Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Leipziger Pasquillanteil des achtzehnten Jahrhunderts

durchweg eine bessere Ausbildung genießen, und so würde damit zum Teil
auch die vielumstrittne Schulfrage, deren Lösung wesentlich mit ans diesem
Gebiete liegt, erledigt werden. Aber nicht nur für die staatlichen Berufe
würde die neue Einrichtung von Wichtigkeit sein, auch Privatleute, die auf
Staatsprüfungen wenig Wert legen und ihre Beamten nach andern Rücksichten
als der Staat auswählen, müßte an einem Nachweis über Studien auf be¬
stimmten Gebieten viel gelegen sein. Die Auswahl der Zeugnisse würde bei
ihnen wahrscheinlich eine andre, die Zeugnisse selbst aber könnten ihnen un¬
möglich gleichgiltig sein. Wie das ganze Studium, so würde auch das Examen
eine in gutem Sinne freiere, weniger büreaukratische, mehr dem gesamten
nationalen Leben und der Mannichfaltigkeit seiner Bedürfnisse gerecht werdende
Form gewinnen.




Leipziger pasquillanten des achtzehnten Jahrhunderts

ur die Aufgabe der Presse, an unsern gesellschaftlichen Zuständen
Kritik zu üben, eine Aufgabe, die, wenn sie freimütig (ohne
Furcht), ehrlich (ohne Heuchelei) und anständig (ohne Klatsch-
und Skandalsucht) geübt wird, was alles gleich selten geschieht,
zu ihren wichtigsten und dankbarsten Aufgaben gehört, war in
der Tagespresse früherer Zeiten wenig oder kein Raum. Wer z. B. am Ende
des vorigen oder zu Anfang dieses Jahrhunderts gesellschaftliche Mißstände
Leipzigs in der Presse geißeln wollte, schickte -- wie es ja auch heute uoch
zuweilen geschieht -- Mitteilungen in auswärtige, etwa in Hamburgische Blätter,
die in Leipzig gelesen wurden; aber in den Zeitungen der eignen Stadt war
über solche Dinge nichts zu finden. Das verhinderte schon die Zensur, der
jede Zeitungsnummer vor dem Druck vorgelegt werden mußte. In den dreißiger
und vierziger Jahren dieses Jahrhunderts, als die Bewegung für die Pre߬
freiheit begann und die Zeitungen anfingen, ihren Stoffkreis immer mehr zu
erweitern und einen keckem Ton anzuschlagen, änderte sich das schnell. Nicht
bloß der redaktionelle Teil der Zeitungen brachte nnn immer öfter Mitteilungen
und Urteile über das gesellschaftliche Leben -- unter anderm begann damals die
gewerbsmäßige Konzert- und Theaterschreiberei, die jetzt zu einer solchen Land-
Plage ausgeartet ist --, es kam auch die Unsitte auf, kleine höhnische oder spöttische
Bemerkungen als bezahlte Inserate in die Zeitungen zu bringen; die Redaktionen
druckten sie ab und thaten, als ob sie keine Ahnung hätten, auf wen oder was
sich die Inserate bezögen, wenn auch die Zustände, Vorgänge oder Personen,
auf die sie aufpickten, stadtbekannt waren. Im Leipziger Tageblatt hat dieser


Leipziger Pasquillanteil des achtzehnten Jahrhunderts

durchweg eine bessere Ausbildung genießen, und so würde damit zum Teil
auch die vielumstrittne Schulfrage, deren Lösung wesentlich mit ans diesem
Gebiete liegt, erledigt werden. Aber nicht nur für die staatlichen Berufe
würde die neue Einrichtung von Wichtigkeit sein, auch Privatleute, die auf
Staatsprüfungen wenig Wert legen und ihre Beamten nach andern Rücksichten
als der Staat auswählen, müßte an einem Nachweis über Studien auf be¬
stimmten Gebieten viel gelegen sein. Die Auswahl der Zeugnisse würde bei
ihnen wahrscheinlich eine andre, die Zeugnisse selbst aber könnten ihnen un¬
möglich gleichgiltig sein. Wie das ganze Studium, so würde auch das Examen
eine in gutem Sinne freiere, weniger büreaukratische, mehr dem gesamten
nationalen Leben und der Mannichfaltigkeit seiner Bedürfnisse gerecht werdende
Form gewinnen.




