Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite


Ein Kapitel von der Narrheit

in Narren kennen zu lernen, braucht man nicht die Zeit des Kar¬
nevals abzuwarten, obwohl die dazu am meisten geeignet scheint,
denn da kommen uns so viel Narren in den Weg, daß es oft
schwer hält, die andern Menschen aus der Menge herauszufinden,
umsomehr, als diese leicht auch für Narren gehalten werden, gerade
weil sie an der allgemeinen Narrheit nicht teilnehmen. Nicht viel
anders aber ist es im Leben auch. Mnu fühlt sich deshalb versucht, zu fragen,
woran man denn eigentlich den wirklichen Narren erkenne. Kleider machen zwar
Leute, aber das Maskenkleid allein macht offenbar noch nicht den Narre"; den"
wird es nicht mich von manchem angelegt, der keiner ist, und geht nicht mancher
Narr auch ohne Verkleidung herum? Ein andres altes Sprichwort sagt: An vielem
Lachen erkennt man den Narren; aber das ist mich nicht richtig, da es unverkenn¬
bare Narren giebt, die vou einem geradezu tierischen Ernst erfüllt sind, während
wir ans der andern Seite Menschen viel lachen sehen, die wir keineswegs als
Narren, sondern im schlimmsten Falle nur als einfältig bezeichnen können, und das
ist etwas andres als närrisch. Denn die Einfalt, deren höherer Grad die Dumm-
heit ist, besteht in einem Mangel um geistigen Anlagen, namentlich an Auffassung
und Urteil, und ist also das Gegenteil der Klugheit, unter der wir eine gute
Fähigkeit zum Erkennen der Dinge, insbesondre auf dem Gebiete des praktischen
Lebens begreifen. Ein Narr aber ist an und für sich noch kein dummer Mensch, eher
das Gegenteil. Dafür, daß er dumm sei, spricht nicht, daß er nach dem Sprich¬
worte mehr fragt, als zehn Weise beantworten können; denn ein dummer Mensch
fragt nicht viel. Aber freilich, hat dieses Sprichwort Recht? Es bringt die
Narrheit zur Weisheit in Gegensatz, und das läßt sich nicht rechtfertigen. Weis¬
heit hängt etymologisch mit Wissen zusammen und bezeichnet einen Zustand, wo
man durch praktische Lebenserfahrung soviel Erkenntnis erworben hat, daß man
nunmehr weiß, wie es sich mit den Dingen verhält. Vorher konnte man das nicht
wissen, also auch nicht weise sein, selbst wenn man von Hause aus klug war.
Zwar behauptet wieder ein andres Sprichwort, erst durch Schaden werde man
klug; aber das ist auch nicht richtig ausgedrückt: durch Schaden wird man weise.
