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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Der Frauentag in Kassel

Reich die Fürstenwürde in den Vordergrund tritt und auch mit äußerm Glanz
ausgestattet wird, je mehr der persönliche Wille des Reichsoberhaupts zum
ausschließlich bestimmenden zu machen gesucht wird, desto eher das nun einmal
thatsächlich vvrhandne und unvermeidliche Abhängigkeitsverhältnis als demü¬
tigend empfunden werden kann, daß sich desto eher solche Gegensätze bilden,
und die Neigungen zum Betreiben einer Sonderpolitik wieder erwachen können.
Es sollte nie vergessen werden, wie das deutsche Reich zu stände gekommen
ist, und wodurch die Gegensätze zwischen Nord und Süd so rasch ausgeglichen,
auch die von Preußen neu erworbnen Landesteile verhältnismäßig rasch inner¬
lich angegliedert worden sind. Die mächtige Volksbewegung, das Bewußtsein
der nationalen Verwandtschaft und der Gemeinsamkeit der Interessen, das un¬
bedingte Vertrauen auf die bewährte Führung, die schöne Eintracht zwischen
den Fürsten und dem Volke, das alles wirkte damals zusammen und drängte
jede kleinliche Regung zurück. Das Herrscherhaus der Hohenzollern hat sich
damals und in der nachfolgenden Zeit ein hohes Verdienst um die Befestigung
der deutschen Einheit erworben. Aber nicht durch Berufung auf das Legi-
timitütsprinzip, dessen verpflichtende Kraft nicht über die Grenzen Altprenßens
hinaufgereicht hätte, sondern durch das persönliche Wirken und die gewinnende
Persönlichkeit seiner Vertreter. Auch ferner sollte die Stellung der Monarchie in
modernem Geist aufgefaßt werden, sollte ihre beste Stütze jn der Popularität,
in der Gewinnung der Zustimmung des Volks gesucht werden, und dies gerade
mit besondrer Rücksicht auf die eigentümlichen staatlichen Verhältnisse des
deutschen Reichs, weil nämlich die Berufung auf angestammte Erbrechte anch
zur Rechtfertigung partikularistischer Machtgelüste dienen könnte.




Der Frauentag in Kassel

^ n Kassel sind zu Pfingsten die Abgeordneten der deutschen Frcmen-
l! vereine zu einem "Kongreß" zusammen gewesen und haben über die
A wichtigsten Punkte der sogenannten Frauenfrage beraten. Außer
s diesen Abgeordnetensitzungen aber, deren Beurteilung sich natür-
W/lich dem Nichtteilnehmer entzieht, fanden auch zwei zahlreich
besuchte öffentliche Versammlungen statt, die in vieler Beziehung Befremden
erregt haben und zu einigen Bemerkungen nötigen. Nicht etwa um den äußern
Erfolg anzuzweifeln; der ist den Veranstalterinnen im reichsten Maße zu teil
geworden, und das ist auch nicht zu verwundern. Denn fast alle Damen, die


Der Frauentag in Kassel

Reich die Fürstenwürde in den Vordergrund tritt und auch mit äußerm Glanz
ausgestattet wird, je mehr der persönliche Wille des Reichsoberhaupts zum
ausschließlich bestimmenden zu machen gesucht wird, desto eher das nun einmal
thatsächlich vvrhandne und unvermeidliche Abhängigkeitsverhältnis als demü¬
tigend empfunden werden kann, daß sich desto eher solche Gegensätze bilden,
und die Neigungen zum Betreiben einer Sonderpolitik wieder erwachen können.
Es sollte nie vergessen werden, wie das deutsche Reich zu stände gekommen
ist, und wodurch die Gegensätze zwischen Nord und Süd so rasch ausgeglichen,
auch die von Preußen neu erworbnen Landesteile verhältnismäßig rasch inner¬
lich angegliedert worden sind. Die mächtige Volksbewegung, das Bewußtsein
der nationalen Verwandtschaft und der Gemeinsamkeit der Interessen, das un¬
bedingte Vertrauen auf die bewährte Führung, die schöne Eintracht zwischen
den Fürsten und dem Volke, das alles wirkte damals zusammen und drängte
jede kleinliche Regung zurück. Das Herrscherhaus der Hohenzollern hat sich
damals und in der nachfolgenden Zeit ein hohes Verdienst um die Befestigung
der deutschen Einheit erworben. Aber nicht durch Berufung auf das Legi-
timitütsprinzip, dessen verpflichtende Kraft nicht über die Grenzen Altprenßens
hinaufgereicht hätte, sondern durch das persönliche Wirken und die gewinnende
Persönlichkeit seiner Vertreter. Auch ferner sollte die Stellung der Monarchie in
modernem Geist aufgefaßt werden, sollte ihre beste Stütze jn der Popularität,
in der Gewinnung der Zustimmung des Volks gesucht werden, und dies gerade
mit besondrer Rücksicht auf die eigentümlichen staatlichen Verhältnisse des
deutschen Reichs, weil nämlich die Berufung auf angestammte Erbrechte anch
zur Rechtfertigung partikularistischer Machtgelüste dienen könnte.




