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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

auch etwa darüber hinaus mit ihnen in ein Gespräch einläßt, so sollte nicht
sofort das Urteil über ihn gefällt werden, er habe dadurch nur mit seinen
Kenntnissen prahlen wollen. Meist liegt dieser Handlungsweise ein sehr lobens¬
wertes Streben nach Bethätigung und Vervollkommnung erworbner Sprach-
kcnntnisse zu Grunde. Erwägt man, daß unsre Knaben und Mädchen infolge
der an den meisten unsrer Schulen geübten unpraktischen und verkehrten Lehr¬
methode nach sechs- und mehrjährigem Studium meist kaum einen Satz fließend
französisch oder englisch sprechen können, und nur einer verschwindend kleinen
Anzahl nach dem Verlassen der Schule oder später Gelegenheit geboten ist,
sich im Auslande in den fremden Sprachen zu vervollkommnen, so wird man es
erklärlich finden, daß jeder, der mir einigermaßen strebsam ist, es mit Freuden
begrüßt, wenn ihm dazu in der Heimat durch Verkehr mit Ausländern Ge¬
legenheit geboten wird. Daß man sich dadurch nicht in den Angen der Fremden
erniedrigt, habe ich oft genug persönlich erfahren und zu beobachten Gelegen¬
heit gehabt. Darum kann ich mich auch, sobald jemand solches Entgegen¬
kommen des Deutschen mit scheelen Augen ansieht und als niedrige Ausländerei
tadelt, nie des Gedankens erwehren, daß für ihn wohl nur die Trauben zu
hoch hängen. Und wenn sich auch wirtlich einmal ein smarter Amerikaner ein¬
bilden sollte, er habe das Übergewicht über uns, weil wir uns herbeilassen,
seine Sprache mit ihn: zu sprechen, so täuscht er sich eben; im Grunde ge¬
nommen sind wir ihm doch überlegen , wir Profitiren von ihm und machen ihn
uns und unsern Zwecken dienstbar. Dieses Bewußtsein der Überlegenheit stärkt
auch das nationale Selbstgefühl.'

Dachte und handeltejeder so. so kämen wir weiter als mit dem ewigen
nutzlosen Lamcntiren, durch das wir uns dem Ausländer gegenüber, zu dessen
Ohren das doch schließlich auch dringt, nur schaden; denn sobald es sich um
etwas handelt, was geeignet ist, uns in seinen Augen herabzusetzen, ist er nur
zu leicht geneigt, alles für wahr zu halten.




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Viel Lärm um nichts.

Diese Aufschrift pcißt ja im allgemeinen für den
Politischen Teil der Zeitungen, aber es giebt Perioden, wo die Nichtse noch nich¬
tiger sind als gewöhnlich, und zu diesen gehört die eben abgelciufne Oster-
zeit. Daß die Konservativen und die Christlich-Sozialen nichts mehr von einander
wissen wollen, und daß sich Stöcker für jene entschieden hat, ohne vor der Hand
recht zu wissen, in welche Unterabteilung er gehört, das sind ja immerhin einiger¬
maßen politische Ereignisse; aber was geht es uns an, welcher der beteiligten Herren
es beim Scheidungsprozeß mit der Wahrheit etwas weniger genau genommen hat,
ob Herr Stöcker, oder Herr Krause, oder die Herren vom Elferausschuß? Mögen
sie doch die Sache in einem privaten Briefwechsel oder meinetwegen in Duellen
unter sich ausfechten! Freilich ist es auch wieder angenehm, wenn recht viel in


Maßgebliches und Unmaßgebliches

auch etwa darüber hinaus mit ihnen in ein Gespräch einläßt, so sollte nicht
sofort das Urteil über ihn gefällt werden, er habe dadurch nur mit seinen
Kenntnissen prahlen wollen. Meist liegt dieser Handlungsweise ein sehr lobens¬
wertes Streben nach Bethätigung und Vervollkommnung erworbner Sprach-
kcnntnisse zu Grunde. Erwägt man, daß unsre Knaben und Mädchen infolge
der an den meisten unsrer Schulen geübten unpraktischen und verkehrten Lehr¬
methode nach sechs- und mehrjährigem Studium meist kaum einen Satz fließend
französisch oder englisch sprechen können, und nur einer verschwindend kleinen
Anzahl nach dem Verlassen der Schule oder später Gelegenheit geboten ist,
sich im Auslande in den fremden Sprachen zu vervollkommnen, so wird man es
erklärlich finden, daß jeder, der mir einigermaßen strebsam ist, es mit Freuden
begrüßt, wenn ihm dazu in der Heimat durch Verkehr mit Ausländern Ge¬
legenheit geboten wird. Daß man sich dadurch nicht in den Angen der Fremden
erniedrigt, habe ich oft genug persönlich erfahren und zu beobachten Gelegen¬
heit gehabt. Darum kann ich mich auch, sobald jemand solches Entgegen¬
kommen des Deutschen mit scheelen Augen ansieht und als niedrige Ausländerei
tadelt, nie des Gedankens erwehren, daß für ihn wohl nur die Trauben zu
hoch hängen. Und wenn sich auch wirtlich einmal ein smarter Amerikaner ein¬
bilden sollte, er habe das Übergewicht über uns, weil wir uns herbeilassen,
seine Sprache mit ihn: zu sprechen, so täuscht er sich eben; im Grunde ge¬
nommen sind wir ihm doch überlegen , wir Profitiren von ihm und machen ihn
uns und unsern Zwecken dienstbar. Dieses Bewußtsein der Überlegenheit stärkt
auch das nationale Selbstgefühl.'

Dachte und handeltejeder so. so kämen wir weiter als mit dem ewigen
nutzlosen Lamcntiren, durch das wir uns dem Ausländer gegenüber, zu dessen
Ohren das doch schließlich auch dringt, nur schaden; denn sobald es sich um
etwas handelt, was geeignet ist, uns in seinen Augen herabzusetzen, ist er nur
zu leicht geneigt, alles für wahr zu halten.




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Viel Lärm um nichts.

Diese Aufschrift pcißt ja im allgemeinen für den
Politischen Teil der Zeitungen, aber es giebt Perioden, wo die Nichtse noch nich¬
tiger sind als gewöhnlich, und zu diesen gehört die eben abgelciufne Oster-
zeit. Daß die Konservativen und die Christlich-Sozialen nichts mehr von einander
wissen wollen, und daß sich Stöcker für jene entschieden hat, ohne vor der Hand
recht zu wissen, in welche Unterabteilung er gehört, das sind ja immerhin einiger¬
maßen politische Ereignisse; aber was geht es uns an, welcher der beteiligten Herren
es beim Scheidungsprozeß mit der Wahrheit etwas weniger genau genommen hat,
ob Herr Stöcker, oder Herr Krause, oder die Herren vom Elferausschuß? Mögen
sie doch die Sache in einem privaten Briefwechsel oder meinetwegen in Duellen
unter sich ausfechten! Freilich ist es auch wieder angenehm, wenn recht viel in


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/191>, abgerufen am 28.04.2024.