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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Heinrich von Treitschke

nicht wieder besetzt werden, sicher nicht mit einem Manne dieser Prägung.
Denn ein Mann wie Treitschke konnte nur erwachsen in einer Umgebung und
in einer Zeit wie der seinigen. Er war ein Typus des obersächsischen Stammes,
und zwar jener Art, die, wie Lessing, Fichte und Körner, die "warmherzige
Männlichkeit" vertritt, im merkwürdigen Gegensatze zu jener sinnigen Weichheit,
die sich etwa in Ludwig Richter und Ernst Rietschel verkörpert hat und die die
häufigere Eigenschaft ist. Er war weiter der Sprößling eines alten sächsischen
Adelsgeschlechts, das den Dienst im Heere als eine selbstverständliche Pflicht
ansah, und ein militärischer, Waffen- und kampfesfreudiger Zug tritt auch in
ihm hervor.

Aber bedeutende Naturen entwickeln sich nicht nur im Einklange mit ihrer
Umgebung und durch sie, sondern ebenso sehr und zuweilen noch mehr durch
den Gegensatz zu ihr. So war es bei Treitschke. Die Überlieferungen und
die Gesinnungen seiner Familie wiesen ihn in eine streng sächsisch-partikularistische
Richtung, auf die entschiedenste Abneigung, das tiefste Mißtrauen gegen
Preußen, und seine bildsamsten Jugendjahre fielen in die häßlichste Zeit der Re¬
aktion, wo der nationale Gedanke als Hochverrat galt und sein berufner Trüger,
Preußen, nachdem es ihn selber von sich gewiesen hatte, mißachtet beiseite ge¬
schoben war. Und dieses "Dresdner Kind" wurde, als es sich kaum aus den
engen Verhältnissen der Heimat losgerissen hatte, zum flammenden Herold des
deutschen Berufes der Hohenzollern, gerade deshalb, weil Treitschke den Un-
segen deutscher Zerrissenheit als Angehöriger eines kleinen Staates tiefer empfand
als ein geborner Preuße. Es ziemt sich nicht, davon zu reden, wie ihn dies
innerlich auf lange Zeit von seiner Familie, auch von seinem geliebten Vater
trennte; aber in spätern Schilderungen von ihm, wie in der von Lessings Ver¬
hältnis zum Pfarrhause in Kamenz, meint man das eigne schwere Leid des
Verfassers durchzittern zu hören.

So betrat er als blutjunger Privatdozent der Geschichte zuerst in Leipzig
das Katheder. Nur wer diese Jahre dort miterlebt hat, kann ganz verstehen,
was er hier gewirkt hat. Die Geschichte war damals in Leipzig hauptsächlich
vertreten durch den greisen Wachsmuth, der vor wenigen Zuhörern zu Hause
im Lehnstuhl las, und dnrch den fanatischen großdeutsch-österreichischen Demo¬
kraten Wuttke, der durch die gehässige Parteilichkeit seiner Auffassung viel mehr
abstieß als anzog. Dafür drängten sich Hunderte von Studenten aller Fakul¬
täten zu Treitschkes Vorlesungen über die neueste Geschichte; sie füllten den
größten Hörsaal des Augusteums bis auf den letzten Platz und horchten voll
Spannung und mit einer Art von Andacht auf jedes Wort des jungen Redners
mit dem dunkeln, dichten Haar und dem starken Schnurrbart in dem kräftigen,
scharfgeschnittenen Gesicht, dessen hohe Gestalt straff aufgerichtet dastand, den
Arm leicht auf das Pult gestützt, den Kopf etwas zurückgeworfen, und aus
dunkeln Augen wie befehlend und beherrschend über die Menge zu seinen Füßen


Heinrich von Treitschke

nicht wieder besetzt werden, sicher nicht mit einem Manne dieser Prägung.
Denn ein Mann wie Treitschke konnte nur erwachsen in einer Umgebung und
in einer Zeit wie der seinigen. Er war ein Typus des obersächsischen Stammes,
und zwar jener Art, die, wie Lessing, Fichte und Körner, die „warmherzige
Männlichkeit" vertritt, im merkwürdigen Gegensatze zu jener sinnigen Weichheit,
die sich etwa in Ludwig Richter und Ernst Rietschel verkörpert hat und die die
häufigere Eigenschaft ist. Er war weiter der Sprößling eines alten sächsischen
Adelsgeschlechts, das den Dienst im Heere als eine selbstverständliche Pflicht
ansah, und ein militärischer, Waffen- und kampfesfreudiger Zug tritt auch in
ihm hervor.

Aber bedeutende Naturen entwickeln sich nicht nur im Einklange mit ihrer
Umgebung und durch sie, sondern ebenso sehr und zuweilen noch mehr durch
den Gegensatz zu ihr. So war es bei Treitschke. Die Überlieferungen und
die Gesinnungen seiner Familie wiesen ihn in eine streng sächsisch-partikularistische
Richtung, auf die entschiedenste Abneigung, das tiefste Mißtrauen gegen
Preußen, und seine bildsamsten Jugendjahre fielen in die häßlichste Zeit der Re¬
aktion, wo der nationale Gedanke als Hochverrat galt und sein berufner Trüger,
Preußen, nachdem es ihn selber von sich gewiesen hatte, mißachtet beiseite ge¬
schoben war. Und dieses „Dresdner Kind" wurde, als es sich kaum aus den
engen Verhältnissen der Heimat losgerissen hatte, zum flammenden Herold des
deutschen Berufes der Hohenzollern, gerade deshalb, weil Treitschke den Un-
segen deutscher Zerrissenheit als Angehöriger eines kleinen Staates tiefer empfand
als ein geborner Preuße. Es ziemt sich nicht, davon zu reden, wie ihn dies
innerlich auf lange Zeit von seiner Familie, auch von seinem geliebten Vater
trennte; aber in spätern Schilderungen von ihm, wie in der von Lessings Ver¬
hältnis zum Pfarrhause in Kamenz, meint man das eigne schwere Leid des
Verfassers durchzittern zu hören.