Der Frauentag in Kassel

^ n Kassel sind zu Pfingsten die Abgeordneten der deutschen Frcmen-
l! vereine zu einem „Kongreß" zusammen gewesen und haben über die
A wichtigsten Punkte der sogenannten Frauenfrage beraten. Außer
s diesen Abgeordnetensitzungen aber, deren Beurteilung sich natür-
W/lich dem Nichtteilnehmer entzieht, fanden auch zwei zahlreich
besuchte öffentliche Versammlungen statt, die in vieler Beziehung Befremden
erregt haben und zu einigen Bemerkungen nötigen. Nicht etwa um den äußern
Erfolg anzuzweifeln; der ist den Veranstalterinnen im reichsten Maße zu teil
geworden, und das ist auch nicht zu verwundern. Denn fast alle Damen, die


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[0589] Der Frauentag in Kassel Reich die Fürstenwürde in den Vordergrund tritt und auch mit äußerm Glanz ausgestattet wird, je mehr der persönliche Wille des Reichsoberhaupts zum ausschließlich bestimmenden zu machen gesucht wird, desto eher das nun einmal thatsächlich vvrhandne und unvermeidliche Abhängigkeitsverhältnis als demü¬ tigend empfunden werden kann, daß sich desto eher solche Gegensätze bilden, und die Neigungen zum Betreiben einer Sonderpolitik wieder erwachen können. Es sollte nie vergessen werden, wie das deutsche Reich zu stände gekommen ist, und wodurch die Gegensätze zwischen Nord und Süd so rasch ausgeglichen, auch die von Preußen neu erworbnen Landesteile verhältnismäßig rasch inner¬ lich angegliedert worden sind. Die mächtige Volksbewegung, das Bewußtsein der nationalen Verwandtschaft und der Gemeinsamkeit der Interessen, das un¬ bedingte Vertrauen auf die bewährte Führung, die schöne Eintracht zwischen den Fürsten und dem Volke, das alles wirkte damals zusammen und drängte jede kleinliche Regung zurück. Das Herrscherhaus der Hohenzollern hat sich damals und in der nachfolgenden Zeit ein hohes Verdienst um die Befestigung der deutschen Einheit erworben. Aber nicht durch Berufung auf das Legi- timitütsprinzip, dessen verpflichtende Kraft nicht über die Grenzen Altprenßens hinaufgereicht hätte, sondern durch das persönliche Wirken und die gewinnende Persönlichkeit seiner Vertreter. Auch ferner sollte die Stellung der Monarchie in modernem Geist aufgefaßt werden, sollte ihre beste Stütze jn der Popularität, in der Gewinnung der Zustimmung des Volks gesucht werden, und dies gerade mit besondrer Rücksicht auf die eigentümlichen staatlichen Verhältnisse des deutschen Reichs, weil nämlich die Berufung auf angestammte Erbrechte anch zur Rechtfertigung partikularistischer Machtgelüste dienen könnte. Der Frauentag in Kassel ^ n Kassel sind zu Pfingsten die Abgeordneten der deutschen Frcmen- l! vereine zu einem „Kongreß" zusammen gewesen und haben über die A wichtigsten Punkte der sogenannten Frauenfrage beraten. Außer s diesen Abgeordnetensitzungen aber, deren Beurteilung sich natür- W/lich dem Nichtteilnehmer entzieht, fanden auch zwei zahlreich besuchte öffentliche Versammlungen statt, die in vieler Beziehung Befremden erregt haben und zu einigen Bemerkungen nötigen. Nicht etwa um den äußern Erfolg anzuzweifeln; der ist den Veranstalterinnen im reichsten Maße zu teil geworden, und das ist auch nicht zu verwundern. Denn fast alle Damen, die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/589>, abgerufen am 28.04.2024.