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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Schule und Politik
Eine Abiturieutenentlassungsredc
Gelo Aaemmel von

is ich diesmal den Jahresbericht für das Osterprvgramm schrieb,
war es mir, als ob ich einen nur durch wenige andre Vor¬
kommnisse unterbrochner Festbericht zu liefern hätte. Denn zu
den gewöhnlichen vaterländischen Feierlichkeiten, die sich seit fünf¬
undzwanzig Jahren alljährlich wiederholen, waren in diesem großen
Erinnerungs- und Jubeljahre noch mehrere besondre getreten: der achtzigste Ge¬
burtstag des Fürsten Bismarck, die Huldigungsfahrt uach Friedrichsruh, der
Empfang des Kaisers und des Königs bei der Einweihung des Reichsgerichts
und die Feier des 18. Januar, und mochte es auch manchem fast zuviel des
Guten dünken, alle diese Tage waren mit gleicher Begeisterung begangen worden.
Wie anders war es früher! Noch vor vierzig Jahren begingen die höhern
Schulen Sachsens von vaterländischen Festen nnr den Geburtstag des Königs,
und auch diesen erst seit wenigen Jahren; an das große deutsche Vaterland,
um siegreiche Schlachten, an ruhmvolle Erfolge hatte die Schule nicht zu er¬
innern. Erst das Jahr 1859 brachte die ganz unpolitische nationale Feier
des hundertjährigen Geburtstags Schillers; die Feier der Leipziger Schlacht
im Jahre 1863 wurde an manchen Anstalten nicht ohne einen gewissen Kampf
durchgesetzt. So unsicher standen wir noch vor einem Menschenalter zu unsrer
großen deutschen Vergangenheit! Und gehen wir noch weiter zurück, in die erste
Hälfte unsers Jahrhunderts, und fragen, was denn damals die höhere Schule
ihren Zöglingen an patriotischen Festen geboten habe, so ist die Antwort:
nichts, gar nichts.

Denn die Schule steht zum Staatsleben ungefähr so, wie das Volk im


Grenzboten II 1896 7


Schule und Politik
Eine Abiturieutenentlassungsredc
Gelo Aaemmel von

is ich diesmal den Jahresbericht für das Osterprvgramm schrieb,
war es mir, als ob ich einen nur durch wenige andre Vor¬
kommnisse unterbrochner Festbericht zu liefern hätte. Denn zu
den gewöhnlichen vaterländischen Feierlichkeiten, die sich seit fünf¬
undzwanzig Jahren alljährlich wiederholen, waren in diesem großen
Erinnerungs- und Jubeljahre noch mehrere besondre getreten: der achtzigste Ge¬
burtstag des Fürsten Bismarck, die Huldigungsfahrt uach Friedrichsruh, der
Empfang des Kaisers und des Königs bei der Einweihung des Reichsgerichts
und die Feier des 18. Januar, und mochte es auch manchem fast zuviel des
Guten dünken, alle diese Tage waren mit gleicher Begeisterung begangen worden.
Wie anders war es früher! Noch vor vierzig Jahren begingen die höhern
Schulen Sachsens von vaterländischen Festen nnr den Geburtstag des Königs,
und auch diesen erst seit wenigen Jahren; an das große deutsche Vaterland,
um siegreiche Schlachten, an ruhmvolle Erfolge hatte die Schule nicht zu er¬
innern. Erst das Jahr 1859 brachte die ganz unpolitische nationale Feier
des hundertjährigen Geburtstags Schillers; die Feier der Leipziger Schlacht
im Jahre 1863 wurde an manchen Anstalten nicht ohne einen gewissen Kampf
durchgesetzt. So unsicher standen wir noch vor einem Menschenalter zu unsrer
großen deutschen Vergangenheit! Und gehen wir noch weiter zurück, in die erste
Hälfte unsers Jahrhunderts, und fragen, was denn damals die höhere Schule
ihren Zöglingen an patriotischen Festen geboten habe, so ist die Antwort:
nichts, gar nichts.

Denn die Schule steht zum Staatsleben ungefähr so, wie das Volk im


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[0057] [Abbildung] Schule und Politik Eine Abiturieutenentlassungsredc Gelo Aaemmel von is ich diesmal den Jahresbericht für das Osterprvgramm schrieb, war es mir, als ob ich einen nur durch wenige andre Vor¬ kommnisse unterbrochner Festbericht zu liefern hätte. Denn zu den gewöhnlichen vaterländischen Feierlichkeiten, die sich seit fünf¬ undzwanzig Jahren alljährlich wiederholen, waren in diesem großen Erinnerungs- und Jubeljahre noch mehrere besondre getreten: der achtzigste Ge¬ burtstag des Fürsten Bismarck, die Huldigungsfahrt uach Friedrichsruh, der Empfang des Kaisers und des Königs bei der Einweihung des Reichsgerichts und die Feier des 18. Januar, und mochte es auch manchem fast zuviel des Guten dünken, alle diese Tage waren mit gleicher Begeisterung begangen worden. Wie anders war es früher! Noch vor vierzig Jahren begingen die höhern Schulen Sachsens von vaterländischen Festen nnr den Geburtstag des Königs, und auch diesen erst seit wenigen Jahren; an das große deutsche Vaterland, um siegreiche Schlachten, an ruhmvolle Erfolge hatte die Schule nicht zu er¬ innern. Erst das Jahr 1859 brachte die ganz unpolitische nationale Feier des hundertjährigen Geburtstags Schillers; die Feier der Leipziger Schlacht im Jahre 1863 wurde an manchen Anstalten nicht ohne einen gewissen Kampf durchgesetzt. So unsicher standen wir noch vor einem Menschenalter zu unsrer großen deutschen Vergangenheit! Und gehen wir noch weiter zurück, in die erste Hälfte unsers Jahrhunderts, und fragen, was denn damals die höhere Schule ihren Zöglingen an patriotischen Festen geboten habe, so ist die Antwort: nichts, gar nichts. Denn die Schule steht zum Staatsleben ungefähr so, wie das Volk im Grenzboten II 1896 7

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/57>, abgerufen am 28.04.2024.