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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Eine Geschichte Livlands

n der Walhalla bei Regensburg steht unter den vielen steinernen
Bildern von großen Söhnen der deutschen Erde auch das eines
Mannes, der auf dem letzten Vorposten des heiligen römischen
Reichs, am äußersten Ende des zusammenhängenden Gebietes
deutscher Nation, geboren war: das Bild des Herrmeisters von
Livland, Wolters von Plettenberg. Dort aber, wo der Narowastrom eine
stunde vor seiner Mündung in das Finnische Meer über eine breite Kalk¬
steinbank herabstürzt, die das Flußbett quer durchschneidet, ragen noch heute
zwei alte Burgen zu beiden Seiten des Wassers einander gegenüber empor:
Haus Narwal, das wohlerhaltene Schloß des deutschen Ordens, und die russische
Trutzfeste Jwangorod, vor vierhundert Jahren erbaut als Stützpunkt der
erstarkten moskowitischen Macht gegen Livland. Narwal ist die Stätte, von
der Plettenberg sagt, in seinen jungen Jahren sei er "dort aufgezogen und
gewesen"; Narwa ist die Stätte, wo im Jahre 1492 der Moskowiter zum
erstenmal -- noch auf lange hinaus vergeblich -- den Anlauf nahm, um nach
dem Abendlande vorzubrechen, und Plettenberg ist der Mann, der in ver¬
zweifeltem Ringen den Felsen gebildet hat, an dem sich diese erste Woge der
herandringenden großen Flut brach.

Dieser große Gegensatz, der Kampf zwischen Russentum und Deutschtum
um die Küste der Ostsee, des nordeuropäischen Mittelmeeres, ist es, durch den
die Geschichte Livlcmds ein universalgeschichtliches Interesse erhält, und so darf
Wohl eine soeben erschienene Geschichte Livlands von Ernst Seraphim
auch in weitern Kreisen Deutschlands auf Leser rechnend)

Von russischer Seite wird jetzt bei der Russifizirung der baltischen Pro¬
vinzen behauptet, es handle sich bei der Verdrängung des Deutschtums durch
die russische "Kultur" im Grunde mir um die Zurückfvrderung eines uralten
Besitzes. In gewissem Sinne ist das richtig. Am Ende des neunten Jahr-



Geschichte Liv-, Est- und Kurlands von der "Aufsegelung" des Landes bis zur
Einverleibung in das russische Reich. Eine populäre Darstellung von Ernst Seraphim.
Mit sieben Bildern, einer Karte und einem Personen- und Sachregister. 1. Band (425 S.):
Die Zeit bis zum Untergange livlündischer Selbständigkeit. 2. Band (71S S.) 1. Abteilung:
Die Provinzialgeschichte bis zur Unterwerfung unter Nußland. 2. Abteilung (von Dr- August
Seraphim): Kurland unter den Herzögen. Reval, Franz Kluge, 1895 und 18!>ö.
Grenzboten II 1836 9


Eine Geschichte Livlands

n der Walhalla bei Regensburg steht unter den vielen steinernen
Bildern von großen Söhnen der deutschen Erde auch das eines
Mannes, der auf dem letzten Vorposten des heiligen römischen
Reichs, am äußersten Ende des zusammenhängenden Gebietes
deutscher Nation, geboren war: das Bild des Herrmeisters von
Livland, Wolters von Plettenberg. Dort aber, wo der Narowastrom eine
stunde vor seiner Mündung in das Finnische Meer über eine breite Kalk¬
steinbank herabstürzt, die das Flußbett quer durchschneidet, ragen noch heute
zwei alte Burgen zu beiden Seiten des Wassers einander gegenüber empor:
Haus Narwal, das wohlerhaltene Schloß des deutschen Ordens, und die russische
Trutzfeste Jwangorod, vor vierhundert Jahren erbaut als Stützpunkt der
erstarkten moskowitischen Macht gegen Livland. Narwal ist die Stätte, von
der Plettenberg sagt, in seinen jungen Jahren sei er „dort aufgezogen und
gewesen"; Narwa ist die Stätte, wo im Jahre 1492 der Moskowiter zum
erstenmal — noch auf lange hinaus vergeblich — den Anlauf nahm, um nach
dem Abendlande vorzubrechen, und Plettenberg ist der Mann, der in ver¬
zweifeltem Ringen den Felsen gebildet hat, an dem sich diese erste Woge der
herandringenden großen Flut brach.

Dieser große Gegensatz, der Kampf zwischen Russentum und Deutschtum
um die Küste der Ostsee, des nordeuropäischen Mittelmeeres, ist es, durch den
die Geschichte Livlcmds ein universalgeschichtliches Interesse erhält, und so darf
Wohl eine soeben erschienene Geschichte Livlands von Ernst Seraphim
auch in weitern Kreisen Deutschlands auf Leser rechnend)

Von russischer Seite wird jetzt bei der Russifizirung der baltischen Pro¬
vinzen behauptet, es handle sich bei der Verdrängung des Deutschtums durch
die russische „Kultur" im Grunde mir um die Zurückfvrderung eines uralten
Besitzes. In gewissem Sinne ist das richtig. Am Ende des neunten Jahr-



Geschichte Liv-, Est- und Kurlands von der „Aufsegelung" des Landes bis zur
Einverleibung in das russische Reich. Eine populäre Darstellung von Ernst Seraphim.
Mit sieben Bildern, einer Karte und einem Personen- und Sachregister. 1. Band (425 S.):
Die Zeit bis zum Untergange livlündischer Selbständigkeit. 2. Band (71S S.) 1. Abteilung:
Die Provinzialgeschichte bis zur Unterwerfung unter Nußland. 2. Abteilung (von Dr- August
Seraphim): Kurland unter den Herzögen. Reval, Franz Kluge, 1895 und 18!>ö.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/73>, abgerufen am 27.04.2024.