Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Mein alter Nachbar

nur gute Folge, ausdauernde Mitarbeiter und, was freilich für die Litteratur¬
geschichte wie für unsre Leser die Hauptsache ist, gutes Material, das heißt
große und kleine, aber geistvolle und echte literarhistorische Leistungen wünschen,
die die Wissenschaft unmittelbar und also die Litteratur selbst mittelbar fördern.




Mein alter Nachbar
Martin Böttcher ( von(Schluß)

un kamen die Universitätsjahre mit ihrem Sturm und Drang. Ich
war ein fleißiger Student und vernachlässigte nie mein Brotstudium;
aber ich vergaß auch nicht die alte Wahrheit: Der Mensch lebt
nicht vom Brot allein, vergaß nicht, daß man in der Welt und für
die Welt lebt, daß man sie deshalb kennen lernen, daß man die
Natur und den Menschen studiren muß. Mein Naturstudium war
freilich nicht sehr umfassend. Es wurde bestimmt und begrenzt von einem unklaren
Verlangen, einer ahnungsvollen Sehnsucht, und dieses Verlangen und diese Sehn¬
sucht trieb mich hinaus ans einsame, dunkle Waldpfade; es trieb mich in der
schweigenden Nacht hinunter an den Meeresstrand, wo ich mit Heine die brausenden
Wogen und die strahlenden ewigen Sterne anflehte um die Lösung des Lebens¬
rätsels. Zu einem Ergebnis führte es nicht, am allerwenigsten zu dem, das der
Dichter nennt: daß nur Narren sich mit Sternen und Wellen beraten. Und den
Umfang meines Menschenstudiums begrenzte ich gleich vom Anfang an noch mehr --
der Gründlichkeit wegen. Aber vielleicht war gerade das die Ursache des günstigen
Ergebnisses. Ich bediente mich hier mit schnellem und ausgezeichnetem Erfolge der
analytischen Methode. Ohne beim "Generellen" zu verweilen, sonderte ich als der
Betrachtung unwürdig von dem menschlichen Geschlecht sofort die Hälfte aus, der
ich selber angehöre, und widmete meine ganze Aufmerksamkeit der bessern andern
Hälfte. Aber auch hier verweilte ich nicht lange, sondern sonderte immer und
immer wieder aus, bis mich die Methode endlich zum "Individuum" geführt hatte,
und dieses Individuum hieß Alma H . . . und war der Inbegriff aller weiblichen
Vollkommenheit. Von diesem Studium und seinem Erfolge hätte mein alter Freund,
der Weiberhasser, eine Ahnung haben sollen! Ja, und er hätte wissen sollen, daß
gerade er es war, der es mir ermöglicht hatte, dem Gegenstande meiner Sehnsucht
näherzutreten!

Obgleich er es immer mit einer merkwürdigen Scheu vermieden hatte, von
seiner Jugend zu erzählen, so hatte er doch ein paarmal eine Freundschaft erwähnt,
die ihn in seinen Studienjahren mit einem gewissen H . . . verbunden hatte, von
dem er wußte, daß er jetzt an einer Universität eine Professur bekleidete, mit dem
er aber seit einer langen Reihe von Jahren nicht in Berührung gekommen war.
Nun hieß ihr Vater H . . ., er war Professor an der Universität " und konnte


Mein alter Nachbar

nur gute Folge, ausdauernde Mitarbeiter und, was freilich für die Litteratur¬
geschichte wie für unsre Leser die Hauptsache ist, gutes Material, das heißt
große und kleine, aber geistvolle und echte literarhistorische Leistungen wünschen,
die die Wissenschaft unmittelbar und also die Litteratur selbst mittelbar fördern.




Mein alter Nachbar
Martin Böttcher ( von(Schluß)

