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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Der juristische Zopf

die blutigen und unblutigen Schlachten der Zukunft geschlagen werden. Jeder¬
mann, auch der geringste, der den deutschen Namen trägt, soll dieses Namens
wert sein. Das ist das Ideal unsers nationalen Sozialismus.

Wir wollen kein "Proletariat" -- das ist zugleich das dritte Wort, das
uns von der zünftigen Sozialdemokratie scheidet, die doch erst durchs Elend
alle Menschen ins irdische Himmelreich führen will.

Wenn nun im Volke selbst uicht genug vorhanden ist, alle Kinder glücklich
zu machen, sollte man da die Reichtümer nicht jenseits der Grenzen suchen?
Möge die äußere Politik so glücklich sein, sie zu finden! Sie ist mächtiger
als ihre Schwester, die innere, die Politik der Verteilung.




Der juristische Zopf

er allseitige Widerspruch, den die von der preußischen Justizver¬
waltung in Aussicht genommene Auswahl unter den Gerichts¬
assessoren gefunden hat, gründete sich, wie noch in frischer Erinne¬
rung steht, auf das Mißtrauen gegen die Grundsätze, von denen,
wie man befürchtete, diese Auswahl in Wirklichkeit geleitet sein
würde. Man nahm allgemein an, es würden dabei nicht sowohl die fähigsten,
gescheitesten und charaktervollsten Männer den Vorzug erhalten, sondern auch
ohne es geradezu zu beabsichtigen, werde es sich ganz von selbst ergeben, daß
die Streber, die Geschmeidigen, die sich den Launen und Schwächen der Vor¬
gesetzten geschickt anpassen, den Mitbewerbern den Rang ablaufen würden, und
das Ende werde eine Verminderung der Unabhängigkeit des Richterstandes
sein, die doch mit Recht für eine der wesentlichsten Bürgschaften eines gesunden
öffentlichen Lebens gilt.

So berechtigt auch diese in juristischen wie in Laienkreisen so lebhaft
hervorgetretene Strömung gewesen ist, so läßt sich doch nicht verkennen, daß
dabei eine ganz bestimmte, sehr wesentliche Seite der Frage nicht die ihr ge¬
bührende Beachtung gefunden hat. Wir geben zu, daß eine bestimmte Absicht
über die Art, wie die Ergänzung des Richterstandes in Zukunft vorgenommen
werden sollte, von vornherein in den maßgebenden Kreisen bestanden hat.
Gewisse Bemerkungen über Mangel an gesellschaftlicher Vornehmheit, wie sie
bei den parlamentarischen Verhandlungen und in einigen Zeitungen laut
wurden, ferner die Äußerung des Justizministers über die zulässige Zahl der
jüdischen Richter geben ja ungefähr einen Anhalt dafür, wie sich die Freunde


Grenzboten I 1897 2
Der juristische Zopf

die blutigen und unblutigen Schlachten der Zukunft geschlagen werden. Jeder¬
mann, auch der geringste, der den deutschen Namen trägt, soll dieses Namens
wert sein. Das ist das Ideal unsers nationalen Sozialismus.

Wir wollen kein „Proletariat" — das ist zugleich das dritte Wort, das
uns von der zünftigen Sozialdemokratie scheidet, die doch erst durchs Elend
alle Menschen ins irdische Himmelreich führen will.

Wenn nun im Volke selbst uicht genug vorhanden ist, alle Kinder glücklich
zu machen, sollte man da die Reichtümer nicht jenseits der Grenzen suchen?
Möge die äußere Politik so glücklich sein, sie zu finden! Sie ist mächtiger
als ihre Schwester, die innere, die Politik der Verteilung.




Der juristische Zopf

er allseitige Widerspruch, den die von der preußischen Justizver¬
waltung in Aussicht genommene Auswahl unter den Gerichts¬
assessoren gefunden hat, gründete sich, wie noch in frischer Erinne¬
rung steht, auf das Mißtrauen gegen die Grundsätze, von denen,
wie man befürchtete, diese Auswahl in Wirklichkeit geleitet sein
würde. Man nahm allgemein an, es würden dabei nicht sowohl die fähigsten,
gescheitesten und charaktervollsten Männer den Vorzug erhalten, sondern auch
ohne es geradezu zu beabsichtigen, werde es sich ganz von selbst ergeben, daß
die Streber, die Geschmeidigen, die sich den Launen und Schwächen der Vor¬
gesetzten geschickt anpassen, den Mitbewerbern den Rang ablaufen würden, und
das Ende werde eine Verminderung der Unabhängigkeit des Richterstandes
sein, die doch mit Recht für eine der wesentlichsten Bürgschaften eines gesunden
öffentlichen Lebens gilt.