Denn auch ein kluger Mensch kann sich in übel angebrachten Vertrauen betrügen
lassen, solange es ihm an Weltkenntnis fehlt; so lange ist er eben nicht etwa ein
Narr, sondern dem Kinde gleich, das die böse Welt noch nicht kennt, ein Thor,
ein Unwissender, wie Parsival, der reine Thor, der nach Richard Wagners Auf¬
schlüssen erst durch Mitleid wissend geworden ist. Allerdings nennt Wolfram von
Eschenbach seinen thörichten Zustand tumvusit,, aber er zeigt damit nur, daß er es
mit der Synonymik ebensowenig genau nimmt wie die Sprichwörter, wenn nicht
etwa, wie es so oft geschehen ist, das Wort im Laufe der Jahrhunderte seinen
Begriff gewechselt hat. Denn wenn sich auch ein dummer Mensch, weil ihm die
Fähigkeit abgeht, in ausreichendem Maße zu erkennen, im einzelnen Falle auch als




Ein Kapitel von der Narrheit

in Narren kennen zu lernen, braucht man nicht die Zeit des Kar¬
nevals abzuwarten, obwohl die dazu am meisten geeignet scheint,
denn da kommen uns so viel Narren in den Weg, daß es oft
schwer hält, die andern Menschen aus der Menge herauszufinden,
umsomehr, als diese leicht auch für Narren gehalten werden, gerade
weil sie an der allgemeinen Narrheit nicht teilnehmen. Nicht viel
anders aber ist es im Leben auch. Mnu fühlt sich deshalb versucht, zu fragen,
woran man denn eigentlich den wirklichen Narren erkenne. Kleider machen zwar
Leute, aber das Maskenkleid allein macht offenbar noch nicht den Narre»; den»
wird es nicht mich von manchem angelegt, der keiner ist, und geht nicht mancher
Narr auch ohne Verkleidung herum? Ein andres altes Sprichwort sagt: An vielem
Lachen erkennt man den Narren; aber das ist mich nicht richtig, da es unverkenn¬
bare Narren giebt, die vou einem geradezu tierischen Ernst erfüllt sind, während
wir ans der andern Seite Menschen viel lachen sehen, die wir keineswegs als
Narren, sondern im schlimmsten Falle nur als einfältig bezeichnen können, und das
ist etwas andres als närrisch. Denn die Einfalt, deren höherer Grad die Dumm-
heit ist, besteht in einem Mangel um geistigen Anlagen, namentlich an Auffassung
und Urteil, und ist also das Gegenteil der Klugheit, unter der wir eine gute
Fähigkeit zum Erkennen der Dinge, insbesondre auf dem Gebiete des praktischen
Lebens begreifen. Ein Narr aber ist an und für sich noch kein dummer Mensch, eher
das Gegenteil. Dafür, daß er dumm sei, spricht nicht, daß er nach dem Sprich¬
worte mehr fragt, als zehn Weise beantworten können; denn ein dummer Mensch
fragt nicht viel. Aber freilich, hat dieses Sprichwort Recht? Es bringt die
Narrheit zur Weisheit in Gegensatz, und das läßt sich nicht rechtfertigen. Weis¬
heit hängt etymologisch mit Wissen zusammen und bezeichnet einen Zustand, wo
man durch praktische Lebenserfahrung soviel Erkenntnis erworben hat, daß man
nunmehr weiß, wie es sich mit den Dingen verhält. Vorher konnte man das nicht
wissen, also auch nicht weise sein, selbst wenn man von Hause aus klug war.
Zwar behauptet wieder ein andres Sprichwort, erst durch Schaden werde man
klug; aber das ist auch nicht richtig ausgedrückt: durch Schaden wird man weise.
Denn auch ein kluger Mensch kann sich in übel angebrachten Vertrauen betrügen
lassen, solange es ihm an Weltkenntnis fehlt; so lange ist er eben nicht etwa ein
Narr, sondern dem Kinde gleich, das die böse Welt noch nicht kennt, ein Thor,
ein Unwissender, wie Parsival, der reine Thor, der nach Richard Wagners Auf¬
schlüssen erst durch Mitleid wissend geworden ist. Allerdings nennt Wolfram von
Eschenbach seinen thörichten Zustand tumvusit,, aber er zeigt damit nur, daß er es
mit der Synonymik ebensowenig genau nimmt wie die Sprichwörter, wenn nicht