Leipziger pasquillanten des achtzehnten Jahrhunderts

ur die Aufgabe der Presse, an unsern gesellschaftlichen Zuständen
Kritik zu üben, eine Aufgabe, die, wenn sie freimütig (ohne
Furcht), ehrlich (ohne Heuchelei) und anständig (ohne Klatsch-
und Skandalsucht) geübt wird, was alles gleich selten geschieht,
zu ihren wichtigsten und dankbarsten Aufgaben gehört, war in
der Tagespresse früherer Zeiten wenig oder kein Raum. Wer z. B. am Ende
des vorigen oder zu Anfang dieses Jahrhunderts gesellschaftliche Mißstände
Leipzigs in der Presse geißeln wollte, schickte — wie es ja auch heute uoch
zuweilen geschieht — Mitteilungen in auswärtige, etwa in Hamburgische Blätter,
die in Leipzig gelesen wurden; aber in den Zeitungen der eignen Stadt war
über solche Dinge nichts zu finden. Das verhinderte schon die Zensur, der
jede Zeitungsnummer vor dem Druck vorgelegt werden mußte. In den dreißiger
und vierziger Jahren dieses Jahrhunderts, als die Bewegung für die Pre߬
freiheit begann und die Zeitungen anfingen, ihren Stoffkreis immer mehr zu
erweitern und einen keckem Ton anzuschlagen, änderte sich das schnell. Nicht
bloß der redaktionelle Teil der Zeitungen brachte nnn immer öfter Mitteilungen
und Urteile über das gesellschaftliche Leben — unter anderm begann damals die
gewerbsmäßige Konzert- und Theaterschreiberei, die jetzt zu einer solchen Land-
Plage ausgeartet ist —, es kam auch die Unsitte auf, kleine höhnische oder spöttische
Bemerkungen als bezahlte Inserate in die Zeitungen zu bringen; die Redaktionen
druckten sie ab und thaten, als ob sie keine Ahnung hätten, auf wen oder was
sich die Inserate bezögen, wenn auch die Zustände, Vorgänge oder Personen,
auf die sie aufpickten, stadtbekannt waren. Im Leipziger Tageblatt hat dieser


