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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Grundbesitz, Landwirtschaft und Landarbeiter in England

versuch nicht zum System werden. Es wurden Vereine gegründet, Versamm¬
lungen unter freiem Himmel abgehalten, und in neuerer Zeit schickt die I^rut
Ro8t>org,t,ion I^ÄZus rotangestrichne Wagen (rsü ours) in die Grafschaften, die
Betten für die Agitatoren enthalten, Tausende von Druckschriften in ihrem
Innern bergen, und von denen aus die Agitatoren, jeden Abend in einem
andern Dorfe, Reden halten. Die ländlichen Arbeitervereine richten wegen der
Armut ihrer Mitglieder nicht viel aus, wie denn auch die neuer" Gewerk¬
vereine der ungelernten Industriearbeiter schon wieder in der Auflösung be¬
griffen sind. Aber die Bewegung hat die Aufmerksamkeit der Politiker auf
die ländlichen Verhältnisse gelenkt, und man ist jetzt ziemlich allgemein über¬
zeugt, daß sich ein Zustand, der das platte Land entvölkert, die Menschen in
Riesenstädten zusammendrängt und einen großen Teil des Volkes leiblich ver¬
kommen und sittlich verwildern läßt, auf die Dauer nicht wird halten können.
Schon hat man durch ein wenig Schulzwang die Kinderarbeit eingeschränkt
und mit einer Reihe von Gesetzen die Wiederansässigmachung der Landarbeiter
angebahnt. Drei Acres und eine Kuh ist seit langem das Losungswort nicht
allein der Landarbeiter, sondern auch der Gesetzgeber geworden, und man ist
noch weiter zu dem Plane fortgeschritten, auch den Bauernstand wieder¬
herzustellen. Außer den ootwAö Z-Mgus (Grundstücken unmittelbar am Häuschen
des Arbeiters) und den iülotinöuts oder llslä glu-äsns (größern Grundstücken
im freien Felde, die dem Arbeiter durch Pacht oder Kauf zugänglich gemacht
werden) arbeitet man an der Schaffung eines neuen Bauernstandes durch Be¬
gründung von small lwläing'8, kleinen selbständigen Landwirtschaften. Das
eingangs erwähnte Gesetz vom 26. Juni 1892 verfolgt denselben Zweck wie
die preußischen Ansiedluugs- und Nentengütergesetze. Beim Kaufabschluß muß
ein Fünftel der Kaufsumme bezahlt werden, die übrigen vier Fünftel sind
binnen fünfzig Jahren zu tilgen; ein Viertel kann als ewige Rente auf dem
Gute stehen bleiben. Die Größe dieser sirMI KoläwZs soll sich zwischen 1 und
50 Acres, also 1^ und 80 preußischen Morgen bewegen. Für die Arbeiter
wurde dann in der Weise gesorgt, daß den Kirchspielräten die Befugnis erteilt
wurde, zwangsweise Land zu pachten, es zu Parzelliren und die Ällotmönts an
Einwohner zu verpachten. Welchen Erfolg diese Maßregeln haben werden,
muß abgewartet werden; jedenfalls ist die Vernichtung der alten Bauernschaft
ein leichteres Werk gewesen, als es die Schaffung einer neuen sein wird. Doch
war die Zahl der kleinen Besitzungen und Pachtungen schon vor diesen Gesetzen,
von 1873 bis 1890, in erfreulicher Zunahme begriffen; die Feldgärten ver¬
mehrten sich von 242542 auf 441024, die kleinen selbständigen Bauerwirt¬
schaften allerdings in weit geringerm Maße: von 294729 auf 308348. und
darunter sind auch noch 25680 Zwergbetriebe von weniger als einem Acre.

Aus dem Anhange Scharlings ersehen wir, daß sich der kleine Baueru-
staat Dänemark noch vollkommen gesunder Zustände erfreut, weil in ihm die


Grundbesitz, Landwirtschaft und Landarbeiter in England

versuch nicht zum System werden. Es wurden Vereine gegründet, Versamm¬
lungen unter freiem Himmel abgehalten, und in neuerer Zeit schickt die I^rut
Ro8t>org,t,ion I^ÄZus rotangestrichne Wagen (rsü ours) in die Grafschaften, die
Betten für die Agitatoren enthalten, Tausende von Druckschriften in ihrem
Innern bergen, und von denen aus die Agitatoren, jeden Abend in einem
andern Dorfe, Reden halten. Die ländlichen Arbeitervereine richten wegen der
Armut ihrer Mitglieder nicht viel aus, wie denn auch die neuer« Gewerk¬
vereine der ungelernten Industriearbeiter schon wieder in der Auflösung be¬
griffen sind. Aber die Bewegung hat die Aufmerksamkeit der Politiker auf
die ländlichen Verhältnisse gelenkt, und man ist jetzt ziemlich allgemein über¬
zeugt, daß sich ein Zustand, der das platte Land entvölkert, die Menschen in
Riesenstädten zusammendrängt und einen großen Teil des Volkes leiblich ver¬
kommen und sittlich verwildern läßt, auf die Dauer nicht wird halten können.
Schon hat man durch ein wenig Schulzwang die Kinderarbeit eingeschränkt
und mit einer Reihe von Gesetzen die Wiederansässigmachung der Landarbeiter
angebahnt. Drei Acres und eine Kuh ist seit langem das Losungswort nicht
allein der Landarbeiter, sondern auch der Gesetzgeber geworden, und man ist
noch weiter zu dem Plane fortgeschritten, auch den Bauernstand wieder¬
herzustellen. Außer den ootwAö Z-Mgus (Grundstücken unmittelbar am Häuschen
des Arbeiters) und den iülotinöuts oder llslä glu-äsns (größern Grundstücken
im freien Felde, die dem Arbeiter durch Pacht oder Kauf zugänglich gemacht
werden) arbeitet man an der Schaffung eines neuen Bauernstandes durch Be¬
gründung von small lwläing'8, kleinen selbständigen Landwirtschaften. Das
eingangs erwähnte Gesetz vom 26. Juni 1892 verfolgt denselben Zweck wie
die preußischen Ansiedluugs- und Nentengütergesetze. Beim Kaufabschluß muß
ein Fünftel der Kaufsumme bezahlt werden, die übrigen vier Fünftel sind
binnen fünfzig Jahren zu tilgen; ein Viertel kann als ewige Rente auf dem
Gute stehen bleiben. Die Größe dieser sirMI KoläwZs soll sich zwischen 1 und
50 Acres, also 1^ und 80 preußischen Morgen bewegen. Für die Arbeiter
wurde dann in der Weise gesorgt, daß den Kirchspielräten die Befugnis erteilt
wurde, zwangsweise Land zu pachten, es zu Parzelliren und die Ällotmönts an
Einwohner zu verpachten. Welchen Erfolg diese Maßregeln haben werden,
muß abgewartet werden; jedenfalls ist die Vernichtung der alten Bauernschaft
ein leichteres Werk gewesen, als es die Schaffung einer neuen sein wird. Doch
war die Zahl der kleinen Besitzungen und Pachtungen schon vor diesen Gesetzen,
von 1873 bis 1890, in erfreulicher Zunahme begriffen; die Feldgärten ver¬
mehrten sich von 242542 auf 441024, die kleinen selbständigen Bauerwirt¬
schaften allerdings in weit geringerm Maße: von 294729 auf 308348. und
darunter sind auch noch 25680 Zwergbetriebe von weniger als einem Acre.

