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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Der Befähigungsnachweis der akademisch Gebildeten

der Zersplitterung entgegengearbeitet werden. Durch die Kolloquien würde
eine gleichmäßige Verteilung des während der Studienzeit zu bewältigenden
Wissensstoffes erreicht werden. Studien, die sich zu sehr ins einzelne verlieren,
oder die dem Fach fern liegen, uur besondrer Neigung entsprechen und, wenn
in mäßigem Umfang getrieben werden, die Gesamtbildung zu fördern geeignet
sind, könnten sich nicht mehr so leicht auf Kosten der Fachwisfenschaft in den
Vordergrund drängen. Das Studium erhielte bei bestimmt begrenztem Um¬
fange feste Bahnen und klar erkennbare Ziele, und zwar leichter als durch die
bisher vorgeschlagnen von der Fakultät zu verkündenden Studienpläne. Zu
alledem kommt aber noch etwas sehr wichtiges: das Gefühl fortzuschreiten,
eine Stufe der Weiterbildung nach der andern nicht nur zu erreichen, sondern
auch gleich durch Zeugnis als erledigt für das Examen ansehen zu können,
würde die Arbeitsfreudigkeit und damit auch die Arbeitskraft wesentlich heben.
Dagegen würde dem Übelstande vorgebeugt werden, daß sich ein großer Teil
der "wissenschaftlichen" Ausbildung bei vielen in die Einpaukezeit vor dem
Examen zusammendrängt.

Mit der Arbeitsweise der Schulen, wie es dem oberflächlichen Beurteiler
erscheinen mag, wäre die Thätigkeit der Kolloquien durchaus nicht zu ver¬
gleichen. Dort wird der Schwerpunkt der Arbeit in die Unterrichtsstunde
verlegt, hier müßte er in dem selbständigen Studium des Einzelnen liegen
die Kolloquien sollen dafür nur die Wege weisen und die Maße bieten; in
ihnen soll es nur seinen Ausgangs- und Brennpunkt, seine fortwährende An¬
regung und Kritik finden. Wohl aber wäre dann ein besserer Übergang von
dem schulmäßigen Lernen zum akademischen Studium gegeben, die heute an¬
erkanntermaßen durch eine große Kluft von einander getrennt sind. An die
Formen der Schule würden sich mit freierer, ihrem Geiste entsprechender Ge¬
staltung die der Hochschule leicht anschließen. Und wahrlich nicht auf Kosten
ihres Wesens und der akademischen Freiheit: an die Stelle der bisherigen
Regel- und Zügellosigkeit des akademischen Studiums würde die wahre Frei¬
heit treten, die nur durch geeignete Ordnungen bestehen kann. So würde ein
gleichmäßiges, durch den Rahmen der festgesetzten Zeit beschränktes Studium
und ein darauf sich gründendes Maß wissenschaftlicher Ausbildung verbürgt
und ein fester Unterbau gewonnen werden, der später entsprechend weiter aus¬
gebaut werden könnte.

Wenn Kolleg und Seminar in der vorgeschlagnen Weise durch das Kollo¬
quium ergänzt würden, so würde durch das Zusammenwirken aller drei Ein¬
richtungen, abgesehen von dem großen Gewinn für das Studium selbst, eine
bessere Form für die Prüfung der künftigen Staatsbeamten geschaffen, und
eine viel größere Sicherheit des Befähigungsnachweises erreicht sein. Die Vor¬
teile würden überall zu spüren sein. Die Schule z. B. würde nicht nur zu¬
verlässigere Zeugnisse für ihre Lehrer erhalten, auch die Lehrer selbst würden


Der Befähigungsnachweis der akademisch Gebildeten

der Zersplitterung entgegengearbeitet werden. Durch die Kolloquien würde
eine gleichmäßige Verteilung des während der Studienzeit zu bewältigenden
Wissensstoffes erreicht werden. Studien, die sich zu sehr ins einzelne verlieren,
oder die dem Fach fern liegen, uur besondrer Neigung entsprechen und, wenn
in mäßigem Umfang getrieben werden, die Gesamtbildung zu fördern geeignet
sind, könnten sich nicht mehr so leicht auf Kosten der Fachwisfenschaft in den
Vordergrund drängen. Das Studium erhielte bei bestimmt begrenztem Um¬
fange feste Bahnen und klar erkennbare Ziele, und zwar leichter als durch die
bisher vorgeschlagnen von der Fakultät zu verkündenden Studienpläne. Zu
alledem kommt aber noch etwas sehr wichtiges: das Gefühl fortzuschreiten,
eine Stufe der Weiterbildung nach der andern nicht nur zu erreichen, sondern
auch gleich durch Zeugnis als erledigt für das Examen ansehen zu können,
würde die Arbeitsfreudigkeit und damit auch die Arbeitskraft wesentlich heben.
Dagegen würde dem Übelstande vorgebeugt werden, daß sich ein großer Teil
der „wissenschaftlichen" Ausbildung bei vielen in die Einpaukezeit vor dem
Examen zusammendrängt.

