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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Der Tuchmacherstreik in Rottbus

Zeitungen breitgetreten wird und Deutschland vor dem Auslande lächerlich
macht. Das Schlimmste aber sind die kleinlichen Zeitungsstreitigkeiten. Irgend
eine Zeitung hat irgend eine gleichgiltige Nachricht gebracht, z. B. der König
von Serbien beabsichtige zu heiraten. Sofort findet sich eine andre Zeitung,
die der ersten etwas am Zeuge flicken will, und aus sicherer Quelle
"konstatirt," daß der König von Serbien nicht zu heiraten beabsichtige,
daß aber der Exkönig Milan seinen Sohn an eine amerikanische Erbin
verheiraten wolle. Dieser jämmerliche Zeitungsklatsch, diese bedientenhafte
Neugier nach den Geheimnissen gekrönter oder entkrönter Häupter, diese
kleinliche Rechthaberei ist im hohen Grade lustig und langweilig. Wenn
sich doch endlich einmal eine deutsche Tageszeitung fände, die es sich
zur Aufgabe machte, für eine vornehm denkende Zuhörerschaft die Zeitereig¬
nisse lediglich unterhaltend darzustelle"! Vielleicht giebt es noch einige sonder¬
bare Schwärmer, die das Theater für eine moralische Anstalt halten. Aber
kaum ein einziger Schwärmer dürfte sich unter welterfahrnen Leuten finden,
der aus einer Tageszeitung die Wahrheit zu erfahren glaubt, und nun gar
die doppelt und dreifach gepanzerte geschichtliche Wahrheit. Anregend, wirksam
für das Wohl des Vaterlands soll eine Tageszeitung sein; mit der Wahrheit
hat sie nichts zu schaffen, wenn die Wahrheit nicht nebenbei auch anregend
ist, oder vielmehr wenn das Anregende nicht nebenbei auch wahr ist. Dazu
muß aber der Zeitungsmann ein Weltmann sein, der die Sprache so beherrscht,
daß er die Dinge nur halb zu sagen braucht und dennoch des Verständnisses
seiner Leser gewiß ist, nicht aber ein langweiliger Schulmeister, der seine
Weisheit bis ans die Hefe ausgießt und selbst in kleinen Dingen auf einer
unnötigen Folgerichtigkeit besteht. Eine vornehm denkende, von einem Welt¬
mann geleitete Zeitung kann mit Leichtigkeit dem Auslande gegenüber jene
Doppelzüngigkeit, jene Staatskunst zweiter Klasse üben, die zuweilen eine sehr
empfehlenswerte Eigenschaft ist für solche, die das Vaterland lieben.




Der Tuchmacherstreik in Kottbus

meer den Arbeiteraufständen der letzten Zeit hat der über acht
Wochen dauernde Streik der Textilarbeiter in Kottbns in be-
sonderm Grade die Aufmerksamkeit derer auf sich gelenkt, die sich
mit der Arbeiterbewegung zu beschäftigen Pflegen, und zwar ver¬
dient er nicht nnr Beachtung wegen der großen Zahl der Strei¬
tenden - es waren etwa 5000 --, sondern auch wegen der Art, wie der
Streik geführt worden ist. Man sollte meinen, die lange Arbeitslosigkeit so


Der Tuchmacherstreik in Rottbus

Zeitungen breitgetreten wird und Deutschland vor dem Auslande lächerlich
macht. Das Schlimmste aber sind die kleinlichen Zeitungsstreitigkeiten. Irgend
eine Zeitung hat irgend eine gleichgiltige Nachricht gebracht, z. B. der König
von Serbien beabsichtige zu heiraten. Sofort findet sich eine andre Zeitung,
die der ersten etwas am Zeuge flicken will, und aus sicherer Quelle
„konstatirt," daß der König von Serbien nicht zu heiraten beabsichtige,
daß aber der Exkönig Milan seinen Sohn an eine amerikanische Erbin
verheiraten wolle. Dieser jämmerliche Zeitungsklatsch, diese bedientenhafte
Neugier nach den Geheimnissen gekrönter oder entkrönter Häupter, diese
kleinliche Rechthaberei ist im hohen Grade lustig und langweilig. Wenn
sich doch endlich einmal eine deutsche Tageszeitung fände, die es sich
zur Aufgabe machte, für eine vornehm denkende Zuhörerschaft die Zeitereig¬
nisse lediglich unterhaltend darzustelle»! Vielleicht giebt es noch einige sonder¬
bare Schwärmer, die das Theater für eine moralische Anstalt halten. Aber
kaum ein einziger Schwärmer dürfte sich unter welterfahrnen Leuten finden,
der aus einer Tageszeitung die Wahrheit zu erfahren glaubt, und nun gar
die doppelt und dreifach gepanzerte geschichtliche Wahrheit. Anregend, wirksam
für das Wohl des Vaterlands soll eine Tageszeitung sein; mit der Wahrheit
hat sie nichts zu schaffen, wenn die Wahrheit nicht nebenbei auch anregend
ist, oder vielmehr wenn das Anregende nicht nebenbei auch wahr ist. Dazu
muß aber der Zeitungsmann ein Weltmann sein, der die Sprache so beherrscht,
daß er die Dinge nur halb zu sagen braucht und dennoch des Verständnisses
seiner Leser gewiß ist, nicht aber ein langweiliger Schulmeister, der seine
Weisheit bis ans die Hefe ausgießt und selbst in kleinen Dingen auf einer
unnötigen Folgerichtigkeit besteht. Eine vornehm denkende, von einem Welt¬
mann geleitete Zeitung kann mit Leichtigkeit dem Auslande gegenüber jene
Doppelzüngigkeit, jene Staatskunst zweiter Klasse üben, die zuweilen eine sehr
empfehlenswerte Eigenschaft ist für solche, die das Vaterland lieben.




Der Tuchmacherstreik in Kottbus

meer den Arbeiteraufständen der letzten Zeit hat der über acht
Wochen dauernde Streik der Textilarbeiter in Kottbns in be-
sonderm Grade die Aufmerksamkeit derer auf sich gelenkt, die sich
mit der Arbeiterbewegung zu beschäftigen Pflegen, und zwar ver¬
dient er nicht nnr Beachtung wegen der großen Zahl der Strei¬
tenden - es waren etwa 5000 —, sondern auch wegen der Art, wie der
Streik geführt worden ist. Man sollte meinen, die lange Arbeitslosigkeit so


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/254>, abgerufen am 28.04.2024.