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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Feuer und Schwert im Hudan

le deutsche Reisebeschreibung hat ihren Höhepunkt noch nicht über¬
schritten. Das können wir getrost sagen einem so hervorragenden
Buche gegenüber, wie dem, das soeben im Verlage von Brock¬
haus in Leipzig erschienen ist: Feuer und Schwert im Sudan. .
Meine Kämpfe mit den Derwischen, meine Gefangenschaft und
Flucht. 1879 bis 1895. Von Rudolph stallr Pascha. (Deutsche Original¬
ausgabe. Mit einem Porträt. 19 Abbildungen von Talbot Kelly, einer Karte
und einem Plan.) Es ist wahr, daß von fernen Ländern und ihren Völkern
nicht mehr so viel neues gesagt werden kann, wie vor hundert und auch noch
vor dreißig Jahren. Aber bedeutende oder interessante Menschen, die in der
weiten Welt ungewöhnliche Schicksale haben, giebt es glücklicherweise immer
wieder, und die Stiftung eines neuen theokratischen Staates mit einer noch nicht
dagewesenen Spielart des Islam wiederholt sich nicht alle Jahrhunderte. stallr
verließ Europa als österreichischer Leutnant, wurde durch Gordon in ägyptische
Dienste gezogen und im Sudan und besonders in Dar For in verschiednen
Stellungen beschäftigt. Als er in jungen Jahren eine der höchsten Stufen der
ägyptisch-sudanischen Hierarchie erstiegen hatte, Gouverneur der großen West-
Provinz Dar For geworden war, erhoben sich schon über dem Nilthal die
Wolken des mahdistischen Aufstandes, den stallr mit Aufopferung seiner besten
Leute lange mit erstaunlicher Energie bekämpfte. Als seine Soldaten dezimirt
waren, seine Munition ausging, und die Offiziere und die Beamten zum Mahdi
abzufallen begannen, blieb stallr nichts übrig, als die Waffen zu strecken.
Sein letztes Mittel war der Übertritt zum Islam gewesen, wodurch er, der
letzte Europäer in dem weiten Lande, sich fester mit seinen Untergebnen zu
verbinden hoffte. Aber es half nichts. Er wanderte, wie viele andre, nach
Omderman in die Gefangenschaft, wo er in der nächsten Nähe des Mahdi
täglich fünf lange Gebete zu verrichten und dann als sklavenhaft gehaltener
Adjutant von Sonnenaufgang bis -Untergang auf der Schwelle des Chalifa zu
warten hatte. Lange Zeit mußte er dessen Ausritte zu Fuß begleiten. Das
dauerte elf lange Jahre. Sein Herr wurde immer despotischer und grausamer,
schon hatte er seine besten Freunde und die nächsten Verwandten des Mahdi
selbst Hunger, köpfen oder verstümmeln lassen, und stallr wußte, daß eines




