzahl der Personen, die sich diesem Berufe widmen,
erklärlich erscheinen läßt. Was aber dem, der das Rechtsleben unsers
Volkes beobachtet, schwere Bedenken erregen muß, ist die Veränderung, die
immer mehr in dem ganzen Wesen der Anwaltschaft Platz greift, und der


Richter und Anwalt

Anhäufung von Großgrundbesitz auf gesetzlichem Wege verhindert worden ist.
In Schweden machen sich ungesunde Zustande auf dem Lande und demgemäß
eine ländliche Arbeiterfrage schon bemerkbar.

Das ländliche Idyll, wie es Vater Haydns Jahreszeiten in Worten und
Tönen malen, ist kein leerer Traum und kein Hirngespinst. Es ist millionen¬
fach dagewesen und ist auch heute noch tausendfach vorhanden, wie wir aus
eigner Anschauung wissen, wenn sich auch seine wirklichen Gestalten und Farben,
in der Nähe gesehen, grober ausnehmen, als in einer idealisirenden Kunst¬
schöpfung. Eine der wichtigsten Fragen unsrer Zeit ist, ob die Arbeit der
zerstörenden Mächte, der es auch bei uns in Deutschland ausgesetzt ist, ihren
Lauf haben, oder ob es uns erhalten bleiben und in größerm Umfange neu
geschaffen werden wird. Die Mächte, die an seiner Zerstörung arbeiten, haben
wir oft genug bezeichnet. Vielleicht die gefährlichste unter ihnen ist im Augen¬
blick das Agrariertum, das unter dem Vorwande, den Bauernstand erhalten
zu wollen, gesetzliche Maßregeln durchzusetzen sucht, die nur dem Großgrund¬
besitz nutzen- Den Bauer, der noch zufrieden und einträchtig mit seinem Ge¬
sinde und seinen Tagelöhnern wirtschaftet, fuchen die agrarischen Agitatoren
in die rein kapitalistische Wirtschaftsweise hineinzudrängen und hineinzuängstigen,
indem sie ihm vorrechnen, daß er seinen Arbeitern viel zu viel gebe und für
seine Produkte viel zu wenig erhalte, und indem sie ihm zu einem „rationellen"
Betrieb verhelfen, der vorübergehend zwar seine Einnahmen erhöhen kann, ihn
aber dafür allen Gefahren der schwankenden Konjunktur aussetzt.




Richter und Anwalt

leder einmal hat der schmähliche Zusammenbruch eines viel ge¬
nannten Berliner Rechtsanwalts, seine Flucht und seine steck¬
briefliche Verfolgung wegen ehrloser Vergehen gegen das Straf¬
gesetz die Öffentlichkeit beschäftigt und erregt. Es läßt sich nicht
behaupten oder gar nachweisen, daß sich die Zahl der strafbaren
Handlungen, die Rechtsanwälte in ihrem Beruf begehen, mehr vergrößert habe,
als es die sehr vermehrte Anzahl der Personen, die sich diesem Berufe widmen,
erklärlich erscheinen läßt. Was aber dem, der das Rechtsleben unsers
Volkes beobachtet, schwere Bedenken erregen muß, ist die Veränderung, die
immer mehr in dem ganzen Wesen der Anwaltschaft Platz greift, und der


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[0519] Richter und Anwalt Anhäufung von Großgrundbesitz auf gesetzlichem Wege verhindert worden ist. In Schweden machen sich ungesunde Zustande auf dem Lande und demgemäß eine ländliche Arbeiterfrage schon bemerkbar. Das ländliche Idyll, wie es Vater Haydns Jahreszeiten in Worten und Tönen malen, ist kein leerer Traum und kein Hirngespinst. Es ist millionen¬ fach dagewesen und ist auch heute noch tausendfach vorhanden, wie wir aus eigner Anschauung wissen, wenn sich auch seine wirklichen Gestalten und Farben, in der Nähe gesehen, grober ausnehmen, als in einer idealisirenden Kunst¬ schöpfung. Eine der wichtigsten Fragen unsrer Zeit ist, ob die Arbeit der zerstörenden Mächte, der es auch bei uns in Deutschland ausgesetzt ist, ihren Lauf haben, oder ob es uns erhalten bleiben und in größerm Umfange neu geschaffen werden wird. Die Mächte, die an seiner Zerstörung arbeiten, haben wir oft genug bezeichnet. Vielleicht die gefährlichste unter ihnen ist im Augen¬ blick das Agrariertum, das unter dem Vorwande, den Bauernstand erhalten zu wollen, gesetzliche Maßregeln durchzusetzen sucht, die nur dem Großgrund¬ besitz nutzen- Den Bauer, der noch zufrieden und einträchtig mit seinem Ge¬ sinde und seinen Tagelöhnern wirtschaftet, fuchen die agrarischen Agitatoren in die rein kapitalistische Wirtschaftsweise hineinzudrängen und hineinzuängstigen, indem sie ihm vorrechnen, daß er seinen Arbeitern viel zu viel gebe und für seine Produkte viel zu wenig erhalte, und indem sie ihm zu einem „rationellen" Betrieb verhelfen, der vorübergehend zwar seine Einnahmen erhöhen kann, ihn aber dafür allen Gefahren der schwankenden Konjunktur aussetzt. Richter und Anwalt leder einmal hat der schmähliche Zusammenbruch eines viel ge¬ nannten Berliner Rechtsanwalts, seine Flucht und seine steck¬ briefliche Verfolgung wegen ehrloser Vergehen gegen das Straf¬ gesetz die Öffentlichkeit beschäftigt und erregt. Es läßt sich nicht behaupten oder gar nachweisen, daß sich die Zahl der strafbaren Handlungen, die Rechtsanwälte in ihrem Beruf begehen, mehr vergrößert habe, als es die sehr vermehrte Anzahl der Personen, die sich diesem Berufe widmen, erklärlich erscheinen läßt. Was aber dem, der das Rechtsleben unsers Volkes beobachtet, schwere Bedenken erregen muß, ist die Veränderung, die immer mehr in dem ganzen Wesen der Anwaltschaft Platz greift, und der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/519>, abgerufen am 19.05.2024.