Aus dem Anhange Scharlings ersehen wir, daß sich der kleine Baueru-
staat Dänemark noch vollkommen gesunder Zustände erfreut, weil in ihm die


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[0518] Grundbesitz, Landwirtschaft und Landarbeiter in England versuch nicht zum System werden. Es wurden Vereine gegründet, Versamm¬ lungen unter freiem Himmel abgehalten, und in neuerer Zeit schickt die I^rut Ro8t>org,t,ion I^ÄZus rotangestrichne Wagen (rsü ours) in die Grafschaften, die Betten für die Agitatoren enthalten, Tausende von Druckschriften in ihrem Innern bergen, und von denen aus die Agitatoren, jeden Abend in einem andern Dorfe, Reden halten. Die ländlichen Arbeitervereine richten wegen der Armut ihrer Mitglieder nicht viel aus, wie denn auch die neuer« Gewerk¬ vereine der ungelernten Industriearbeiter schon wieder in der Auflösung be¬ griffen sind. Aber die Bewegung hat die Aufmerksamkeit der Politiker auf die ländlichen Verhältnisse gelenkt, und man ist jetzt ziemlich allgemein über¬ zeugt, daß sich ein Zustand, der das platte Land entvölkert, die Menschen in Riesenstädten zusammendrängt und einen großen Teil des Volkes leiblich ver¬ kommen und sittlich verwildern läßt, auf die Dauer nicht wird halten können. Schon hat man durch ein wenig Schulzwang die Kinderarbeit eingeschränkt und mit einer Reihe von Gesetzen die Wiederansässigmachung der Landarbeiter angebahnt. Drei Acres und eine Kuh ist seit langem das Losungswort nicht allein der Landarbeiter, sondern auch der Gesetzgeber geworden, und man ist noch weiter zu dem Plane fortgeschritten, auch den Bauernstand wieder¬ herzustellen. Außer den ootwAö Z-Mgus (Grundstücken unmittelbar am Häuschen des Arbeiters) und den iülotinöuts oder llslä glu-äsns (größern Grundstücken im freien Felde, die dem Arbeiter durch Pacht oder Kauf zugänglich gemacht werden) arbeitet man an der Schaffung eines neuen Bauernstandes durch Be¬ gründung von small lwläing'8, kleinen selbständigen Landwirtschaften. Das eingangs erwähnte Gesetz vom 26. Juni 1892 verfolgt denselben Zweck wie die preußischen Ansiedluugs- und Nentengütergesetze. Beim Kaufabschluß muß ein Fünftel der Kaufsumme bezahlt werden, die übrigen vier Fünftel sind binnen fünfzig Jahren zu tilgen; ein Viertel kann als ewige Rente auf dem Gute stehen bleiben. Die Größe dieser sirMI KoläwZs soll sich zwischen 1 und 50 Acres, also 1^ und 80 preußischen Morgen bewegen. Für die Arbeiter wurde dann in der Weise gesorgt, daß den Kirchspielräten die Befugnis erteilt wurde, zwangsweise Land zu pachten, es zu Parzelliren und die Ällotmönts an Einwohner zu verpachten. Welchen Erfolg diese Maßregeln haben werden, muß abgewartet werden; jedenfalls ist die Vernichtung der alten Bauernschaft ein leichteres Werk gewesen, als es die Schaffung einer neuen sein wird. Doch war die Zahl der kleinen Besitzungen und Pachtungen schon vor diesen Gesetzen, von 1873 bis 1890, in erfreulicher Zunahme begriffen; die Feldgärten ver¬ mehrten sich von 242542 auf 441024, die kleinen selbständigen Bauerwirt¬ schaften allerdings in weit geringerm Maße: von 294729 auf 308348. und darunter sind auch noch 25680 Zwergbetriebe von weniger als einem Acre. Aus dem Anhange Scharlings ersehen wir, daß sich der kleine Baueru- staat Dänemark noch vollkommen gesunder Zustände erfreut, weil in ihm die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/518>, abgerufen am 02.06.2024.