So berechtigt auch diese in juristischen wie in Laienkreisen so lebhaft
hervorgetretene Strömung gewesen ist, so läßt sich doch nicht verkennen, daß
dabei eine ganz bestimmte, sehr wesentliche Seite der Frage nicht die ihr ge¬
bührende Beachtung gefunden hat. Wir geben zu, daß eine bestimmte Absicht
über die Art, wie die Ergänzung des Richterstandes in Zukunft vorgenommen
werden sollte, von vornherein in den maßgebenden Kreisen bestanden hat.
Gewisse Bemerkungen über Mangel an gesellschaftlicher Vornehmheit, wie sie
bei den parlamentarischen Verhandlungen und in einigen Zeitungen laut
wurden, ferner die Äußerung des Justizministers über die zulässige Zahl der
jüdischen Richter geben ja ungefähr einen Anhalt dafür, wie sich die Freunde


Grenzboten I 1897 2
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[0017] Der juristische Zopf die blutigen und unblutigen Schlachten der Zukunft geschlagen werden. Jeder¬ mann, auch der geringste, der den deutschen Namen trägt, soll dieses Namens wert sein. Das ist das Ideal unsers nationalen Sozialismus. Wir wollen kein „Proletariat" — das ist zugleich das dritte Wort, das uns von der zünftigen Sozialdemokratie scheidet, die doch erst durchs Elend alle Menschen ins irdische Himmelreich führen will. Wenn nun im Volke selbst uicht genug vorhanden ist, alle Kinder glücklich zu machen, sollte man da die Reichtümer nicht jenseits der Grenzen suchen? Möge die äußere Politik so glücklich sein, sie zu finden! Sie ist mächtiger als ihre Schwester, die innere, die Politik der Verteilung. Der juristische Zopf er allseitige Widerspruch, den die von der preußischen Justizver¬ waltung in Aussicht genommene Auswahl unter den Gerichts¬ assessoren gefunden hat, gründete sich, wie noch in frischer Erinne¬ rung steht, auf das Mißtrauen gegen die Grundsätze, von denen, wie man befürchtete, diese Auswahl in Wirklichkeit geleitet sein würde. Man nahm allgemein an, es würden dabei nicht sowohl die fähigsten, gescheitesten und charaktervollsten Männer den Vorzug erhalten, sondern auch ohne es geradezu zu beabsichtigen, werde es sich ganz von selbst ergeben, daß die Streber, die Geschmeidigen, die sich den Launen und Schwächen der Vor¬ gesetzten geschickt anpassen, den Mitbewerbern den Rang ablaufen würden, und das Ende werde eine Verminderung der Unabhängigkeit des Richterstandes sein, die doch mit Recht für eine der wesentlichsten Bürgschaften eines gesunden öffentlichen Lebens gilt. So berechtigt auch diese in juristischen wie in Laienkreisen so lebhaft hervorgetretene Strömung gewesen ist, so läßt sich doch nicht verkennen, daß dabei eine ganz bestimmte, sehr wesentliche Seite der Frage nicht die ihr ge¬ bührende Beachtung gefunden hat. Wir geben zu, daß eine bestimmte Absicht über die Art, wie die Ergänzung des Richterstandes in Zukunft vorgenommen werden sollte, von vornherein in den maßgebenden Kreisen bestanden hat. Gewisse Bemerkungen über Mangel an gesellschaftlicher Vornehmheit, wie sie bei den parlamentarischen Verhandlungen und in einigen Zeitungen laut wurden, ferner die Äußerung des Justizministers über die zulässige Zahl der jüdischen Richter geben ja ungefähr einen Anhalt dafür, wie sich die Freunde Grenzboten I 1897 2

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/17>, abgerufen am 01.05.2024.