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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Zur Assessorenfrage in Preußen

er von der preußischen Regierung dem Landtage vorgelegte Gesetz¬
entwurf, betreffend die Regelung der Richtergehalte und die Er¬
nennung der Gerichtsaffesforen, hat in seinem zweiten Teile, der
Asfesforenfrage, zwar sehr lebhafte Debatten hervorgerufen, ist
aber bis jetzt von keiner Seite mit der nötigen Gründlichkeit
behandelt worden. Weder in der Negierung -- in den Motiven und in den
mündlichen Ausführungen des Justizministers im Abgeordnetenhause -- noch
von den Gegnern ist das geschehen. Wer die heutige Zuspitzung der auf
materielle Interessen gerichteten Klassenkämpfe und die verhängnisvoll zu¬
nehmende Übermacht der egoistisch-materialistischen Anschauungen in allen Ver¬
hältnissen gebührend würdigt, sollte sich nicht der Erkenntnis verschließen, daß
es jetzt mehr als je die wichtigste Aufgabe der Staatsgewalt ist, dem Beamten¬
stande die Unabhängigkeit von jenen Interessen und Anschnuungeu zu erhalten
oder wieder zu verschaffen. Mehr als je muß die unter dem Staatsoberhaupt
im Beamtentum personifizirte Staatsgewalt das feste Bollwerk sein, an dem
sich die Wogen der Jnteresfenwirtschaft und des Jnteresfenkmnpfes brechen.
Dabei steht der Richterstand und das höhere, in der Hauptsache aus juristisch
geschulten Leuten sich ergänzende Verwaltnngsbeamtentmn in erster Linie.

Das Recht, die Kandidaten für das Nichtemmt nach beendeten Vor¬
bereitungsdienst anzunehmen oder abzulehnen, stand schon bisher der Justiz¬
verwaltung zu, wenn auch Ablehnungen gewöhnlich so selten vorkamen, daß im
allgemeinen der junge Jurist, der die Staatsprüfung bestanden hatte, mit
Sicherheit darauf rechnete, in der Reihe zum Nichtercunte zu gelangen, wenn
er nicht vorher zur Nechtsanwaltschaft überging oder von der Verwaltung
übernommen wurde, oder etwa infolge grober Verstöße gegen Gesetz und gute
Sitte schon vom Justizvvrbereitungsdienst ausgeschlossen werden mußte. An


Grenzblltcn II 18W 1


Zur Assessorenfrage in Preußen

er von der preußischen Regierung dem Landtage vorgelegte Gesetz¬
entwurf, betreffend die Regelung der Richtergehalte und die Er¬
nennung der Gerichtsaffesforen, hat in seinem zweiten Teile, der
Asfesforenfrage, zwar sehr lebhafte Debatten hervorgerufen, ist
aber bis jetzt von keiner Seite mit der nötigen Gründlichkeit
behandelt worden. Weder in der Negierung — in den Motiven und in den
mündlichen Ausführungen des Justizministers im Abgeordnetenhause — noch
von den Gegnern ist das geschehen. Wer die heutige Zuspitzung der auf
materielle Interessen gerichteten Klassenkämpfe und die verhängnisvoll zu¬
nehmende Übermacht der egoistisch-materialistischen Anschauungen in allen Ver¬
hältnissen gebührend würdigt, sollte sich nicht der Erkenntnis verschließen, daß
es jetzt mehr als je die wichtigste Aufgabe der Staatsgewalt ist, dem Beamten¬
stande die Unabhängigkeit von jenen Interessen und Anschnuungeu zu erhalten
oder wieder zu verschaffen. Mehr als je muß die unter dem Staatsoberhaupt
im Beamtentum personifizirte Staatsgewalt das feste Bollwerk sein, an dem
sich die Wogen der Jnteresfenwirtschaft und des Jnteresfenkmnpfes brechen.
Dabei steht der Richterstand und das höhere, in der Hauptsache aus juristisch
geschulten Leuten sich ergänzende Verwaltnngsbeamtentmn in erster Linie.

Das Recht, die Kandidaten für das Nichtemmt nach beendeten Vor¬
bereitungsdienst anzunehmen oder abzulehnen, stand schon bisher der Justiz¬
verwaltung zu, wenn auch Ablehnungen gewöhnlich so selten vorkamen, daß im
allgemeinen der junge Jurist, der die Staatsprüfung bestanden hatte, mit
Sicherheit darauf rechnete, in der Reihe zum Nichtercunte zu gelangen, wenn
er nicht vorher zur Nechtsanwaltschaft überging oder von der Verwaltung
übernommen wurde, oder etwa infolge grober Verstöße gegen Gesetz und gute
Sitte schon vom Justizvvrbereitungsdienst ausgeschlossen werden mußte. An


Grenzblltcn II 18W 1
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[0009] [Abbildung] Zur Assessorenfrage in Preußen er von der preußischen Regierung dem Landtage vorgelegte Gesetz¬ entwurf, betreffend die Regelung der Richtergehalte und die Er¬ nennung der Gerichtsaffesforen, hat in seinem zweiten Teile, der Asfesforenfrage, zwar sehr lebhafte Debatten hervorgerufen, ist aber bis jetzt von keiner Seite mit der nötigen Gründlichkeit behandelt worden. Weder in der Negierung — in den Motiven und in den mündlichen Ausführungen des Justizministers im Abgeordnetenhause — noch von den Gegnern ist das geschehen. Wer die heutige Zuspitzung der auf materielle Interessen gerichteten Klassenkämpfe und die verhängnisvoll zu¬ nehmende Übermacht der egoistisch-materialistischen Anschauungen in allen Ver¬ hältnissen gebührend würdigt, sollte sich nicht der Erkenntnis verschließen, daß es jetzt mehr als je die wichtigste Aufgabe der Staatsgewalt ist, dem Beamten¬ stande die Unabhängigkeit von jenen Interessen und Anschnuungeu zu erhalten oder wieder zu verschaffen. Mehr als je muß die unter dem Staatsoberhaupt im Beamtentum personifizirte Staatsgewalt das feste Bollwerk sein, an dem sich die Wogen der Jnteresfenwirtschaft und des Jnteresfenkmnpfes brechen. Dabei steht der Richterstand und das höhere, in der Hauptsache aus juristisch geschulten Leuten sich ergänzende Verwaltnngsbeamtentmn in erster Linie. Das Recht, die Kandidaten für das Nichtemmt nach beendeten Vor¬ bereitungsdienst anzunehmen oder abzulehnen, stand schon bisher der Justiz¬ verwaltung zu, wenn auch Ablehnungen gewöhnlich so selten vorkamen, daß im allgemeinen der junge Jurist, der die Staatsprüfung bestanden hatte, mit Sicherheit darauf rechnete, in der Reihe zum Nichtercunte zu gelangen, wenn er nicht vorher zur Nechtsanwaltschaft überging oder von der Verwaltung übernommen wurde, oder etwa infolge grober Verstöße gegen Gesetz und gute Sitte schon vom Justizvvrbereitungsdienst ausgeschlossen werden mußte. An Grenzblltcn II 18W 1

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/9>, abgerufen am 27.04.2024.