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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Der Evangelisch-soziale Kongreß

er Tagung des Evangelisch-sozialen Kongresses mußte diesmal
mit größerer Spannung entgegengesehen werden als sonst, da
ihm zwei Ereignisse unmittelbar vorausgegangen waren, von
denen das eine seinen Bestand, das andre das Recht der Mehr¬
zahl der Mitglieder zur Teilnahme in Frage stellte: der Austritt
Stöckers und das kaiserliche Telegramm.

Mit Stöckers Scheiden von seiner eignen Schöpfung -- denn das ist der
Kongreß -- verhält es sich eigentümlich, fast tragisch. Über den Mann und
seinen Anteil an der christlich- oder evangelisch-sozialen Bewegung giebt es erst
seit einigen Wochen eine Darstellung, die wirklich sachverständig und unpar¬
teiisch ist, ihm weder zuliebe noch zuleide geschrieben ist. Es ist das das Buch
von dem frühern Generalsekretär des Kongresses und jetzigen Pfarrer in Frank¬
furt a. O., Paul Göhre (dem Verfasser von "Drei Monate Fabrikarbeiter
und Handwerksbursche"): Die evangelisch-soziale Bewegung (Leipzig,
Friedr. Wilh. Grunow, 1896).

Daß Stöcker den Evangelisch -sozialen Kongreß gegründet ha-t, daran ist
kein Zweifel. Man sagt freilich -- und mit Recht --. daß erst durch das
Hinzutreten liberaler Männer der Kongreß zu Lebensfähigkeit und nationaler
Bedeutung gekommen sei; ja mehr noch: daß alle Leistungen ersten Ranges,
alle bedeutenden Berichte und die Hauptarbeit der Verhandlung von liberaler
Seite gekommen seien. Aber dabei bleibt immer die Frage: Wo wären alle
diese vortrefflichen Dinge geblieben, wenn nicht Stöcker durch die Gründung
des Kongresses die Möglichkeit dazu geschaffen hätte? Daß er der einzige
Mann war, der durch seine Bedeutung und seine Volkstümlichkeit für ein
solches Unternehmen die Grundlage herstellen konnte, wird niemand bestreikn.
Eine Gründung von liberaler Seite Hütte schwerlich Kreise, die zum Teil weit


Grenzboten II 1896 "1


Der Evangelisch-soziale Kongreß

er Tagung des Evangelisch-sozialen Kongresses mußte diesmal
mit größerer Spannung entgegengesehen werden als sonst, da
ihm zwei Ereignisse unmittelbar vorausgegangen waren, von
denen das eine seinen Bestand, das andre das Recht der Mehr¬
zahl der Mitglieder zur Teilnahme in Frage stellte: der Austritt
Stöckers und das kaiserliche Telegramm.

Mit Stöckers Scheiden von seiner eignen Schöpfung — denn das ist der
Kongreß — verhält es sich eigentümlich, fast tragisch. Über den Mann und
seinen Anteil an der christlich- oder evangelisch-sozialen Bewegung giebt es erst
seit einigen Wochen eine Darstellung, die wirklich sachverständig und unpar¬
teiisch ist, ihm weder zuliebe noch zuleide geschrieben ist. Es ist das das Buch
von dem frühern Generalsekretär des Kongresses und jetzigen Pfarrer in Frank¬
furt a. O., Paul Göhre (dem Verfasser von „Drei Monate Fabrikarbeiter
und Handwerksbursche"): Die evangelisch-soziale Bewegung (Leipzig,
Friedr. Wilh. Grunow, 1896).

Daß Stöcker den Evangelisch -sozialen Kongreß gegründet ha-t, daran ist
kein Zweifel. Man sagt freilich — und mit Recht —. daß erst durch das
Hinzutreten liberaler Männer der Kongreß zu Lebensfähigkeit und nationaler
Bedeutung gekommen sei; ja mehr noch: daß alle Leistungen ersten Ranges,
alle bedeutenden Berichte und die Hauptarbeit der Verhandlung von liberaler
Seite gekommen seien. Aber dabei bleibt immer die Frage: Wo wären alle
diese vortrefflichen Dinge geblieben, wenn nicht Stöcker durch die Gründung
des Kongresses die Möglichkeit dazu geschaffen hätte? Daß er der einzige
Mann war, der durch seine Bedeutung und seine Volkstümlichkeit für ein
solches Unternehmen die Grundlage herstellen konnte, wird niemand bestreikn.
Eine Gründung von liberaler Seite Hütte schwerlich Kreise, die zum Teil weit


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[0489] [Abbildung] Der Evangelisch-soziale Kongreß er Tagung des Evangelisch-sozialen Kongresses mußte diesmal mit größerer Spannung entgegengesehen werden als sonst, da ihm zwei Ereignisse unmittelbar vorausgegangen waren, von denen das eine seinen Bestand, das andre das Recht der Mehr¬ zahl der Mitglieder zur Teilnahme in Frage stellte: der Austritt Stöckers und das kaiserliche Telegramm. Mit Stöckers Scheiden von seiner eignen Schöpfung — denn das ist der Kongreß — verhält es sich eigentümlich, fast tragisch. Über den Mann und seinen Anteil an der christlich- oder evangelisch-sozialen Bewegung giebt es erst seit einigen Wochen eine Darstellung, die wirklich sachverständig und unpar¬ teiisch ist, ihm weder zuliebe noch zuleide geschrieben ist. Es ist das das Buch von dem frühern Generalsekretär des Kongresses und jetzigen Pfarrer in Frank¬ furt a. O., Paul Göhre (dem Verfasser von „Drei Monate Fabrikarbeiter und Handwerksbursche"): Die evangelisch-soziale Bewegung (Leipzig, Friedr. Wilh. Grunow, 1896). Daß Stöcker den Evangelisch -sozialen Kongreß gegründet ha-t, daran ist kein Zweifel. Man sagt freilich — und mit Recht —. daß erst durch das Hinzutreten liberaler Männer der Kongreß zu Lebensfähigkeit und nationaler Bedeutung gekommen sei; ja mehr noch: daß alle Leistungen ersten Ranges, alle bedeutenden Berichte und die Hauptarbeit der Verhandlung von liberaler Seite gekommen seien. Aber dabei bleibt immer die Frage: Wo wären alle diese vortrefflichen Dinge geblieben, wenn nicht Stöcker durch die Gründung des Kongresses die Möglichkeit dazu geschaffen hätte? Daß er der einzige Mann war, der durch seine Bedeutung und seine Volkstümlichkeit für ein solches Unternehmen die Grundlage herstellen konnte, wird niemand bestreikn. Eine Gründung von liberaler Seite Hütte schwerlich Kreise, die zum Teil weit Grenzboten II 1896 «1

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/489>, abgerufen am 28.04.2024.