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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Zur Assessoreiifrage in Preußen

dem Ernennungsrecht der Justizverwaltung an sich will nun auch der neue
Gesetzentwurf nichts ändern. Er will nur die Ausübung dieses Rechts in eine
bestimmte Form bringen, allerdings in der nicht zu bestreitenden Voraussicht,
daß in Zukunft die Annahme der Nechtskcmdidaten zum Richteramt nicht mehr
in dem Maße wie bisher die Regel bilden wird, sondern von vornherein die
geeigneten Personen ausgewählt und die ungeeigneten abgelehnt werden sollen.
Nimmt man an, daß das Ernennungsrecht der Staatsgewalt überhaupt un¬
haltbar sei, so scheinen nur zwei Auswege übrig zu bleiben: die Wahl oder
die Einräumung eines erzwingbaren Rechts für jeden, der das Staatsexamen
bestanden hat, auf Anstellung als Richter, wobei natürlich eine Berücksichtigung
andrer Eigenschaften, als der bestimmt als Gegenstand des Examens vorzu¬
schreibenden Kenntnisse, durch die Prüfungsbehörde ganz ausgeschlossen sein
müßte. Aber die Zubilligung eiues solchen Rechts auf das Amt, im Namen
des Königs Recht zu sprechen, für jede", der die Mittel aufzubringen vermag,
Jura zu studiren, scheint doch wohl jetzt und für die nächste Zukunft unter
preußischen und deutschen Verhältnissen ausgeschlossen. Aber ebenso wenig ist
die Wahl ein brauchbarer Ausweg. Sollen die Richter durch Volkswahleu
bestellt werden, d. h. durch wechselnde, mehr und mehr von materiellen Sonder¬
interessen bestimmte Mehrheiten? Oder sollen es Standeswahlen sein, wie im
Ofsizierstande? Würde nicht dadurch eine ungesunde Klassen- und Kastenwirt¬
schaft viel mehr gefördert als beseitigt werden? Es muß in der That heute
nicht im Namen einer Mehrheit, sondern im Namen des Königs Recht ge¬
sprochen werden; nicht gewählte Richter, sondern vom König ernannte Richter
geben heute die Gewähr für Unabhängigkeit von dem Interessenkampf und
von den Klassengegensätzen.

Der neue Gesetzentwurf giebt keine Veranlassung, anzunehmen, daß der
König von Preußen und die preußische Justizverwaltung die Unabhängigkeit
des Richters nicht als Zweck vor Augen hätten, aber man muß es aller¬
dings bedauern, daß es die Justizverwaltung bis jetzt uicht für nötig ge¬
halten hat, das Vertrauen zu diesen: Zweck durch geeignete Erklärungen
vor Zweifeln zu schützen, obgleich der Versuch, solche Zweifel im Volke
wachzurufen, doch von vornherein erwartet werden mußte. Die Justiz¬
verwaltung hat entschieden die Sache zu leicht genommen und ihrer guten
Absicht damit keinen guten Dienst geleistet. Von den Versuchen, Zweifel an
der redlichen Absicht der Regierung zu erregen, scheint der in Ur. 25 des
fünften Jahrgangs der Sozialen Praxis veröffentlichte Artikel: "Die preußische
Richtcrsperre" besonders beachtenswert. Ohne das Ernennungsrecht der Justiz¬
verwaltung für jetzt oder für die Zukunft geradezu zu bekämpfen, beklagt der
Artikel, daß in Zukunft "die alleinige persönliche Auswahl des Justizministers
maßgebend" sein solle, obgleich doch "schon der heutige Richterstand" in der
Hauptsache "nur ein Ausschuß der Besitzenden" sei und an der gegenwärtig


Zur Assessoreiifrage in Preußen

dem Ernennungsrecht der Justizverwaltung an sich will nun auch der neue
Gesetzentwurf nichts ändern. Er will nur die Ausübung dieses Rechts in eine
bestimmte Form bringen, allerdings in der nicht zu bestreitenden Voraussicht,
daß in Zukunft die Annahme der Nechtskcmdidaten zum Richteramt nicht mehr
in dem Maße wie bisher die Regel bilden wird, sondern von vornherein die
geeigneten Personen ausgewählt und die ungeeigneten abgelehnt werden sollen.
Nimmt man an, daß das Ernennungsrecht der Staatsgewalt überhaupt un¬
haltbar sei, so scheinen nur zwei Auswege übrig zu bleiben: die Wahl oder
die Einräumung eines erzwingbaren Rechts für jeden, der das Staatsexamen
bestanden hat, auf Anstellung als Richter, wobei natürlich eine Berücksichtigung
andrer Eigenschaften, als der bestimmt als Gegenstand des Examens vorzu¬
schreibenden Kenntnisse, durch die Prüfungsbehörde ganz ausgeschlossen sein
müßte. Aber die Zubilligung eiues solchen Rechts auf das Amt, im Namen
des Königs Recht zu sprechen, für jede», der die Mittel aufzubringen vermag,
Jura zu studiren, scheint doch wohl jetzt und für die nächste Zukunft unter
preußischen und deutschen Verhältnissen ausgeschlossen. Aber ebenso wenig ist
die Wahl ein brauchbarer Ausweg. Sollen die Richter durch Volkswahleu
bestellt werden, d. h. durch wechselnde, mehr und mehr von materiellen Sonder¬
interessen bestimmte Mehrheiten? Oder sollen es Standeswahlen sein, wie im
Ofsizierstande? Würde nicht dadurch eine ungesunde Klassen- und Kastenwirt¬
schaft viel mehr gefördert als beseitigt werden? Es muß in der That heute
nicht im Namen einer Mehrheit, sondern im Namen des Königs Recht ge¬
sprochen werden; nicht gewählte Richter, sondern vom König ernannte Richter
geben heute die Gewähr für Unabhängigkeit von dem Interessenkampf und
von den Klassengegensätzen.

Der neue Gesetzentwurf giebt keine Veranlassung, anzunehmen, daß der
König von Preußen und die preußische Justizverwaltung die Unabhängigkeit
des Richters nicht als Zweck vor Augen hätten, aber man muß es aller¬
dings bedauern, daß es die Justizverwaltung bis jetzt uicht für nötig ge¬
halten hat, das Vertrauen zu diesen: Zweck durch geeignete Erklärungen
vor Zweifeln zu schützen, obgleich der Versuch, solche Zweifel im Volke
wachzurufen, doch von vornherein erwartet werden mußte. Die Justiz¬
verwaltung hat entschieden die Sache zu leicht genommen und ihrer guten
Absicht damit keinen guten Dienst geleistet. Von den Versuchen, Zweifel an
der redlichen Absicht der Regierung zu erregen, scheint der in Ur. 25 des
fünften Jahrgangs der Sozialen Praxis veröffentlichte Artikel: „Die preußische
Richtcrsperre" besonders beachtenswert. Ohne das Ernennungsrecht der Justiz¬
verwaltung für jetzt oder für die Zukunft geradezu zu bekämpfen, beklagt der
Artikel, daß in Zukunft „die alleinige persönliche Auswahl des Justizministers
maßgebend" sein solle, obgleich doch „schon der heutige Richterstand" in der
Hauptsache „nur ein Ausschuß der Besitzenden" sei und an der gegenwärtig


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/10>, abgerufen am 09.05.2024.