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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Heinrich von Treitschke

Denkmälern hier aufgefundne Doppeladler. In gewaltigem Wellenschlag flutete
hier die Weltgeschichte hinüber und herüber. Westwärts in unzähligen Scharen
zogen einst die Perserheere, aber die Überzahl der asiatischen Barbaren erlag
der Heldenkraft des Griechenvolkes, und alsbald eroberte Alexander die asiatische
Welt hellenischer Kultur und Gesittung. Sein Werk setzten die Römer fort.
Ein volles Jahrtausend herrschte griechische Sprache und Kultur in Kleinasien,
als -- ein neuer Strom aus Asien -- die Türken über das Land hinstrecken
und auf den Trümmern des morschen Byzantinerreiches ihre nun schon fünf¬
hundertjährige Herrschaft in Europa gründeten. Jetzt aber scheint in rück¬
flutender Bewegung wieder das Abendland seinen Siegeseinzug in Asien an¬
treten zu sollen. Hoffentlich folgt aus die fünf Jahrhunderte asiatischer Barbarei
und türkischer Trägheit eine mindestens gleich lange, gesegnete Zeit europäischer
Bildung und Gesittung.

Die Türkenherrschaft hat einst die Verbindung zwischen dem Morgen- und
dem Abendlande jäh und gewaltsam unterbrochen. Durch das Machtwort
Muhammeds des Eroberers wurden zwei Kontinente auf Jahrhunderte von
einander getrennt, und der blühende Handel der Genuesen und Venezianer
nach Indien vernichtet. Bei dem Versuch, einen westlichen Seeweg nach Indien
zu finden, wurde drei Jahrzehnte später Amerika entdeckt und der ganze Erd¬
kreis der menschlichen Forschung erschlossen. Es erscheint wie das Walten
einer höhern Macht, die selbst das Böse zum Guten zu führen weiß, daß sich
die europäischen Völker, von ihrer einseitigen Richtung nach Osten durch das
Dazwischentreten des Türkenvolks abgelenkt, dem Westen zuwenden mußten,
um hier mit dem Zeitalter der Entdeckungen einen neuen Abschnitt der Welt¬
geschichte zu eröffnen, wenn man überhaupt vorher von einer Weltgeschichte
reden kann. Hierzu den Anstoß gegeben zu haben, scheint der geschichtliche
Beruf des Türkenvolkes gewesen zu sein. Nun er vollendet ist, tritt es
wieder von der Weltenbühne zurück.




Heinrich von Treitschke

Der Mensch versteht nur, was er liebt

in 28. April ist Heinrich von Treitschke allzu früh, im Alter von
noch nicht 62 Jahren, der deutschen Wissenschaft und wir dürfen
sagen der deutschen Nation entrissen worden. Unter den Hi¬
storikern unsrer Zeit nahm er eine völlig eigenartige Stellung
ein, und nach dem Hinscheiden Rankes.und Sybels in Deutsch¬
land ohne alle Frage die erste. Jetzt ist dieser Platz leer, und er wird so bald


Grenzboten II 1896 35
Heinrich von Treitschke

Denkmälern hier aufgefundne Doppeladler. In gewaltigem Wellenschlag flutete
hier die Weltgeschichte hinüber und herüber. Westwärts in unzähligen Scharen
zogen einst die Perserheere, aber die Überzahl der asiatischen Barbaren erlag
der Heldenkraft des Griechenvolkes, und alsbald eroberte Alexander die asiatische
Welt hellenischer Kultur und Gesittung. Sein Werk setzten die Römer fort.
Ein volles Jahrtausend herrschte griechische Sprache und Kultur in Kleinasien,
als — ein neuer Strom aus Asien — die Türken über das Land hinstrecken
und auf den Trümmern des morschen Byzantinerreiches ihre nun schon fünf¬
hundertjährige Herrschaft in Europa gründeten. Jetzt aber scheint in rück¬
flutender Bewegung wieder das Abendland seinen Siegeseinzug in Asien an¬
treten zu sollen. Hoffentlich folgt aus die fünf Jahrhunderte asiatischer Barbarei
und türkischer Trägheit eine mindestens gleich lange, gesegnete Zeit europäischer
Bildung und Gesittung.

