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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Zeitungen, die das Vaterland lieben

is im Anfange dieses Jahres der veneznelische Grenzstreit zwischen
Nordamerika und England erörtert wurde, haben wir den deutschen
Zeitungen gut zugeredet, sie möchten sich bei ihren Ansichten
oder doch wenigstens bei der Äußerung dieser Ansichten nicht
gar so sehr lehrhaft, weise und rechtswissenschaftlich geberden.
Langatmige Rechtsauseinandersetzungcn und Wortklaubereien über Staatsver-
träge anzuhören, dazu hat heutzutage kein Mensch mehr Geduld. Die Haupt¬
sache für jede deutsche Zeitung bleibt immer die Frage: Was nützt dem deutschen
Reiche am meisten?

Leider hat die Ermahnung nicht viel genutzt. Jetzt bei der Beurteilung
der deutschen Staatskunst zum Feldzug Ägyptens und Englands uach Don-
gola wird die Sachlage wieder so kurzsichtig aufgefaßt und beredet, nament¬
lich von einer größern schlesischen Zeitung, daß wir abermals das Wort er¬
greifen müssen zu einer Strafpredigt an die deutscheu Tageszeitungen, die
das Vaterland lieben.

Wie ein blinder Gaul im Göpelwerk, so laufen diese deutschen Tages¬
zeitungen emsig um den einen Gedanken herum, Deutschland habe seine Zu¬
stimmung zu der Verwendung ägyptischer Staatsgelder für den Sudaufeldzug
gegeben, um den Italienern in Abessinien durch den englischen Flankenangriff
eine Erleichterung zu verschaffen. Dann folgen deutliche Winke, die deutschen
Staatsmänner hätten sich geirrt; England verfolge nur seinen eignen Vorteil,
und Italien werde nicht einmal nebenbei die Früchte des englischen Feldzugs
mit genieße", sondern wahrscheinlich das Nachsehen, wenn nicht geradezu
Schade" davon haben.

Dieser Gedankengang der Zeitungen läßt, wir müssen es leider sagen,
auf einen bedenklichen Mangel an Scharfsinn schließen. Man vermißt aber


Grenzboten II 1896 31


Zeitungen, die das Vaterland lieben

is im Anfange dieses Jahres der veneznelische Grenzstreit zwischen
Nordamerika und England erörtert wurde, haben wir den deutschen
Zeitungen gut zugeredet, sie möchten sich bei ihren Ansichten
oder doch wenigstens bei der Äußerung dieser Ansichten nicht
gar so sehr lehrhaft, weise und rechtswissenschaftlich geberden.
Langatmige Rechtsauseinandersetzungcn und Wortklaubereien über Staatsver-
träge anzuhören, dazu hat heutzutage kein Mensch mehr Geduld. Die Haupt¬
sache für jede deutsche Zeitung bleibt immer die Frage: Was nützt dem deutschen
Reiche am meisten?

Leider hat die Ermahnung nicht viel genutzt. Jetzt bei der Beurteilung
der deutschen Staatskunst zum Feldzug Ägyptens und Englands uach Don-
gola wird die Sachlage wieder so kurzsichtig aufgefaßt und beredet, nament¬
lich von einer größern schlesischen Zeitung, daß wir abermals das Wort er¬
greifen müssen zu einer Strafpredigt an die deutscheu Tageszeitungen, die
das Vaterland lieben.

Wie ein blinder Gaul im Göpelwerk, so laufen diese deutschen Tages¬
zeitungen emsig um den einen Gedanken herum, Deutschland habe seine Zu¬
stimmung zu der Verwendung ägyptischer Staatsgelder für den Sudaufeldzug
gegeben, um den Italienern in Abessinien durch den englischen Flankenangriff
eine Erleichterung zu verschaffen. Dann folgen deutliche Winke, die deutschen
Staatsmänner hätten sich geirrt; England verfolge nur seinen eignen Vorteil,
und Italien werde nicht einmal nebenbei die Früchte des englischen Feldzugs
mit genieße», sondern wahrscheinlich das Nachsehen, wenn nicht geradezu
Schade« davon haben.

Dieser Gedankengang der Zeitungen läßt, wir müssen es leider sagen,
auf einen bedenklichen Mangel an Scharfsinn schließen. Man vermißt aber


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[0249] [Abbildung] Zeitungen, die das Vaterland lieben is im Anfange dieses Jahres der veneznelische Grenzstreit zwischen Nordamerika und England erörtert wurde, haben wir den deutschen Zeitungen gut zugeredet, sie möchten sich bei ihren Ansichten oder doch wenigstens bei der Äußerung dieser Ansichten nicht gar so sehr lehrhaft, weise und rechtswissenschaftlich geberden. Langatmige Rechtsauseinandersetzungcn und Wortklaubereien über Staatsver- träge anzuhören, dazu hat heutzutage kein Mensch mehr Geduld. Die Haupt¬ sache für jede deutsche Zeitung bleibt immer die Frage: Was nützt dem deutschen Reiche am meisten? Leider hat die Ermahnung nicht viel genutzt. Jetzt bei der Beurteilung der deutschen Staatskunst zum Feldzug Ägyptens und Englands uach Don- gola wird die Sachlage wieder so kurzsichtig aufgefaßt und beredet, nament¬ lich von einer größern schlesischen Zeitung, daß wir abermals das Wort er¬ greifen müssen zu einer Strafpredigt an die deutscheu Tageszeitungen, die das Vaterland lieben. Wie ein blinder Gaul im Göpelwerk, so laufen diese deutschen Tages¬ zeitungen emsig um den einen Gedanken herum, Deutschland habe seine Zu¬ stimmung zu der Verwendung ägyptischer Staatsgelder für den Sudaufeldzug gegeben, um den Italienern in Abessinien durch den englischen Flankenangriff eine Erleichterung zu verschaffen. Dann folgen deutliche Winke, die deutschen Staatsmänner hätten sich geirrt; England verfolge nur seinen eignen Vorteil, und Italien werde nicht einmal nebenbei die Früchte des englischen Feldzugs mit genieße», sondern wahrscheinlich das Nachsehen, wenn nicht geradezu Schade« davon haben. Dieser Gedankengang der Zeitungen läßt, wir müssen es leider sagen, auf einen bedenklichen Mangel an Scharfsinn schließen. Man vermißt aber Grenzboten II 1896 31

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/249>, abgerufen am 28.04.2024.