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0471" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/222775"/>
          <fw type="header" place="top"> Leipziger Pasquillanteil des achtzehnten Jahrhunderts</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1354" prev="#ID_1353"> durchweg eine bessere Ausbildung genießen, und so würde damit zum Teil<lb/>
auch die vielumstrittne Schulfrage, deren Lösung wesentlich mit ans diesem<lb/>
Gebiete liegt, erledigt werden. Aber nicht nur für die staatlichen Berufe<lb/>
würde die neue Einrichtung von Wichtigkeit sein, auch Privatleute, die auf<lb/>
Staatsprüfungen wenig Wert legen und ihre Beamten nach andern Rücksichten<lb/>
als der Staat auswählen, müßte an einem Nachweis über Studien auf be¬<lb/>
stimmten Gebieten viel gelegen sein. Die Auswahl der Zeugnisse würde bei<lb/>
ihnen wahrscheinlich eine andre, die Zeugnisse selbst aber könnten ihnen un¬<lb/>
möglich gleichgiltig sein. Wie das ganze Studium, so würde auch das Examen<lb/>
eine in gutem Sinne freiere, weniger büreaukratische, mehr dem gesamten<lb/>
nationalen Leben und der Mannichfaltigkeit seiner Bedürfnisse gerecht werdende<lb/>
Form gewinnen.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Leipziger pasquillanten des achtzehnten Jahrhunderts</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1355" next="#ID_1356"> ur die Aufgabe der Presse, an unsern gesellschaftlichen Zuständen<lb/>
Kritik zu üben, eine Aufgabe, die, wenn sie freimütig (ohne<lb/>
Furcht), ehrlich (ohne Heuchelei) und anständig (ohne Klatsch-<lb/>
und Skandalsucht) geübt wird, was alles gleich selten geschieht,<lb/>
zu ihren wichtigsten und dankbarsten Aufgaben gehört, war in<lb/>
der Tagespresse früherer Zeiten wenig oder kein Raum. Wer z. B. am Ende<lb/>
des vorigen oder zu Anfang dieses Jahrhunderts gesellschaftliche Mißstände<lb/>
Leipzigs in der Presse geißeln wollte, schickte &#x2014; wie es ja auch heute uoch<lb/>
zuweilen geschieht &#x2014; Mitteilungen in auswärtige, etwa in Hamburgische Blätter,<lb/>
die in Leipzig gelesen wurden; aber in den Zeitungen der eignen Stadt war<lb/>
über solche Dinge nichts zu finden. Das verhinderte schon die Zensur, der<lb/>
jede Zeitungsnummer vor dem Druck vorgelegt werden mußte. In den dreißiger<lb/>
und vierziger Jahren dieses Jahrhunderts, als die Bewegung für die Pre߬<lb/>
freiheit begann und die Zeitungen anfingen, ihren Stoffkreis immer mehr zu<lb/>
erweitern und einen keckem Ton anzuschlagen, änderte sich das schnell. Nicht<lb/>
bloß der redaktionelle Teil der Zeitungen brachte nnn immer öfter Mitteilungen<lb/>
und Urteile über das gesellschaftliche Leben &#x2014; unter anderm begann damals die<lb/>
gewerbsmäßige Konzert- und Theaterschreiberei, die jetzt zu einer solchen Land-<lb/>
Plage ausgeartet ist &#x2014;, es kam auch die Unsitte auf, kleine höhnische oder spöttische<lb/>
Bemerkungen als bezahlte Inserate in die Zeitungen zu bringen; die Redaktionen<lb/>
druckten sie ab und thaten, als ob sie keine Ahnung hätten, auf wen oder was<lb/>
sich die Inserate bezögen, wenn auch die Zustände, Vorgänge oder Personen,<lb/>
auf die sie aufpickten, stadtbekannt waren.  Im Leipziger Tageblatt hat dieser</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0471] Leipziger Pasquillanteil des achtzehnten Jahrhunderts durchweg eine bessere Ausbildung genießen, und so würde damit zum Teil auch die vielumstrittne Schulfrage, deren Lösung wesentlich mit ans diesem Gebiete liegt, erledigt werden. Aber nicht nur für die staatlichen Berufe würde die neue Einrichtung von Wichtigkeit sein, auch Privatleute, die auf Staatsprüfungen wenig Wert legen und ihre Beamten nach andern Rücksichten als der Staat auswählen, müßte an einem Nachweis über Studien auf be¬ stimmten Gebieten viel gelegen sein. Die Auswahl der Zeugnisse würde bei ihnen wahrscheinlich eine andre, die Zeugnisse selbst aber könnten ihnen un¬ möglich gleichgiltig sein. Wie das ganze Studium, so würde auch das Examen eine in gutem Sinne freiere, weniger büreaukratische, mehr dem gesamten nationalen Leben und der Mannichfaltigkeit seiner Bedürfnisse gerecht werdende Form gewinnen. Leipziger pasquillanten des achtzehnten Jahrhunderts ur die Aufgabe der Presse, an unsern gesellschaftlichen Zuständen Kritik zu üben, eine Aufgabe, die, wenn sie freimütig (ohne Furcht), ehrlich (ohne Heuchelei) und anständig (ohne Klatsch- und Skandalsucht) geübt wird, was alles gleich selten geschieht, zu ihren wichtigsten und dankbarsten Aufgaben gehört, war in der Tagespresse früherer Zeiten wenig oder kein Raum. Wer z. B. am Ende des vorigen oder zu Anfang dieses Jahrhunderts gesellschaftliche Mißstände Leipzigs in der Presse geißeln wollte, schickte — wie es ja auch heute uoch zuweilen geschieht — Mitteilungen in auswärtige, etwa in Hamburgische Blätter, die in Leipzig gelesen wurden; aber in den Zeitungen der eignen Stadt war über solche Dinge nichts zu finden. Das verhinderte schon die Zensur, der jede Zeitungsnummer vor dem Druck vorgelegt werden mußte. In den dreißiger und vierziger Jahren dieses Jahrhunderts, als die Bewegung für die Pre߬ freiheit begann und die Zeitungen anfingen, ihren Stoffkreis immer mehr zu erweitern und einen keckem Ton anzuschlagen, änderte sich das schnell. Nicht bloß der redaktionelle Teil der Zeitungen brachte nnn immer öfter Mitteilungen und Urteile über das gesellschaftliche Leben — unter anderm begann damals die gewerbsmäßige Konzert- und Theaterschreiberei, die jetzt zu einer solchen Land- Plage ausgeartet ist —, es kam auch die Unsitte auf, kleine höhnische oder spöttische Bemerkungen als bezahlte Inserate in die Zeitungen zu bringen; die Redaktionen druckten sie ab und thaten, als ob sie keine Ahnung hätten, auf wen oder was sich die Inserate bezögen, wenn auch die Zustände, Vorgänge oder Personen, auf die sie aufpickten, stadtbekannt waren. Im Leipziger Tageblatt hat dieser

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/471
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/471>, abgerufen am 28.04.2024.