So betrat er als blutjunger Privatdozent der Geschichte zuerst in Leipzig
das Katheder. Nur wer diese Jahre dort miterlebt hat, kann ganz verstehen,
was er hier gewirkt hat. Die Geschichte war damals in Leipzig hauptsächlich
vertreten durch den greisen Wachsmuth, der vor wenigen Zuhörern zu Hause
im Lehnstuhl las, und dnrch den fanatischen großdeutsch-österreichischen Demo¬
kraten Wuttke, der durch die gehässige Parteilichkeit seiner Auffassung viel mehr
abstieß als anzog. Dafür drängten sich Hunderte von Studenten aller Fakul¬
täten zu Treitschkes Vorlesungen über die neueste Geschichte; sie füllten den
größten Hörsaal des Augusteums bis auf den letzten Platz und horchten voll
Spannung und mit einer Art von Andacht auf jedes Wort des jungen Redners
mit dem dunkeln, dichten Haar und dem starken Schnurrbart in dem kräftigen,
scharfgeschnittenen Gesicht, dessen hohe Gestalt straff aufgerichtet dastand, den
Arm leicht auf das Pult gestützt, den Kopf etwas zurückgeworfen, und aus
dunkeln Augen wie befehlend und beherrschend über die Menge zu seinen Füßen


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[0282] Heinrich von Treitschke nicht wieder besetzt werden, sicher nicht mit einem Manne dieser Prägung. Denn ein Mann wie Treitschke konnte nur erwachsen in einer Umgebung und in einer Zeit wie der seinigen. Er war ein Typus des obersächsischen Stammes, und zwar jener Art, die, wie Lessing, Fichte und Körner, die „warmherzige Männlichkeit" vertritt, im merkwürdigen Gegensatze zu jener sinnigen Weichheit, die sich etwa in Ludwig Richter und Ernst Rietschel verkörpert hat und die die häufigere Eigenschaft ist. Er war weiter der Sprößling eines alten sächsischen Adelsgeschlechts, das den Dienst im Heere als eine selbstverständliche Pflicht ansah, und ein militärischer, Waffen- und kampfesfreudiger Zug tritt auch in ihm hervor. Aber bedeutende Naturen entwickeln sich nicht nur im Einklange mit ihrer Umgebung und durch sie, sondern ebenso sehr und zuweilen noch mehr durch den Gegensatz zu ihr. So war es bei Treitschke. Die Überlieferungen und die Gesinnungen seiner Familie wiesen ihn in eine streng sächsisch-partikularistische Richtung, auf die entschiedenste Abneigung, das tiefste Mißtrauen gegen Preußen, und seine bildsamsten Jugendjahre fielen in die häßlichste Zeit der Re¬ aktion, wo der nationale Gedanke als Hochverrat galt und sein berufner Trüger, Preußen, nachdem es ihn selber von sich gewiesen hatte, mißachtet beiseite ge¬ schoben war. Und dieses „Dresdner Kind" wurde, als es sich kaum aus den engen Verhältnissen der Heimat losgerissen hatte, zum flammenden Herold des deutschen Berufes der Hohenzollern, gerade deshalb, weil Treitschke den Un- segen deutscher Zerrissenheit als Angehöriger eines kleinen Staates tiefer empfand als ein geborner Preuße. Es ziemt sich nicht, davon zu reden, wie ihn dies innerlich auf lange Zeit von seiner Familie, auch von seinem geliebten Vater trennte; aber in spätern Schilderungen von ihm, wie in der von Lessings Ver¬ hältnis zum Pfarrhause in Kamenz, meint man das eigne schwere Leid des Verfassers durchzittern zu hören. So betrat er als blutjunger Privatdozent der Geschichte zuerst in Leipzig das Katheder. Nur wer diese Jahre dort miterlebt hat, kann ganz verstehen, was er hier gewirkt hat. Die Geschichte war damals in Leipzig hauptsächlich vertreten durch den greisen Wachsmuth, der vor wenigen Zuhörern zu Hause im Lehnstuhl las, und dnrch den fanatischen großdeutsch-österreichischen Demo¬ kraten Wuttke, der durch die gehässige Parteilichkeit seiner Auffassung viel mehr abstieß als anzog. Dafür drängten sich Hunderte von Studenten aller Fakul¬ täten zu Treitschkes Vorlesungen über die neueste Geschichte; sie füllten den größten Hörsaal des Augusteums bis auf den letzten Platz und horchten voll Spannung und mit einer Art von Andacht auf jedes Wort des jungen Redners mit dem dunkeln, dichten Haar und dem starken Schnurrbart in dem kräftigen, scharfgeschnittenen Gesicht, dessen hohe Gestalt straff aufgerichtet dastand, den Arm leicht auf das Pult gestützt, den Kopf etwas zurückgeworfen, und aus dunkeln Augen wie befehlend und beherrschend über die Menge zu seinen Füßen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/282>, abgerufen am 11.05.2024.