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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Die Geldsammlungen für den Hamburger Aufstand

Verwaltung, im Heere das nicht begreifen wollen, dann fort mit ihnen, so
bald wie möglich. Der Schade, den sie anrichten, ist heute unermeßlich. Aber
schon im Entstehen werden heute die sozialen Reformen dadurch verdorben,
daß die Reformer selbst, noch immer auf dem ungesunden Boden der
Manchesterschule fußend, überall dem Eigennutz der Einzelnen den tiefsten
Bückling machen, und in ihren Wirkungen für die soziale Wohlfahrt bleiben
sie machtlos, weil die Pflicht des Einzelnen sie nicht ergänzt, belebt, befruchtet.




Die Geldsammlungen für den Hamburger Aufstand

u welch verhängnisvollen, Recht und Billigkeit auf den Kopf
stellenden Thorheiten sich sonst gewissenhafte, gerecht und wohl¬
wollend denkende deutsche Theoretiker verleiten lassen, zeigt wieder
einmal schlagend der unglückselige Aufruf der Herren Baum¬
garten, v. Egidy, Herkner und Genossen zu Geldsammlungen
für die Streitenden in Hamburg. Mit dem größten Nachdruck ist im Interesse
des wirtschaftlichen Gedeihens, des Fortgangs der sozialen Reformen und ins¬
besondre der befriedigenden Gestaltung der Arbeiterverhältnisse gegen dieses
Vorgehen Verwahrung einzulegen. .

Wir haben bereits darauf hingewiesen, daß für die Berechtigung dieses
Aufstandes bisher auch nicht der Schein eines Beweises beigebracht worden ist,
daß vielmehr die dafür in der Öffentlichkeit vorgegebnen Gründe klar erkennen
lassen, daß die in den Arbeitsverhältnissen des Hamburger Hafens unzweifel¬
haft vorhandnen und schon lange beklagten Mißstände die Arbeiter zu einer
so rücksichtslos schroffen Erklärung des Aufstandes nicht bestimmt Hütten.
Was seitdem in den spaltenlangen täglichen Besprechungen von der sozial¬
demokratischen und national-sozialen Presse darüber gesagt worden ist, hat in
keinem Punkte den Beweis ergänzt, und wenn man vor drei Wochen von der
Wahrscheinlichkeit sprechen konnte, daß der Aufstand an sich, trotz aller Ab¬
leugnung, eine frivole Mache sozialdemokratischer Einflüsse sei, so ist heute
diese Wahrscheinlichkeit zur Gewißheit geworden. Bezeichnenderweise haben die
Urheber des Ausrufs ^ als welche wir keineswegs die Gesamtheit der Unter¬
zeichner anzusehen vermögen -- auch nicht einmal versucht, den Aufstand als
gerechtfertigt zu erweisen. Daß der Aufstand unternommen worden ist, weil
Forderungen der Arbeiter nicht ohne weiteres bewilligt worden waren, und


Die Geldsammlungen für den Hamburger Aufstand

Verwaltung, im Heere das nicht begreifen wollen, dann fort mit ihnen, so
bald wie möglich. Der Schade, den sie anrichten, ist heute unermeßlich. Aber
schon im Entstehen werden heute die sozialen Reformen dadurch verdorben,
daß die Reformer selbst, noch immer auf dem ungesunden Boden der
Manchesterschule fußend, überall dem Eigennutz der Einzelnen den tiefsten
Bückling machen, und in ihren Wirkungen für die soziale Wohlfahrt bleiben
sie machtlos, weil die Pflicht des Einzelnen sie nicht ergänzt, belebt, befruchtet.




Die Geldsammlungen für den Hamburger Aufstand

u welch verhängnisvollen, Recht und Billigkeit auf den Kopf
stellenden Thorheiten sich sonst gewissenhafte, gerecht und wohl¬
wollend denkende deutsche Theoretiker verleiten lassen, zeigt wieder
einmal schlagend der unglückselige Aufruf der Herren Baum¬
garten, v. Egidy, Herkner und Genossen zu Geldsammlungen
für die Streitenden in Hamburg. Mit dem größten Nachdruck ist im Interesse
des wirtschaftlichen Gedeihens, des Fortgangs der sozialen Reformen und ins¬
besondre der befriedigenden Gestaltung der Arbeiterverhältnisse gegen dieses
Vorgehen Verwahrung einzulegen. .

