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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Der Frauentag in Rassel

an den beiden Abenden sprachen, zeigten sich als vorzügliche Rednerinnen, die
mit hervorragender Gewandtheit und Sicherheit auftraten, einzelne sogar --
mit allzu großer Sicherheit, und hiermit komme ich auf das erste Bedenken,
dem ich Ausdruck geben möchte. Ich gestehe offen, daß die Art und Weise,
wie vor allem die viel gefeierte Fräulein Helene Lange auftrat, mich geradezu
unangenehm berührt hat. Man merkte ihr deun doch gar zu sehr das Bewußt¬
sein ihrer Berühmtheit an, das Bewußtsein, daß jedes von ihr gesprochn"
Wort von deu Hunderten von anwesenden Damen -- Herren waren nur sehr
wenig da -- als Evangelium aufgenommen werde, daß sie die Führerin sei,'
gegen die es keinen Widerspruch gebe. Ich möchte nicht mißverstanden werden,
wie von einer Dame, der ich bald nach jenem Abend diesen meinen Eindruck
mitteilte, und die mir erwiderte: Muß denn nicht der Redner von der Wahr¬
heit seiner Worte überzeugt, von Begeisterung erfüllt sein? Gewiß, Begeisterung
und- Selbstvertrauen sind etwas Schönes und sür den großen Redner unent¬
behrlich. Aber damit hat die Sicherheit, von der ich rede, nichts zu thun.
Es ist ein großer Unterschied, ob man überzeugt und begeistert vou seiner
Sache spricht, oder im Tone der Unfehlbarkeit und -- ich kann mir uicht
helfen -- der Anmaßung. Diese Art von Sicherheit wirkte bei Fräulein
Lauge um so unangenehmer, je schwächer begründet sie für den urteilsfähigen
Zuhörer war.

Gleich zu Anfang wurde erklärt und zwar in einem Tone, als ob an der
Berechtigung dieses Grundes nur ein Einfaltspinsel zweifeln könnte: Man giebt
der männlichen und weiblichen Jugend die gleiche körperliche Nahrung, folg¬
lich -- muß man ihr auch die gleiche geistige Nahrung geben. Solche Be¬
weisgründe gehören doch kaum in eine ernsthafte Verhandlung. Fräulein
Lange will nnn aber gar nicht die der heutigen höhern männlichen Schul¬
jugend gebotne geistige Nahrung für ihre "Geschlechtsgenossinnen": leider werde
noch der Besuch der Universität meist von der Absvlvirung des humanistischen
Gymnasiums abhängig gemacht; solange man an diesem veralteten Standpunkt
festhalte, könnten die Frauen auf die gleiche Bildung verzichten. Veraltet --
mit diesem einen Worte war der ganze Wert der humanistischen Bildung ab¬
gethan. Gewiß läßt sich gegen diese humanistische Bildung manches einwenden,
aber so einfach ist doch diese Frage, in der die ersten Männer unsers Volkes
verschiedner Meinung sind, nicht, daß man sie spielend mit einem Worte er¬
ledigen könnte. Hätte Fräulein Lange begeistert, wenn auch in noch so scharfer
Weise mit Gründen die humanistische Bildung bekämpft -- und auf diese Frage
einzugehen hätte schau das Thema "Frauenbildung" gefordert --, so hätte
ich ihr mit der Anerkennung, die man auch dein Gegner nie versagt, zugehört,
aber die Art, die Fräulein Lange beliebte, wirkte auf den Sachkundigen nur
erheiternd.

Weniger erheiternd war es, daß in diesem Tone Behauptungen und


Der Frauentag in Rassel

an den beiden Abenden sprachen, zeigten sich als vorzügliche Rednerinnen, die
mit hervorragender Gewandtheit und Sicherheit auftraten, einzelne sogar —
mit allzu großer Sicherheit, und hiermit komme ich auf das erste Bedenken,
dem ich Ausdruck geben möchte. Ich gestehe offen, daß die Art und Weise,
wie vor allem die viel gefeierte Fräulein Helene Lange auftrat, mich geradezu
unangenehm berührt hat. Man merkte ihr deun doch gar zu sehr das Bewußt¬
sein ihrer Berühmtheit an, das Bewußtsein, daß jedes von ihr gesprochn«
Wort von deu Hunderten von anwesenden Damen — Herren waren nur sehr
wenig da — als Evangelium aufgenommen werde, daß sie die Führerin sei,'
gegen die es keinen Widerspruch gebe. Ich möchte nicht mißverstanden werden,
wie von einer Dame, der ich bald nach jenem Abend diesen meinen Eindruck
mitteilte, und die mir erwiderte: Muß denn nicht der Redner von der Wahr¬
heit seiner Worte überzeugt, von Begeisterung erfüllt sein? Gewiß, Begeisterung
und- Selbstvertrauen sind etwas Schönes und sür den großen Redner unent¬
behrlich. Aber damit hat die Sicherheit, von der ich rede, nichts zu thun.
Es ist ein großer Unterschied, ob man überzeugt und begeistert vou seiner
Sache spricht, oder im Tone der Unfehlbarkeit und — ich kann mir uicht
helfen — der Anmaßung. Diese Art von Sicherheit wirkte bei Fräulein
Lauge um so unangenehmer, je schwächer begründet sie für den urteilsfähigen
Zuhörer war.

