Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Innere Politik oder äußere?

ist Arbeit, viel Arbeit. Ja man hat die heutige Vergröberung des Geschmacks
und der Sitten darauf zurückgeführt, daß die Reichen zuviel Arbeits- und Er¬
werbssinn haben, aber sehr wenig Sinn für vornehmen Luxus.

Sollten aber die zukünftigen Herren gar keinen Sinn für Luxus haben,
so würde auch das dem Volke nicht recht sein. ?im<zu, se eirosu8S8 -- das
Volk will nicht nur Brot, sondern auch Spiele. Die Schauspieler aber, die
es am meisten liebt, sind seine Großen, seine Fürsten, seine Edeln. Die sollen
ihm allerlei rührsame Stücke von Vaterlandsliebe, Todesverachtung, Sitten¬
reinheit und Weisheit aufführen, und wehe ihnen, wenn sie wie kleine Leute
denken und sich verstecken. Sie müssen sich in ihrem Glänze zeigen und welt¬
bewegende Thaten thun. Sonst wird das Publikum ungeduldig und verlangt
andre. Sparsamkeit und Bescheidenheit sind kleinbürgerliche Tugenden, die dem
nicht anstehen, der über Großes befiehlt. So denkt das Volk.

Wo bleibt aber noch Sozialismus bei solchen Anschauungen? Der den
Schulzwang einführte, das war der erste praktische Sozialist. Daß jedermann
bei uns lesen kann, das giebt der Bewegung des vierten Standes ihre innere
Berechtigung. Der ihm das allgemeine, gleiche, direkte und geheime Wahlrecht
gab, das war der zweite Sozialist. Denn nachdem man die Menge bewaffnet
hat, kann man nicht umhin, dafür zu sorgen, daß sie nicht durch Hunger ge¬
fährlich werde. Bei diesen beiden mögen sich die Leute beklagen. denen die
wirtschaftliche und politische Befreiung der Arbeiter unbequem ist. Uns aber
ist diese Straße gerade recht, wir wollen auf diesem Wege weiter. Der vierte
Stand ist nunmehr als politische Macht in die Welt gesetzt. Was einmal
lebendig ist, kann man nicht anders wieder wegbringen als durch Mord und
Totschlag. Wer möchte es wohl ernstlich unternehmen, den vierten Stand in
seiner Kultur um ein Jahrhundert wieder zurückzubringen? Mag sein, daß
das deutsche Volk, als es am frühesten unter den großen Völkern der euro¬
päischen Kultur jenes höchst freisinnige Wahlrecht erhielt, etwas zu früh
mündig gesprochen ist. Aber seit Jahrhunderten schon war es für die Demo¬
kratie vorbereitet worden. Nun kann es bloß noch regiert werden mit einer
Politik, die bei allem auch das Wohlbefinden des vierten Standes berück¬
sichtigt. Wer aber die Troika hat leiten können, der wird auch noch vier¬
spännig sahren lernen. Es gilt über dem unvermeidlichen Ausschuß, dem
Pöbel, den die europäischen Kulturvölker wohl nie ganz los werden können,
einen Arbeiterstand zu schaffen, der in einiger Sicherheit und Behaglichkeit
nicht bloß von der Hand in den Mund lebt. Mit ein bischen Besitz und ein
bischen Behagen stellen sich auch die weitern Tugenden der Kleinbürgerlichkeit
ein: der kleine Hochmut des Besitzes, die friedfertige Bequemlichkeit, das Mi߬
behagen an der brodlosen Kunst der Politik.

Gerade ein solcher vierter Stand bildet den eigentlichen Reichtum einer
Nation, nicht die papiernen Kapitalien, und erst mit solchen Leuten können


Innere Politik oder äußere?

ist Arbeit, viel Arbeit. Ja man hat die heutige Vergröberung des Geschmacks
und der Sitten darauf zurückgeführt, daß die Reichen zuviel Arbeits- und Er¬
werbssinn haben, aber sehr wenig Sinn für vornehmen Luxus.

Sollten aber die zukünftigen Herren gar keinen Sinn für Luxus haben,
so würde auch das dem Volke nicht recht sein. ?im<zu, se eirosu8S8 — das
Volk will nicht nur Brot, sondern auch Spiele. Die Schauspieler aber, die
es am meisten liebt, sind seine Großen, seine Fürsten, seine Edeln. Die sollen
ihm allerlei rührsame Stücke von Vaterlandsliebe, Todesverachtung, Sitten¬
reinheit und Weisheit aufführen, und wehe ihnen, wenn sie wie kleine Leute
denken und sich verstecken. Sie müssen sich in ihrem Glänze zeigen und welt¬
bewegende Thaten thun. Sonst wird das Publikum ungeduldig und verlangt
andre. Sparsamkeit und Bescheidenheit sind kleinbürgerliche Tugenden, die dem
nicht anstehen, der über Großes befiehlt. So denkt das Volk.