Feuer und Schwert im Hudan

le deutsche Reisebeschreibung hat ihren Höhepunkt noch nicht über¬
schritten. Das können wir getrost sagen einem so hervorragenden
Buche gegenüber, wie dem, das soeben im Verlage von Brock¬
haus in Leipzig erschienen ist: Feuer und Schwert im Sudan. .
Meine Kämpfe mit den Derwischen, meine Gefangenschaft und
Flucht. 1879 bis 1895. Von Rudolph stallr Pascha. (Deutsche Original¬
ausgabe. Mit einem Porträt. 19 Abbildungen von Talbot Kelly, einer Karte
und einem Plan.) Es ist wahr, daß von fernen Ländern und ihren Völkern
nicht mehr so viel neues gesagt werden kann, wie vor hundert und auch noch
vor dreißig Jahren. Aber bedeutende oder interessante Menschen, die in der
weiten Welt ungewöhnliche Schicksale haben, giebt es glücklicherweise immer
wieder, und die Stiftung eines neuen theokratischen Staates mit einer noch nicht
dagewesenen Spielart des Islam wiederholt sich nicht alle Jahrhunderte. stallr
verließ Europa als österreichischer Leutnant, wurde durch Gordon in ägyptische
Dienste gezogen und im Sudan und besonders in Dar For in verschiednen
Stellungen beschäftigt. Als er in jungen Jahren eine der höchsten Stufen der
ägyptisch-sudanischen Hierarchie erstiegen hatte, Gouverneur der großen West-
Provinz Dar For geworden war, erhoben sich schon über dem Nilthal die
Wolken des mahdistischen Aufstandes, den stallr mit Aufopferung seiner besten
Leute lange mit erstaunlicher Energie bekämpfte. Als seine Soldaten dezimirt
waren, seine Munition ausging, und die Offiziere und die Beamten zum Mahdi
abzufallen begannen, blieb stallr nichts übrig, als die Waffen zu strecken.
Sein letztes Mittel war der Übertritt zum Islam gewesen, wodurch er, der
letzte Europäer in dem weiten Lande, sich fester mit seinen Untergebnen zu
verbinden hoffte. Aber es half nichts. Er wanderte, wie viele andre, nach
Omderman in die Gefangenschaft, wo er in der nächsten Nähe des Mahdi
täglich fünf lange Gebete zu verrichten und dann als sklavenhaft gehaltener
Adjutant von Sonnenaufgang bis -Untergang auf der Schwelle des Chalifa zu
warten hatte. Lange Zeit mußte er dessen Ausritte zu Fuß begleiten. Das
dauerte elf lange Jahre. Sein Herr wurde immer despotischer und grausamer,
schon hatte er seine besten Freunde und die nächsten Verwandten des Mahdi
selbst Hunger, köpfen oder verstümmeln lassen, und stallr wußte, daß eines


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[0021] [Abbildung] Feuer und Schwert im Hudan le deutsche Reisebeschreibung hat ihren Höhepunkt noch nicht über¬ schritten. Das können wir getrost sagen einem so hervorragenden Buche gegenüber, wie dem, das soeben im Verlage von Brock¬ haus in Leipzig erschienen ist: Feuer und Schwert im Sudan. . Meine Kämpfe mit den Derwischen, meine Gefangenschaft und Flucht. 1879 bis 1895. Von Rudolph stallr Pascha. (Deutsche Original¬ ausgabe. Mit einem Porträt. 19 Abbildungen von Talbot Kelly, einer Karte und einem Plan.) Es ist wahr, daß von fernen Ländern und ihren Völkern nicht mehr so viel neues gesagt werden kann, wie vor hundert und auch noch vor dreißig Jahren. Aber bedeutende oder interessante Menschen, die in der weiten Welt ungewöhnliche Schicksale haben, giebt es glücklicherweise immer wieder, und die Stiftung eines neuen theokratischen Staates mit einer noch nicht dagewesenen Spielart des Islam wiederholt sich nicht alle Jahrhunderte. stallr verließ Europa als österreichischer Leutnant, wurde durch Gordon in ägyptische Dienste gezogen und im Sudan und besonders in Dar For in verschiednen Stellungen beschäftigt. Als er in jungen Jahren eine der höchsten Stufen der ägyptisch-sudanischen Hierarchie erstiegen hatte, Gouverneur der großen West- Provinz Dar For geworden war, erhoben sich schon über dem Nilthal die Wolken des mahdistischen Aufstandes, den stallr mit Aufopferung seiner besten Leute lange mit erstaunlicher Energie bekämpfte. Als seine Soldaten dezimirt waren, seine Munition ausging, und die Offiziere und die Beamten zum Mahdi abzufallen begannen, blieb stallr nichts übrig, als die Waffen zu strecken. Sein letztes Mittel war der Übertritt zum Islam gewesen, wodurch er, der letzte Europäer in dem weiten Lande, sich fester mit seinen Untergebnen zu verbinden hoffte. Aber es half nichts. Er wanderte, wie viele andre, nach Omderman in die Gefangenschaft, wo er in der nächsten Nähe des Mahdi täglich fünf lange Gebete zu verrichten und dann als sklavenhaft gehaltener Adjutant von Sonnenaufgang bis -Untergang auf der Schwelle des Chalifa zu warten hatte. Lange Zeit mußte er dessen Ausritte zu Fuß begleiten. Das dauerte elf lange Jahre. Sein Herr wurde immer despotischer und grausamer, schon hatte er seine besten Freunde und die nächsten Verwandten des Mahdi selbst Hunger, köpfen oder verstümmeln lassen, und stallr wußte, daß eines

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/21>, abgerufen am 27.04.2024.