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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Feuer und Schwert im Sudan

Tages die Reihe auch an ihn kommen würde. Da gelang ihm zuletzt die
Flucht unter den abenteuerlichsten Umständen. Die zwei Fluchtkapitel wird
niemand ohne Herzklopfen lesen. Das ganze Buch ist spannender als ein
Roman. Man verliert nie die Teilnahme für den mutigen, geduldigen, alle
und alles überschauenden Helden.

Diese Reisebeschreibung ist aber zugleich ein Buch, dessen Wert für die
Geschichte des Mahdismus und der durch ihn gestürzten ägyptischen Herrschaft
im Sudan gar nicht hoch genug zu schätzen ist. Wenn diese Bewegung und
der von ihr ins Leben gerufne theokratische Staat der Vergangenheit angehören
wird, wird man in diesem Buche ihre Anfänge studiren und die Bedingungen
ihres überraschenden Anwachsens kennen lernen. Als zweite Quelle daneben
wird man nur das Buch des Missionars Ohrwalder nennen, das besonders sür
alles Religiöse und für die innern Zustände Kordofans wichtig ist. Aber
stallr hat schon den Beginn der Beivegnng in hoher Stellung erlebt, er hat
die Wellen, die 1884 auch seine Provinz verschlangen, erst klein und einzeln,
dann häufiger und stärker heranwachsen sehen. Und was ihm die anfängliche
Entfernung vou der Wiege des Mahdismus verbarg, das enthüllte ihm später
der heutige Herrscher des Sudan, der Chalifa Abdnllahi. Was stallr aus
den nächtlichen Erzählungen des schlaflosen Chalifa. denen er auf der Erde
sitzend zuhören mußte, über dessen Wanderung zum Mahdi, seine Jüngerschaft
und seine Erprobungen erzählt, ist von dem allgemeinsten Interesse. Nie hat der
Mitbegründer einer sür Kultur und Politik so wichtigen religiösen Bewegung
die ersten Anfänge und Beweggründe so klar berichtet. Als gezwungner Ver¬
trauter war stallr Tag für Tag in der nächsten Nähe des Chalifa und lernte
feine politischen Ziele und seine Methode aufs genaueste kennen. Nach den
ersten Jahre" der Beisternng war für ihn ebenso wie für den Mahdi die Re¬
ligion nur uoch ein Hauptmittel.

Der Mahdi selbst, ein Dongolaner von der Nilinsel Aryn, aus einer
armen Familie, die sich aber der Abstammung vom Propheten rühmte und
sich darum zu den Aschraf (Edeln) zählte, war ein von Natur religiös ange¬
legter Mensch; sein Vater war Fakir, er selbst -- sein Name war Mohammed
Achmed -- wurde Theolog und zog sich als Prediger einer mystischen Sekte
ans die Nilinsel Abba zurück, wo er mit einer Schar von Jüngern von Ackerbau
und milden Gaben lebte. Auch der jetzige Beherrscher des Reiches der Der¬
wische, Abdnllahi ehr Mohammed, zog ihm damals aus dem südwestlichen
Dar For zu, wo er in dem Araberstämme der Taascha-Baggara aufgewachsen
war. Man muß die Wanderung des Jünglings zu dem schon berühmten
Heiligen und seine Opfer und Prüfungen lesen, um sich in die von Fanatismus
erfüllte Atmosphäre jenes Winkels der mohammedanischen Welt zu versetzen.
stallr geht von der Ansicht aus, daß sich der Mahdi mit Bewußtsein dieses
Fanatismus bedient habe, um die Herrschaft der Ägypter und Türken im Sudan


Feuer und Schwert im Sudan

Tages die Reihe auch an ihn kommen würde. Da gelang ihm zuletzt die
Flucht unter den abenteuerlichsten Umständen. Die zwei Fluchtkapitel wird
niemand ohne Herzklopfen lesen. Das ganze Buch ist spannender als ein
Roman. Man verliert nie die Teilnahme für den mutigen, geduldigen, alle
und alles überschauenden Helden.

Diese Reisebeschreibung ist aber zugleich ein Buch, dessen Wert für die
Geschichte des Mahdismus und der durch ihn gestürzten ägyptischen Herrschaft
im Sudan gar nicht hoch genug zu schätzen ist. Wenn diese Bewegung und
der von ihr ins Leben gerufne theokratische Staat der Vergangenheit angehören
wird, wird man in diesem Buche ihre Anfänge studiren und die Bedingungen
ihres überraschenden Anwachsens kennen lernen. Als zweite Quelle daneben
wird man nur das Buch des Missionars Ohrwalder nennen, das besonders sür
alles Religiöse und für die innern Zustände Kordofans wichtig ist. Aber
stallr hat schon den Beginn der Beivegnng in hoher Stellung erlebt, er hat
die Wellen, die 1884 auch seine Provinz verschlangen, erst klein und einzeln,
dann häufiger und stärker heranwachsen sehen. Und was ihm die anfängliche
Entfernung vou der Wiege des Mahdismus verbarg, das enthüllte ihm später
der heutige Herrscher des Sudan, der Chalifa Abdnllahi. Was stallr aus
den nächtlichen Erzählungen des schlaflosen Chalifa. denen er auf der Erde
sitzend zuhören mußte, über dessen Wanderung zum Mahdi, seine Jüngerschaft
und seine Erprobungen erzählt, ist von dem allgemeinsten Interesse. Nie hat der
Mitbegründer einer sür Kultur und Politik so wichtigen religiösen Bewegung
die ersten Anfänge und Beweggründe so klar berichtet. Als gezwungner Ver¬
trauter war stallr Tag für Tag in der nächsten Nähe des Chalifa und lernte
feine politischen Ziele und seine Methode aufs genaueste kennen. Nach den
ersten Jahre» der Beisternng war für ihn ebenso wie für den Mahdi die Re¬
ligion nur uoch ein Hauptmittel.