un kamen die Universitätsjahre mit ihrem Sturm und Drang. Ich
war ein fleißiger Student und vernachlässigte nie mein Brotstudium;
aber ich vergaß auch nicht die alte Wahrheit: Der Mensch lebt
nicht vom Brot allein, vergaß nicht, daß man in der Welt und für
die Welt lebt, daß man sie deshalb kennen lernen, daß man die
Natur und den Menschen studiren muß. Mein Naturstudium war
freilich nicht sehr umfassend. Es wurde bestimmt und begrenzt von einem unklaren
Verlangen, einer ahnungsvollen Sehnsucht, und dieses Verlangen und diese Sehn¬
sucht trieb mich hinaus ans einsame, dunkle Waldpfade; es trieb mich in der
schweigenden Nacht hinunter an den Meeresstrand, wo ich mit Heine die brausenden
Wogen und die strahlenden ewigen Sterne anflehte um die Lösung des Lebens¬
rätsels. Zu einem Ergebnis führte es nicht, am allerwenigsten zu dem, das der
Dichter nennt: daß nur Narren sich mit Sternen und Wellen beraten. Und den
Umfang meines Menschenstudiums begrenzte ich gleich vom Anfang an noch mehr —
der Gründlichkeit wegen. Aber vielleicht war gerade das die Ursache des günstigen
Ergebnisses. Ich bediente mich hier mit schnellem und ausgezeichnetem Erfolge der
analytischen Methode. Ohne beim „Generellen" zu verweilen, sonderte ich als der
Betrachtung unwürdig von dem menschlichen Geschlecht sofort die Hälfte aus, der
ich selber angehöre, und widmete meine ganze Aufmerksamkeit der bessern andern
Hälfte. Aber auch hier verweilte ich nicht lange, sondern sonderte immer und
immer wieder aus, bis mich die Methode endlich zum „Individuum" geführt hatte,
und dieses Individuum hieß Alma H . . . und war der Inbegriff aller weiblichen
Vollkommenheit. Von diesem Studium und seinem Erfolge hätte mein alter Freund,
der Weiberhasser, eine Ahnung haben sollen! Ja, und er hätte wissen sollen, daß
gerade er es war, der es mir ermöglicht hatte, dem Gegenstande meiner Sehnsucht
näherzutreten!

Obgleich er es immer mit einer merkwürdigen Scheu vermieden hatte, von
seiner Jugend zu erzählen, so hatte er doch ein paarmal eine Freundschaft erwähnt,
die ihn in seinen Studienjahren mit einem gewissen H . . . verbunden hatte, von
dem er wußte, daß er jetzt an einer Universität eine Professur bekleidete, mit dem
er aber seit einer langen Reihe von Jahren nicht in Berührung gekommen war.
Nun hieß ihr Vater H . . ., er war Professor an der Universität " und konnte