Gleich zu Anfang wurde erklärt und zwar in einem Tone, als ob an der
Berechtigung dieses Grundes nur ein Einfaltspinsel zweifeln könnte: Man giebt
der männlichen und weiblichen Jugend die gleiche körperliche Nahrung, folg¬
lich — muß man ihr auch die gleiche geistige Nahrung geben. Solche Be¬
weisgründe gehören doch kaum in eine ernsthafte Verhandlung. Fräulein
Lange will nnn aber gar nicht die der heutigen höhern männlichen Schul¬
jugend gebotne geistige Nahrung für ihre „Geschlechtsgenossinnen": leider werde
noch der Besuch der Universität meist von der Absvlvirung des humanistischen
Gymnasiums abhängig gemacht; solange man an diesem veralteten Standpunkt
festhalte, könnten die Frauen auf die gleiche Bildung verzichten. Veraltet —
mit diesem einen Worte war der ganze Wert der humanistischen Bildung ab¬
gethan. Gewiß läßt sich gegen diese humanistische Bildung manches einwenden,
aber so einfach ist doch diese Frage, in der die ersten Männer unsers Volkes
verschiedner Meinung sind, nicht, daß man sie spielend mit einem Worte er¬
ledigen könnte. Hätte Fräulein Lange begeistert, wenn auch in noch so scharfer
Weise mit Gründen die humanistische Bildung bekämpft — und auf diese Frage
einzugehen hätte schau das Thema „Frauenbildung" gefordert —, so hätte
ich ihr mit der Anerkennung, die man auch dein Gegner nie versagt, zugehört,
aber die Art, die Fräulein Lange beliebte, wirkte auf den Sachkundigen nur
erheiternd.

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[0590] Der Frauentag in Rassel an den beiden Abenden sprachen, zeigten sich als vorzügliche Rednerinnen, die mit hervorragender Gewandtheit und Sicherheit auftraten, einzelne sogar — mit allzu großer Sicherheit, und hiermit komme ich auf das erste Bedenken, dem ich Ausdruck geben möchte. Ich gestehe offen, daß die Art und Weise, wie vor allem die viel gefeierte Fräulein Helene Lange auftrat, mich geradezu unangenehm berührt hat. Man merkte ihr deun doch gar zu sehr das Bewußt¬ sein ihrer Berühmtheit an, das Bewußtsein, daß jedes von ihr gesprochn« Wort von deu Hunderten von anwesenden Damen — Herren waren nur sehr wenig da — als Evangelium aufgenommen werde, daß sie die Führerin sei,' gegen die es keinen Widerspruch gebe. Ich möchte nicht mißverstanden werden, wie von einer Dame, der ich bald nach jenem Abend diesen meinen Eindruck mitteilte, und die mir erwiderte: Muß denn nicht der Redner von der Wahr¬ heit seiner Worte überzeugt, von Begeisterung erfüllt sein? Gewiß, Begeisterung und- Selbstvertrauen sind etwas Schönes und sür den großen Redner unent¬ behrlich. Aber damit hat die Sicherheit, von der ich rede, nichts zu thun. Es ist ein großer Unterschied, ob man überzeugt und begeistert vou seiner Sache spricht, oder im Tone der Unfehlbarkeit und — ich kann mir uicht helfen — der Anmaßung. Diese Art von Sicherheit wirkte bei Fräulein Lauge um so unangenehmer, je schwächer begründet sie für den urteilsfähigen Zuhörer war. Gleich zu Anfang wurde erklärt und zwar in einem Tone, als ob an der Berechtigung dieses Grundes nur ein Einfaltspinsel zweifeln könnte: Man giebt der männlichen und weiblichen Jugend die gleiche körperliche Nahrung, folg¬ lich — muß man ihr auch die gleiche geistige Nahrung geben. Solche Be¬ weisgründe gehören doch kaum in eine ernsthafte Verhandlung. Fräulein Lange will nnn aber gar nicht die der heutigen höhern männlichen Schul¬ jugend gebotne geistige Nahrung für ihre „Geschlechtsgenossinnen": leider werde noch der Besuch der Universität meist von der Absvlvirung des humanistischen Gymnasiums abhängig gemacht; solange man an diesem veralteten Standpunkt festhalte, könnten die Frauen auf die gleiche Bildung verzichten. Veraltet — mit diesem einen Worte war der ganze Wert der humanistischen Bildung ab¬ gethan. Gewiß läßt sich gegen diese humanistische Bildung manches einwenden, aber so einfach ist doch diese Frage, in der die ersten Männer unsers Volkes verschiedner Meinung sind, nicht, daß man sie spielend mit einem Worte er¬ ledigen könnte. Hätte Fräulein Lange begeistert, wenn auch in noch so scharfer Weise mit Gründen die humanistische Bildung bekämpft — und auf diese Frage einzugehen hätte schau das Thema „Frauenbildung" gefordert —, so hätte ich ihr mit der Anerkennung, die man auch dein Gegner nie versagt, zugehört, aber die Art, die Fräulein Lange beliebte, wirkte auf den Sachkundigen nur erheiternd. Weniger erheiternd war es, daß in diesem Tone Behauptungen und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/590>, abgerufen am 13.05.2024.