etwa, wie es so oft geschehen ist, das Wort im Laufe der Jahrhunderte seinen
Begriff gewechselt hat. Denn wenn sich auch ein dummer Mensch, weil ihm die
Fähigkeit abgeht, in ausreichendem Maße zu erkennen, im einzelnen Falle auch als


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0530" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/222176"/>
          <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341863_221645/figures/grenzboten_341863_221645_222176_000.jpg"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Ein Kapitel von der Narrheit</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1848" next="#ID_1849"> in Narren kennen zu lernen, braucht man nicht die Zeit des Kar¬<lb/>
nevals abzuwarten, obwohl die dazu am meisten geeignet scheint,<lb/>
denn da kommen uns so viel Narren in den Weg, daß es oft<lb/>
schwer hält, die andern Menschen aus der Menge herauszufinden,<lb/>
umsomehr, als diese leicht auch für Narren gehalten werden, gerade<lb/>
weil sie an der allgemeinen Narrheit nicht teilnehmen. Nicht viel<lb/>
anders aber ist es im Leben auch. Mnu fühlt sich deshalb versucht, zu fragen,<lb/>
woran man denn eigentlich den wirklichen Narren erkenne. Kleider machen zwar<lb/>
Leute, aber das Maskenkleid allein macht offenbar noch nicht den Narre»; den»<lb/>
wird es nicht mich von manchem angelegt, der keiner ist, und geht nicht mancher<lb/>
Narr auch ohne Verkleidung herum? Ein andres altes Sprichwort sagt: An vielem<lb/>
Lachen erkennt man den Narren; aber das ist mich nicht richtig, da es unverkenn¬<lb/>
bare Narren giebt, die vou einem geradezu tierischen Ernst erfüllt sind, während<lb/>
wir ans der andern Seite Menschen viel lachen sehen, die wir keineswegs als<lb/>
Narren, sondern im schlimmsten Falle nur als einfältig bezeichnen können, und das<lb/>
ist etwas andres als närrisch. Denn die Einfalt, deren höherer Grad die Dumm-<lb/>
heit ist, besteht in einem Mangel um geistigen Anlagen, namentlich an Auffassung<lb/>
und Urteil, und ist also das Gegenteil der Klugheit, unter der wir eine gute<lb/>
Fähigkeit zum Erkennen der Dinge, insbesondre auf dem Gebiete des praktischen<lb/>
Lebens begreifen. Ein Narr aber ist an und für sich noch kein dummer Mensch, eher<lb/>
das Gegenteil. Dafür, daß er dumm sei, spricht nicht, daß er nach dem Sprich¬<lb/>
worte mehr fragt, als zehn Weise beantworten können; denn ein dummer Mensch<lb/>
fragt nicht viel. Aber freilich, hat dieses Sprichwort Recht? Es bringt die<lb/>
Narrheit zur Weisheit in Gegensatz, und das läßt sich nicht rechtfertigen. Weis¬<lb/>
heit hängt etymologisch mit Wissen zusammen und bezeichnet einen Zustand, wo<lb/>
man durch praktische Lebenserfahrung soviel Erkenntnis erworben hat, daß man<lb/>
nunmehr weiß, wie es sich mit den Dingen verhält. Vorher konnte man das nicht<lb/>
wissen, also auch nicht weise sein, selbst wenn man von Hause aus klug war.<lb/>
Zwar behauptet wieder ein andres Sprichwort, erst durch Schaden werde man<lb/>
klug; aber das ist auch nicht richtig ausgedrückt: durch Schaden wird man weise.<lb/>
Denn auch ein kluger Mensch kann sich in übel angebrachten Vertrauen betrügen<lb/>
lassen, solange es ihm an Weltkenntnis fehlt; so lange ist er eben nicht etwa ein<lb/>
Narr, sondern dem Kinde gleich, das die böse Welt noch nicht kennt, ein Thor,<lb/>
ein Unwissender, wie Parsival, der reine Thor, der nach Richard Wagners Auf¬<lb/>
schlüssen erst durch Mitleid wissend geworden ist. Allerdings nennt Wolfram von<lb/>
Eschenbach seinen thörichten Zustand tumvusit,, aber er zeigt damit nur, daß er es<lb/>