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0619" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/222923"/>
          <fw type="header" place="top"> Mein alter Nachbar</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1786" prev="#ID_1785"> nur gute Folge, ausdauernde Mitarbeiter und, was freilich für die Litteratur¬<lb/>
geschichte wie für unsre Leser die Hauptsache ist, gutes Material, das heißt<lb/>
große und kleine, aber geistvolle und echte literarhistorische Leistungen wünschen,<lb/>
die die Wissenschaft unmittelbar und also die Litteratur selbst mittelbar fördern.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Mein alter Nachbar<lb/><note type="byline"> Martin Böttcher (</note> von(Schluß)</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1787"> un kamen die Universitätsjahre mit ihrem Sturm und Drang. Ich<lb/>
war ein fleißiger Student und vernachlässigte nie mein Brotstudium;<lb/>
aber ich vergaß auch nicht die alte Wahrheit: Der Mensch lebt<lb/>
nicht vom Brot allein, vergaß nicht, daß man in der Welt und für<lb/>
die Welt lebt, daß man sie deshalb kennen lernen, daß man die<lb/>
Natur und den Menschen studiren muß. Mein Naturstudium war<lb/>
freilich nicht sehr umfassend. Es wurde bestimmt und begrenzt von einem unklaren<lb/>
Verlangen, einer ahnungsvollen Sehnsucht, und dieses Verlangen und diese Sehn¬<lb/>
sucht trieb mich hinaus ans einsame, dunkle Waldpfade; es trieb mich in der<lb/>
schweigenden Nacht hinunter an den Meeresstrand, wo ich mit Heine die brausenden<lb/>
Wogen und die strahlenden ewigen Sterne anflehte um die Lösung des Lebens¬<lb/>
rätsels. Zu einem Ergebnis führte es nicht, am allerwenigsten zu dem, das der<lb/>
Dichter nennt: daß nur Narren sich mit Sternen und Wellen beraten. Und den<lb/>
Umfang meines Menschenstudiums begrenzte ich gleich vom Anfang an noch mehr &#x2014;<lb/>
der Gründlichkeit wegen. Aber vielleicht war gerade das die Ursache des günstigen<lb/>
Ergebnisses. Ich bediente mich hier mit schnellem und ausgezeichnetem Erfolge der<lb/>
analytischen Methode. Ohne beim &#x201E;Generellen" zu verweilen, sonderte ich als der<lb/>
Betrachtung unwürdig von dem menschlichen Geschlecht sofort die Hälfte aus, der<lb/>
ich selber angehöre, und widmete meine ganze Aufmerksamkeit der bessern andern<lb/>
Hälfte. Aber auch hier verweilte ich nicht lange, sondern sonderte immer und<lb/>
immer wieder aus, bis mich die Methode endlich zum &#x201E;Individuum" geführt hatte,<lb/>
und dieses Individuum hieß Alma H . . . und war der Inbegriff aller weiblichen<lb/>
Vollkommenheit. Von diesem Studium und seinem Erfolge hätte mein alter Freund,<lb/>
der Weiberhasser, eine Ahnung haben sollen! Ja, und er hätte wissen sollen, daß<lb/>
gerade er es war, der es mir ermöglicht hatte, dem Gegenstande meiner Sehnsucht<lb/>
näherzutreten!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1788" next="#ID_1789"> Obgleich er es immer mit einer merkwürdigen Scheu vermieden hatte, von<lb/>
seiner Jugend zu erzählen, so hatte er doch ein paarmal eine Freundschaft erwähnt,<lb/>
die ihn in seinen Studienjahren mit einem gewissen H . . . verbunden hatte, von<lb/>
dem er wußte, daß er jetzt an einer Universität eine Professur bekleidete, mit dem<lb/>
er aber seit einer langen Reihe von Jahren nicht in Berührung gekommen war.<lb/>
Nun hieß ihr Vater H . . ., er war Professor an der Universität " und konnte</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0619] Mein alter Nachbar nur gute Folge, ausdauernde Mitarbeiter und, was freilich für die Litteratur¬ geschichte wie für unsre Leser die Hauptsache ist, gutes Material, das heißt große und kleine, aber geistvolle und echte literarhistorische Leistungen wünschen, die die Wissenschaft unmittelbar und also die Litteratur selbst mittelbar fördern. Mein alter Nachbar Martin Böttcher ( von(Schluß) un kamen die Universitätsjahre mit ihrem Sturm und Drang. Ich war ein fleißiger Student und vernachlässigte nie mein Brotstudium; aber ich vergaß auch nicht die alte Wahrheit: Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, vergaß nicht, daß man in der Welt und für die Welt lebt, daß man sie deshalb kennen lernen, daß man die Natur und den Menschen studiren muß. Mein Naturstudium war freilich nicht sehr umfassend. Es wurde bestimmt und begrenzt von einem unklaren Verlangen, einer ahnungsvollen Sehnsucht, und dieses Verlangen und diese Sehn¬ sucht trieb mich hinaus ans einsame, dunkle Waldpfade; es trieb mich in der schweigenden Nacht hinunter an den Meeresstrand, wo ich mit Heine die brausenden Wogen und die strahlenden ewigen Sterne anflehte um die Lösung des Lebens¬ rätsels. Zu einem Ergebnis führte es nicht, am allerwenigsten zu dem, das der Dichter nennt: daß nur Narren sich mit Sternen und Wellen beraten. Und den Umfang meines Menschenstudiums begrenzte ich gleich vom Anfang an noch mehr — der Gründlichkeit wegen. Aber vielleicht war gerade das die Ursache des günstigen Ergebnisses. Ich bediente mich hier mit schnellem und ausgezeichnetem Erfolge der analytischen Methode. Ohne beim „Generellen" zu verweilen, sonderte ich als der Betrachtung unwürdig von dem menschlichen Geschlecht sofort die Hälfte aus, der ich selber angehöre, und widmete meine ganze Aufmerksamkeit der bessern andern Hälfte. Aber auch hier verweilte ich nicht lange, sondern sonderte immer und immer wieder aus, bis mich die Methode endlich zum „Individuum" geführt hatte, und dieses Individuum hieß Alma H . . . und war der Inbegriff aller weiblichen Vollkommenheit. Von diesem Studium und seinem Erfolge hätte mein alter Freund, der Weiberhasser, eine Ahnung haben sollen! Ja, und er hätte wissen sollen, daß gerade er es war, der es mir ermöglicht hatte, dem Gegenstande meiner Sehnsucht näherzutreten! Obgleich er es immer mit einer merkwürdigen Scheu vermieden hatte, von seiner Jugend zu erzählen, so hatte er doch ein paarmal eine Freundschaft erwähnt, die ihn in seinen Studienjahren mit einem gewissen H . . . verbunden hatte, von dem er wußte, daß er jetzt an einer Universität eine Professur bekleidete, mit dem er aber seit einer langen Reihe von Jahren nicht in Berührung gekommen war. Nun hieß ihr Vater H . . ., er war Professor an der Universität " und konnte

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/619
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/619>, abgerufen am 28.04.2024.