Wo bleibt aber noch Sozialismus bei solchen Anschauungen? Der den
Schulzwang einführte, das war der erste praktische Sozialist. Daß jedermann
bei uns lesen kann, das giebt der Bewegung des vierten Standes ihre innere
Berechtigung. Der ihm das allgemeine, gleiche, direkte und geheime Wahlrecht
gab, das war der zweite Sozialist. Denn nachdem man die Menge bewaffnet
hat, kann man nicht umhin, dafür zu sorgen, daß sie nicht durch Hunger ge¬
fährlich werde. Bei diesen beiden mögen sich die Leute beklagen. denen die
wirtschaftliche und politische Befreiung der Arbeiter unbequem ist. Uns aber
ist diese Straße gerade recht, wir wollen auf diesem Wege weiter. Der vierte
Stand ist nunmehr als politische Macht in die Welt gesetzt. Was einmal
lebendig ist, kann man nicht anders wieder wegbringen als durch Mord und
Totschlag. Wer möchte es wohl ernstlich unternehmen, den vierten Stand in
seiner Kultur um ein Jahrhundert wieder zurückzubringen? Mag sein, daß
das deutsche Volk, als es am frühesten unter den großen Völkern der euro¬
päischen Kultur jenes höchst freisinnige Wahlrecht erhielt, etwas zu früh
mündig gesprochen ist. Aber seit Jahrhunderten schon war es für die Demo¬
kratie vorbereitet worden. Nun kann es bloß noch regiert werden mit einer
Politik, die bei allem auch das Wohlbefinden des vierten Standes berück¬
sichtigt. Wer aber die Troika hat leiten können, der wird auch noch vier¬
spännig sahren lernen. Es gilt über dem unvermeidlichen Ausschuß, dem
Pöbel, den die europäischen Kulturvölker wohl nie ganz los werden können,
einen Arbeiterstand zu schaffen, der in einiger Sicherheit und Behaglichkeit
nicht bloß von der Hand in den Mund lebt. Mit ein bischen Besitz und ein
bischen Behagen stellen sich auch die weitern Tugenden der Kleinbürgerlichkeit
ein: der kleine Hochmut des Besitzes, die friedfertige Bequemlichkeit, das Mi߬
behagen an der brodlosen Kunst der Politik.

Gerade ein solcher vierter Stand bildet den eigentlichen Reichtum einer
Nation, nicht die papiernen Kapitalien, und erst mit solchen Leuten können