Der Mahdi selbst, ein Dongolaner von der Nilinsel Aryn, aus einer
armen Familie, die sich aber der Abstammung vom Propheten rühmte und
sich darum zu den Aschraf (Edeln) zählte, war ein von Natur religiös ange¬
legter Mensch; sein Vater war Fakir, er selbst — sein Name war Mohammed
Achmed — wurde Theolog und zog sich als Prediger einer mystischen Sekte
ans die Nilinsel Abba zurück, wo er mit einer Schar von Jüngern von Ackerbau
und milden Gaben lebte. Auch der jetzige Beherrscher des Reiches der Der¬
wische, Abdnllahi ehr Mohammed, zog ihm damals aus dem südwestlichen
Dar For zu, wo er in dem Araberstämme der Taascha-Baggara aufgewachsen
war. Man muß die Wanderung des Jünglings zu dem schon berühmten
Heiligen und seine Opfer und Prüfungen lesen, um sich in die von Fanatismus
erfüllte Atmosphäre jenes Winkels der mohammedanischen Welt zu versetzen.
stallr geht von der Ansicht aus, daß sich der Mahdi mit Bewußtsein dieses
Fanatismus bedient habe, um die Herrschaft der Ägypter und Türken im Sudan


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[0022] Feuer und Schwert im Sudan Tages die Reihe auch an ihn kommen würde. Da gelang ihm zuletzt die Flucht unter den abenteuerlichsten Umständen. Die zwei Fluchtkapitel wird niemand ohne Herzklopfen lesen. Das ganze Buch ist spannender als ein Roman. Man verliert nie die Teilnahme für den mutigen, geduldigen, alle und alles überschauenden Helden. Diese Reisebeschreibung ist aber zugleich ein Buch, dessen Wert für die Geschichte des Mahdismus und der durch ihn gestürzten ägyptischen Herrschaft im Sudan gar nicht hoch genug zu schätzen ist. Wenn diese Bewegung und der von ihr ins Leben gerufne theokratische Staat der Vergangenheit angehören wird, wird man in diesem Buche ihre Anfänge studiren und die Bedingungen ihres überraschenden Anwachsens kennen lernen. Als zweite Quelle daneben wird man nur das Buch des Missionars Ohrwalder nennen, das besonders sür alles Religiöse und für die innern Zustände Kordofans wichtig ist. Aber stallr hat schon den Beginn der Beivegnng in hoher Stellung erlebt, er hat die Wellen, die 1884 auch seine Provinz verschlangen, erst klein und einzeln, dann häufiger und stärker heranwachsen sehen. Und was ihm die anfängliche Entfernung vou der Wiege des Mahdismus verbarg, das enthüllte ihm später der heutige Herrscher des Sudan, der Chalifa Abdnllahi. Was stallr aus den nächtlichen Erzählungen des schlaflosen Chalifa. denen er auf der Erde sitzend zuhören mußte, über dessen Wanderung zum Mahdi, seine Jüngerschaft und seine Erprobungen erzählt, ist von dem allgemeinsten Interesse. Nie hat der Mitbegründer einer sür Kultur und Politik so wichtigen religiösen Bewegung die ersten Anfänge und Beweggründe so klar berichtet. Als gezwungner Ver¬ trauter war stallr Tag für Tag in der nächsten Nähe des Chalifa und lernte feine politischen Ziele und seine Methode aufs genaueste kennen. Nach den ersten Jahre» der Beisternng war für ihn ebenso wie für den Mahdi die Re¬ ligion nur uoch ein Hauptmittel. Der Mahdi selbst, ein Dongolaner von der Nilinsel Aryn, aus einer armen Familie, die sich aber der Abstammung vom Propheten rühmte und sich darum zu den Aschraf (Edeln) zählte, war ein von Natur religiös ange¬ legter Mensch; sein Vater war Fakir, er selbst — sein Name war Mohammed Achmed — wurde Theolog und zog sich als Prediger einer mystischen Sekte ans die Nilinsel Abba zurück, wo er mit einer Schar von Jüngern von Ackerbau und milden Gaben lebte. Auch der jetzige Beherrscher des Reiches der Der¬ wische, Abdnllahi ehr Mohammed, zog ihm damals aus dem südwestlichen Dar For zu, wo er in dem Araberstämme der Taascha-Baggara aufgewachsen war. Man muß die Wanderung des Jünglings zu dem schon berühmten Heiligen und seine Opfer und Prüfungen lesen, um sich in die von Fanatismus erfüllte Atmosphäre jenes Winkels der mohammedanischen Welt zu versetzen. stallr geht von der Ansicht aus, daß sich der Mahdi mit Bewußtsein dieses Fanatismus bedient habe, um die Herrschaft der Ägypter und Türken im Sudan

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/22>, abgerufen am 10.05.2024.