Wir haben bereits darauf hingewiesen, daß für die Berechtigung dieses
Aufstandes bisher auch nicht der Schein eines Beweises beigebracht worden ist,
daß vielmehr die dafür in der Öffentlichkeit vorgegebnen Gründe klar erkennen
lassen, daß die in den Arbeitsverhältnissen des Hamburger Hafens unzweifel¬
haft vorhandnen und schon lange beklagten Mißstände die Arbeiter zu einer
so rücksichtslos schroffen Erklärung des Aufstandes nicht bestimmt Hütten.
Was seitdem in den spaltenlangen täglichen Besprechungen von der sozial¬
demokratischen und national-sozialen Presse darüber gesagt worden ist, hat in
keinem Punkte den Beweis ergänzt, und wenn man vor drei Wochen von der
Wahrscheinlichkeit sprechen konnte, daß der Aufstand an sich, trotz aller Ab¬
leugnung, eine frivole Mache sozialdemokratischer Einflüsse sei, so ist heute
diese Wahrscheinlichkeit zur Gewißheit geworden. Bezeichnenderweise haben die
Urheber des Ausrufs ^ als welche wir keineswegs die Gesamtheit der Unter¬
zeichner anzusehen vermögen — auch nicht einmal versucht, den Aufstand als
gerechtfertigt zu erweisen. Daß der Aufstand unternommen worden ist, weil
Forderungen der Arbeiter nicht ohne weiteres bewilligt worden waren, und


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[0199] Die Geldsammlungen für den Hamburger Aufstand Verwaltung, im Heere das nicht begreifen wollen, dann fort mit ihnen, so bald wie möglich. Der Schade, den sie anrichten, ist heute unermeßlich. Aber schon im Entstehen werden heute die sozialen Reformen dadurch verdorben, daß die Reformer selbst, noch immer auf dem ungesunden Boden der Manchesterschule fußend, überall dem Eigennutz der Einzelnen den tiefsten Bückling machen, und in ihren Wirkungen für die soziale Wohlfahrt bleiben sie machtlos, weil die Pflicht des Einzelnen sie nicht ergänzt, belebt, befruchtet. Die Geldsammlungen für den Hamburger Aufstand u welch verhängnisvollen, Recht und Billigkeit auf den Kopf stellenden Thorheiten sich sonst gewissenhafte, gerecht und wohl¬ wollend denkende deutsche Theoretiker verleiten lassen, zeigt wieder einmal schlagend der unglückselige Aufruf der Herren Baum¬ garten, v. Egidy, Herkner und Genossen zu Geldsammlungen für die Streitenden in Hamburg. Mit dem größten Nachdruck ist im Interesse des wirtschaftlichen Gedeihens, des Fortgangs der sozialen Reformen und ins¬ besondre der befriedigenden Gestaltung der Arbeiterverhältnisse gegen dieses Vorgehen Verwahrung einzulegen. . Wir haben bereits darauf hingewiesen, daß für die Berechtigung dieses Aufstandes bisher auch nicht der Schein eines Beweises beigebracht worden ist, daß vielmehr die dafür in der Öffentlichkeit vorgegebnen Gründe klar erkennen lassen, daß die in den Arbeitsverhältnissen des Hamburger Hafens unzweifel¬ haft vorhandnen und schon lange beklagten Mißstände die Arbeiter zu einer so rücksichtslos schroffen Erklärung des Aufstandes nicht bestimmt Hütten. Was seitdem in den spaltenlangen täglichen Besprechungen von der sozial¬ demokratischen und national-sozialen Presse darüber gesagt worden ist, hat in keinem Punkte den Beweis ergänzt, und wenn man vor drei Wochen von der Wahrscheinlichkeit sprechen konnte, daß der Aufstand an sich, trotz aller Ab¬ leugnung, eine frivole Mache sozialdemokratischer Einflüsse sei, so ist heute diese Wahrscheinlichkeit zur Gewißheit geworden. Bezeichnenderweise haben die Urheber des Ausrufs ^ als welche wir keineswegs die Gesamtheit der Unter¬ zeichner anzusehen vermögen — auch nicht einmal versucht, den Aufstand als gerechtfertigt zu erweisen. Daß der Aufstand unternommen worden ist, weil Forderungen der Arbeiter nicht ohne weiteres bewilligt worden waren, und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/199>, abgerufen am 01.05.2024.