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0016" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/224262"/>
          <fw type="header" place="top"> Innere Politik oder äußere?</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_36" prev="#ID_35"> ist Arbeit, viel Arbeit. Ja man hat die heutige Vergröberung des Geschmacks<lb/>
und der Sitten darauf zurückgeführt, daß die Reichen zuviel Arbeits- und Er¬<lb/>
werbssinn haben, aber sehr wenig Sinn für vornehmen Luxus.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_37"> Sollten aber die zukünftigen Herren gar keinen Sinn für Luxus haben,<lb/>
so würde auch das dem Volke nicht recht sein. ?im&lt;zu, se eirosu8S8 &#x2014; das<lb/>
Volk will nicht nur Brot, sondern auch Spiele. Die Schauspieler aber, die<lb/>
es am meisten liebt, sind seine Großen, seine Fürsten, seine Edeln. Die sollen<lb/>
ihm allerlei rührsame Stücke von Vaterlandsliebe, Todesverachtung, Sitten¬<lb/>
reinheit und Weisheit aufführen, und wehe ihnen, wenn sie wie kleine Leute<lb/>
denken und sich verstecken. Sie müssen sich in ihrem Glänze zeigen und welt¬<lb/>
bewegende Thaten thun. Sonst wird das Publikum ungeduldig und verlangt<lb/>
andre. Sparsamkeit und Bescheidenheit sind kleinbürgerliche Tugenden, die dem<lb/>
nicht anstehen, der über Großes befiehlt.  So denkt das Volk.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_38"> Wo bleibt aber noch Sozialismus bei solchen Anschauungen? Der den<lb/>
Schulzwang einführte, das war der erste praktische Sozialist. Daß jedermann<lb/>
bei uns lesen kann, das giebt der Bewegung des vierten Standes ihre innere<lb/>
Berechtigung. Der ihm das allgemeine, gleiche, direkte und geheime Wahlrecht<lb/>
gab, das war der zweite Sozialist. Denn nachdem man die Menge bewaffnet<lb/>
hat, kann man nicht umhin, dafür zu sorgen, daß sie nicht durch Hunger ge¬<lb/>
fährlich werde. Bei diesen beiden mögen sich die Leute beklagen. denen die<lb/>
wirtschaftliche und politische Befreiung der Arbeiter unbequem ist. Uns aber<lb/>
ist diese Straße gerade recht, wir wollen auf diesem Wege weiter. Der vierte<lb/>
Stand ist nunmehr als politische Macht in die Welt gesetzt. Was einmal<lb/>
lebendig ist, kann man nicht anders wieder wegbringen als durch Mord und<lb/>
Totschlag. Wer möchte es wohl ernstlich unternehmen, den vierten Stand in<lb/>
seiner Kultur um ein Jahrhundert wieder zurückzubringen? Mag sein, daß<lb/>
das deutsche Volk, als es am frühesten unter den großen Völkern der euro¬<lb/>
päischen Kultur jenes höchst freisinnige Wahlrecht erhielt, etwas zu früh<lb/>
mündig gesprochen ist. Aber seit Jahrhunderten schon war es für die Demo¬<lb/>
kratie vorbereitet worden. Nun kann es bloß noch regiert werden mit einer<lb/>
Politik, die bei allem auch das Wohlbefinden des vierten Standes berück¬<lb/>
sichtigt. Wer aber die Troika hat leiten können, der wird auch noch vier¬<lb/>
spännig sahren lernen. Es gilt über dem unvermeidlichen Ausschuß, dem<lb/>
Pöbel, den die europäischen Kulturvölker wohl nie ganz los werden können,<lb/>
einen Arbeiterstand zu schaffen, der in einiger Sicherheit und Behaglichkeit<lb/>
nicht bloß von der Hand in den Mund lebt. Mit ein bischen Besitz und ein<lb/>
bischen Behagen stellen sich auch die weitern Tugenden der Kleinbürgerlichkeit<lb/>
ein: der kleine Hochmut des Besitzes, die friedfertige Bequemlichkeit, das Mi߬<lb/>
behagen an der brodlosen Kunst der Politik.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_39" next="#ID_40"> Gerade ein solcher vierter Stand bildet den eigentlichen Reichtum einer<lb/>
Nation, nicht die papiernen Kapitalien, und erst mit solchen Leuten können</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0016] Innere Politik oder äußere? ist Arbeit, viel Arbeit. Ja man hat die heutige Vergröberung des Geschmacks und der Sitten darauf zurückgeführt, daß die Reichen zuviel Arbeits- und Er¬ werbssinn haben, aber sehr wenig Sinn für vornehmen Luxus. Sollten aber die zukünftigen Herren gar keinen Sinn für Luxus haben, so würde auch das dem Volke nicht recht sein. ?im<zu, se eirosu8S8 — das Volk will nicht nur Brot, sondern auch Spiele. Die Schauspieler aber, die es am meisten liebt, sind seine Großen, seine Fürsten, seine Edeln. Die sollen ihm allerlei rührsame Stücke von Vaterlandsliebe, Todesverachtung, Sitten¬ reinheit und Weisheit aufführen, und wehe ihnen, wenn sie wie kleine Leute denken und sich verstecken. Sie müssen sich in ihrem Glänze zeigen und welt¬ bewegende Thaten thun. Sonst wird das Publikum ungeduldig und verlangt andre. Sparsamkeit und Bescheidenheit sind kleinbürgerliche Tugenden, die dem nicht anstehen, der über Großes befiehlt. So denkt das Volk. Wo bleibt aber noch Sozialismus bei solchen Anschauungen? Der den Schulzwang einführte, das war der erste praktische Sozialist. Daß jedermann bei uns lesen kann, das giebt der Bewegung des vierten Standes ihre innere Berechtigung. Der ihm das allgemeine, gleiche, direkte und geheime Wahlrecht gab, das war der zweite Sozialist. Denn nachdem man die Menge bewaffnet hat, kann man nicht umhin, dafür zu sorgen, daß sie nicht durch Hunger ge¬ fährlich werde. Bei diesen beiden mögen sich die Leute beklagen. denen die wirtschaftliche und politische Befreiung der Arbeiter unbequem ist. Uns aber ist diese Straße gerade recht, wir wollen auf diesem Wege weiter. Der vierte Stand ist nunmehr als politische Macht in die Welt gesetzt. Was einmal lebendig ist, kann man nicht anders wieder wegbringen als durch Mord und Totschlag. Wer möchte es wohl ernstlich unternehmen, den vierten Stand in seiner Kultur um ein Jahrhundert wieder zurückzubringen? Mag sein, daß das deutsche Volk, als es am frühesten unter den großen Völkern der euro¬ päischen Kultur jenes höchst freisinnige Wahlrecht erhielt, etwas zu früh mündig gesprochen ist. Aber seit Jahrhunderten schon war es für die Demo¬ kratie vorbereitet worden. Nun kann es bloß noch regiert werden mit einer Politik, die bei allem auch das Wohlbefinden des vierten Standes berück¬ sichtigt. Wer aber die Troika hat leiten können, der wird auch noch vier¬ spännig sahren lernen. Es gilt über dem unvermeidlichen Ausschuß, dem Pöbel, den die europäischen Kulturvölker wohl nie ganz los werden können, einen Arbeiterstand zu schaffen, der in einiger Sicherheit und Behaglichkeit nicht bloß von der Hand in den Mund lebt. Mit ein bischen Besitz und ein bischen Behagen stellen sich auch die weitern Tugenden der Kleinbürgerlichkeit ein: der kleine Hochmut des Besitzes, die friedfertige Bequemlichkeit, das Mi߬ behagen an der brodlosen Kunst der Politik. Gerade ein solcher vierter Stand bildet den eigentlichen Reichtum einer Nation, nicht die papiernen Kapitalien, und erst mit solchen Leuten können

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/16
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/16>, abgerufen am 21.05.2024.