Mit der Arbeitsweise der Schulen, wie es dem oberflächlichen Beurteiler
erscheinen mag, wäre die Thätigkeit der Kolloquien durchaus nicht zu ver¬
gleichen. Dort wird der Schwerpunkt der Arbeit in die Unterrichtsstunde
verlegt, hier müßte er in dem selbständigen Studium des Einzelnen liegen
die Kolloquien sollen dafür nur die Wege weisen und die Maße bieten; in
ihnen soll es nur seinen Ausgangs- und Brennpunkt, seine fortwährende An¬
regung und Kritik finden. Wohl aber wäre dann ein besserer Übergang von
dem schulmäßigen Lernen zum akademischen Studium gegeben, die heute an¬
erkanntermaßen durch eine große Kluft von einander getrennt sind. An die
Formen der Schule würden sich mit freierer, ihrem Geiste entsprechender Ge¬
staltung die der Hochschule leicht anschließen. Und wahrlich nicht auf Kosten
ihres Wesens und der akademischen Freiheit: an die Stelle der bisherigen
Regel- und Zügellosigkeit des akademischen Studiums würde die wahre Frei¬
heit treten, die nur durch geeignete Ordnungen bestehen kann. So würde ein
gleichmäßiges, durch den Rahmen der festgesetzten Zeit beschränktes Studium
und ein darauf sich gründendes Maß wissenschaftlicher Ausbildung verbürgt
und ein fester Unterbau gewonnen werden, der später entsprechend weiter aus¬
gebaut werden könnte.

Wenn Kolleg und Seminar in der vorgeschlagnen Weise durch das Kollo¬
quium ergänzt würden, so würde durch das Zusammenwirken aller drei Ein¬
richtungen, abgesehen von dem großen Gewinn für das Studium selbst, eine
bessere Form für die Prüfung der künftigen Staatsbeamten geschaffen, und
eine viel größere Sicherheit des Befähigungsnachweises erreicht sein. Die Vor¬
teile würden überall zu spüren sein. Die Schule z. B. würde nicht nur zu¬
verlässigere Zeugnisse für ihre Lehrer erhalten, auch die Lehrer selbst würden


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[0470] Der Befähigungsnachweis der akademisch Gebildeten der Zersplitterung entgegengearbeitet werden. Durch die Kolloquien würde eine gleichmäßige Verteilung des während der Studienzeit zu bewältigenden Wissensstoffes erreicht werden. Studien, die sich zu sehr ins einzelne verlieren, oder die dem Fach fern liegen, uur besondrer Neigung entsprechen und, wenn in mäßigem Umfang getrieben werden, die Gesamtbildung zu fördern geeignet sind, könnten sich nicht mehr so leicht auf Kosten der Fachwisfenschaft in den Vordergrund drängen. Das Studium erhielte bei bestimmt begrenztem Um¬ fange feste Bahnen und klar erkennbare Ziele, und zwar leichter als durch die bisher vorgeschlagnen von der Fakultät zu verkündenden Studienpläne. Zu alledem kommt aber noch etwas sehr wichtiges: das Gefühl fortzuschreiten, eine Stufe der Weiterbildung nach der andern nicht nur zu erreichen, sondern auch gleich durch Zeugnis als erledigt für das Examen ansehen zu können, würde die Arbeitsfreudigkeit und damit auch die Arbeitskraft wesentlich heben. Dagegen würde dem Übelstande vorgebeugt werden, daß sich ein großer Teil der „wissenschaftlichen" Ausbildung bei vielen in die Einpaukezeit vor dem Examen zusammendrängt. Mit der Arbeitsweise der Schulen, wie es dem oberflächlichen Beurteiler erscheinen mag, wäre die Thätigkeit der Kolloquien durchaus nicht zu ver¬ gleichen. Dort wird der Schwerpunkt der Arbeit in die Unterrichtsstunde verlegt, hier müßte er in dem selbständigen Studium des Einzelnen liegen die Kolloquien sollen dafür nur die Wege weisen und die Maße bieten; in ihnen soll es nur seinen Ausgangs- und Brennpunkt, seine fortwährende An¬ regung und Kritik finden. Wohl aber wäre dann ein besserer Übergang von dem schulmäßigen Lernen zum akademischen Studium gegeben, die heute an¬ erkanntermaßen durch eine große Kluft von einander getrennt sind. An die Formen der Schule würden sich mit freierer, ihrem Geiste entsprechender Ge¬ staltung die der Hochschule leicht anschließen. Und wahrlich nicht auf Kosten ihres Wesens und der akademischen Freiheit: an die Stelle der bisherigen Regel- und Zügellosigkeit des akademischen Studiums würde die wahre Frei¬ heit treten, die nur durch geeignete Ordnungen bestehen kann. So würde ein gleichmäßiges, durch den Rahmen der festgesetzten Zeit beschränktes Studium und ein darauf sich gründendes Maß wissenschaftlicher Ausbildung verbürgt und ein fester Unterbau gewonnen werden, der später entsprechend weiter aus¬ gebaut werden könnte. Wenn Kolleg und Seminar in der vorgeschlagnen Weise durch das Kollo¬ quium ergänzt würden, so würde durch das Zusammenwirken aller drei Ein¬ richtungen, abgesehen von dem großen Gewinn für das Studium selbst, eine bessere Form für die Prüfung der künftigen Staatsbeamten geschaffen, und eine viel größere Sicherheit des Befähigungsnachweises erreicht sein. Die Vor¬ teile würden überall zu spüren sein. Die Schule z. B. würde nicht nur zu¬ verlässigere Zeugnisse für ihre Lehrer erhalten, auch die Lehrer selbst würden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/470>, abgerufen am 13.05.2024.