mit der Synonymik ebensowenig genau nimmt wie die Sprichwörter, wenn nicht<lb/>
etwa, wie es so oft geschehen ist, das Wort im Laufe der Jahrhunderte seinen<lb/>
Begriff gewechselt hat. Denn wenn sich auch ein dummer Mensch, weil ihm die<lb/>
Fähigkeit abgeht, in ausreichendem Maße zu erkennen, im einzelnen Falle auch als</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0530] [Abbildung] Ein Kapitel von der Narrheit in Narren kennen zu lernen, braucht man nicht die Zeit des Kar¬ nevals abzuwarten, obwohl die dazu am meisten geeignet scheint, denn da kommen uns so viel Narren in den Weg, daß es oft schwer hält, die andern Menschen aus der Menge herauszufinden, umsomehr, als diese leicht auch für Narren gehalten werden, gerade weil sie an der allgemeinen Narrheit nicht teilnehmen. Nicht viel anders aber ist es im Leben auch. Mnu fühlt sich deshalb versucht, zu fragen, woran man denn eigentlich den wirklichen Narren erkenne. Kleider machen zwar Leute, aber das Maskenkleid allein macht offenbar noch nicht den Narre»; den» wird es nicht mich von manchem angelegt, der keiner ist, und geht nicht mancher Narr auch ohne Verkleidung herum? Ein andres altes Sprichwort sagt: An vielem Lachen erkennt man den Narren; aber das ist mich nicht richtig, da es unverkenn¬ bare Narren giebt, die vou einem geradezu tierischen Ernst erfüllt sind, während wir ans der andern Seite Menschen viel lachen sehen, die wir keineswegs als Narren, sondern im schlimmsten Falle nur als einfältig bezeichnen können, und das ist etwas andres als närrisch. Denn die Einfalt, deren höherer Grad die Dumm- heit ist, besteht in einem Mangel um geistigen Anlagen, namentlich an Auffassung und Urteil, und ist also das Gegenteil der Klugheit, unter der wir eine gute Fähigkeit zum Erkennen der Dinge, insbesondre auf dem Gebiete des praktischen Lebens begreifen. Ein Narr aber ist an und für sich noch kein dummer Mensch, eher das Gegenteil. Dafür, daß er dumm sei, spricht nicht, daß er nach dem Sprich¬ worte mehr fragt, als zehn Weise beantworten können; denn ein dummer Mensch fragt nicht viel. Aber freilich, hat dieses Sprichwort Recht? Es bringt die Narrheit zur Weisheit in Gegensatz, und das läßt sich nicht rechtfertigen. Weis¬ heit hängt etymologisch mit Wissen zusammen und bezeichnet einen Zustand, wo man durch praktische Lebenserfahrung soviel Erkenntnis erworben hat, daß man nunmehr weiß, wie es sich mit den Dingen verhält. Vorher konnte man das nicht wissen, also auch nicht weise sein, selbst wenn man von Hause aus klug war. Zwar behauptet wieder ein andres Sprichwort, erst durch Schaden werde man klug; aber das ist auch nicht richtig ausgedrückt: durch Schaden wird man weise. Denn auch ein kluger Mensch kann sich in übel angebrachten Vertrauen betrügen lassen, solange es ihm an Weltkenntnis fehlt; so lange ist er eben nicht etwa ein Narr, sondern dem Kinde gleich, das die böse Welt noch nicht kennt, ein Thor, ein Unwissender, wie Parsival, der reine Thor, der nach Richard Wagners Auf¬ schlüssen erst durch Mitleid wissend geworden ist. Allerdings nennt Wolfram von Eschenbach seinen thörichten Zustand tumvusit,, aber er zeigt damit nur, daß er es mit der Synonymik ebensowenig genau nimmt wie die Sprichwörter, wenn nicht etwa, wie es so oft geschehen ist, das Wort im Laufe der Jahrhunderte seinen Begriff gewechselt hat. Denn wenn sich auch ein dummer Mensch, weil ihm die Fähigkeit abgeht, in ausreichendem Maße zu erkennen, im einzelnen Falle auch als

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/530
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/530>, abgerufen am 19.05.2024.