Die Türkenherrschaft hat einst die Verbindung zwischen dem Morgen- und
dem Abendlande jäh und gewaltsam unterbrochen. Durch das Machtwort
Muhammeds des Eroberers wurden zwei Kontinente auf Jahrhunderte von
einander getrennt, und der blühende Handel der Genuesen und Venezianer
nach Indien vernichtet. Bei dem Versuch, einen westlichen Seeweg nach Indien
zu finden, wurde drei Jahrzehnte später Amerika entdeckt und der ganze Erd¬
kreis der menschlichen Forschung erschlossen. Es erscheint wie das Walten
einer höhern Macht, die selbst das Böse zum Guten zu führen weiß, daß sich
die europäischen Völker, von ihrer einseitigen Richtung nach Osten durch das
Dazwischentreten des Türkenvolks abgelenkt, dem Westen zuwenden mußten,
um hier mit dem Zeitalter der Entdeckungen einen neuen Abschnitt der Welt¬
geschichte zu eröffnen, wenn man überhaupt vorher von einer Weltgeschichte
reden kann. Hierzu den Anstoß gegeben zu haben, scheint der geschichtliche
Beruf des Türkenvolkes gewesen zu sein. Nun er vollendet ist, tritt es
wieder von der Weltenbühne zurück.




Heinrich von Treitschke

Der Mensch versteht nur, was er liebt

in 28. April ist Heinrich von Treitschke allzu früh, im Alter von
noch nicht 62 Jahren, der deutschen Wissenschaft und wir dürfen
sagen der deutschen Nation entrissen worden. Unter den Hi¬
storikern unsrer Zeit nahm er eine völlig eigenartige Stellung
ein, und nach dem Hinscheiden Rankes.und Sybels in Deutsch¬
land ohne alle Frage die erste. Jetzt ist dieser Platz leer, und er wird so bald


Grenzboten II 1896 35
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[0281] Heinrich von Treitschke Denkmälern hier aufgefundne Doppeladler. In gewaltigem Wellenschlag flutete hier die Weltgeschichte hinüber und herüber. Westwärts in unzähligen Scharen zogen einst die Perserheere, aber die Überzahl der asiatischen Barbaren erlag der Heldenkraft des Griechenvolkes, und alsbald eroberte Alexander die asiatische Welt hellenischer Kultur und Gesittung. Sein Werk setzten die Römer fort. Ein volles Jahrtausend herrschte griechische Sprache und Kultur in Kleinasien, als — ein neuer Strom aus Asien — die Türken über das Land hinstrecken und auf den Trümmern des morschen Byzantinerreiches ihre nun schon fünf¬ hundertjährige Herrschaft in Europa gründeten. Jetzt aber scheint in rück¬ flutender Bewegung wieder das Abendland seinen Siegeseinzug in Asien an¬ treten zu sollen. Hoffentlich folgt aus die fünf Jahrhunderte asiatischer Barbarei und türkischer Trägheit eine mindestens gleich lange, gesegnete Zeit europäischer Bildung und Gesittung. Die Türkenherrschaft hat einst die Verbindung zwischen dem Morgen- und dem Abendlande jäh und gewaltsam unterbrochen. Durch das Machtwort Muhammeds des Eroberers wurden zwei Kontinente auf Jahrhunderte von einander getrennt, und der blühende Handel der Genuesen und Venezianer nach Indien vernichtet. Bei dem Versuch, einen westlichen Seeweg nach Indien zu finden, wurde drei Jahrzehnte später Amerika entdeckt und der ganze Erd¬ kreis der menschlichen Forschung erschlossen. Es erscheint wie das Walten einer höhern Macht, die selbst das Böse zum Guten zu führen weiß, daß sich die europäischen Völker, von ihrer einseitigen Richtung nach Osten durch das Dazwischentreten des Türkenvolks abgelenkt, dem Westen zuwenden mußten, um hier mit dem Zeitalter der Entdeckungen einen neuen Abschnitt der Welt¬ geschichte zu eröffnen, wenn man überhaupt vorher von einer Weltgeschichte reden kann. Hierzu den Anstoß gegeben zu haben, scheint der geschichtliche Beruf des Türkenvolkes gewesen zu sein. Nun er vollendet ist, tritt es wieder von der Weltenbühne zurück. Heinrich von Treitschke Der Mensch versteht nur, was er liebt in 28. April ist Heinrich von Treitschke allzu früh, im Alter von noch nicht 62 Jahren, der deutschen Wissenschaft und wir dürfen sagen der deutschen Nation entrissen worden. Unter den Hi¬ storikern unsrer Zeit nahm er eine völlig eigenartige Stellung ein, und nach dem Hinscheiden Rankes.und Sybels in Deutsch¬ land ohne alle Frage die erste. Jetzt ist dieser Platz leer, und er wird so bald Grenzboten II 1896 35

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/281>, abgerufen am 28.04.2024.