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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Die Abschaffung des Adels

uf den, letzten Kongreß derjenigen christlich-sozialen Partei, die sich
much mehrfacher Umlaufe nun "national-sozial" nennt, ist, wie die
Provinzialblätter meldeten, von den beiden Sangerhänser Delegirten,
einem Pastor und einem Schneider, der wirtlich schneidige Antrag
eingebracht worden: Der Kongreß wolle beschließen usw.: "Wir er¬
streben Aufhebung des erblichen Adelstitels." Diese Nachricht, die
sozialistisch wenig oder gar nicht geschulte Philister für einen schlechten Scherz
hielten, ist wohl verbürgt und auch von den betreffenden Vätern des Antrags nicht
"dementirt" worden.

Welches Schicksal der epochemachende Antrag auf dem Kongreß gehabt hat,
darüber verlautet noch nichts sicheres. Vielleicht haben die hnndertsechzig national¬
sozialen Männer, die dort ehrlich bemüht Ware", den arbeitenden Klassen aufzu¬
helfen, sich während der wenigen Tage ihres Debattirens von dem freudigen Staunen
über die Kühnheit eines Antrags von so gewaltiger Tragweite nicht ganz erholen
können. Wie beschämt müssen dagegen nnn die Führer der wirklichen Sozialen auf
der internationalen Seite nach dieser wahrhaft volksbeglückenden Geistesthat der
Antragsteller des Erfurter Kongresses dastehen! Haben es doch die Herren Bebel,
Liebknecht und Singer bisher noch nicht einmal durchsehen können, den erblichen
Adelstitel, diese das Volkswohl so arg beeinträchtigende Präposition von, in ihrer
eignen Partei abzuschaffen!

Was an der Wende des vorigen Jahrhunderts mit dem gesamten Geisteskapital
der vereinigten Jakobiner und Girondisten zu bestreiten nicht möglich war, hier
wards, wenn auch vorläufig noch nicht Gesetz, so doch Ereignis. Die Tragweite
der Bill läßt sich zur Zeit nnr annähernd übersehen aus dem Eindruck, den sie
auf die verschiednen Adelskreise gemacht hat. Es sind uns darüber im Laufe der
letzten Wochen folgende zuverlässige Mitteilungen zugegangen.

Der geheime Kanzleirat a. D von Schulze in Tirschtiegel soll ans die erste
Kunde von' dem Ereignis anfangs starr vor Schrecken gewesen sein, von Schutze,
fasse dich! rief ihm die zum Tode erschrockne Gattin zu, als sie ihren Gemahl
Plötzlich erbleichen und steif, aber mit adlichen Anstnnde, in den verstellbaren Sorgeu-
stuhl zurücksinken sah. Der pensionirte Rentamtssekretär und Polizeianwalt n. D.
von Müller in Ratibor, Ritter des Roten Adlerordens mit der Zahl 50, erhielt
die telegraphische Hiobspost von seiner Schwester, dem adligen Stiftsfräulein
Aurelie vou Müller, gerade in dem Augenblick, als er bei seinem allabendlichen
"Schafskopf" sitzend einen von Farben wohl unterstützten Alten nebst Spadille in
der Hand hatte und die Partie ohne den ^icio sicher zu gewinnen hoffen durfte:
er wurde erbarmungslos Schneider. Der Rittergntsinspektvr vou Qnatschke in
Stallupönen erfuhr die Sache ebenfalls um Stammtisch, trank infolge dessen vier




Die Abschaffung des Adels

uf den, letzten Kongreß derjenigen christlich-sozialen Partei, die sich
much mehrfacher Umlaufe nun „national-sozial" nennt, ist, wie die
Provinzialblätter meldeten, von den beiden Sangerhänser Delegirten,
einem Pastor und einem Schneider, der wirtlich schneidige Antrag
eingebracht worden: Der Kongreß wolle beschließen usw.: „Wir er¬
streben Aufhebung des erblichen Adelstitels." Diese Nachricht, die
sozialistisch wenig oder gar nicht geschulte Philister für einen schlechten Scherz
hielten, ist wohl verbürgt und auch von den betreffenden Vätern des Antrags nicht
„dementirt" worden.

Welches Schicksal der epochemachende Antrag auf dem Kongreß gehabt hat,
darüber verlautet noch nichts sicheres. Vielleicht haben die hnndertsechzig national¬
sozialen Männer, die dort ehrlich bemüht Ware», den arbeitenden Klassen aufzu¬
helfen, sich während der wenigen Tage ihres Debattirens von dem freudigen Staunen
über die Kühnheit eines Antrags von so gewaltiger Tragweite nicht ganz erholen
können. Wie beschämt müssen dagegen nnn die Führer der wirklichen Sozialen auf
der internationalen Seite nach dieser wahrhaft volksbeglückenden Geistesthat der
Antragsteller des Erfurter Kongresses dastehen! Haben es doch die Herren Bebel,
Liebknecht und Singer bisher noch nicht einmal durchsehen können, den erblichen
Adelstitel, diese das Volkswohl so arg beeinträchtigende Präposition von, in ihrer
eignen Partei abzuschaffen!

Was an der Wende des vorigen Jahrhunderts mit dem gesamten Geisteskapital
der vereinigten Jakobiner und Girondisten zu bestreiten nicht möglich war, hier
wards, wenn auch vorläufig noch nicht Gesetz, so doch Ereignis. Die Tragweite
der Bill läßt sich zur Zeit nnr annähernd übersehen aus dem Eindruck, den sie
auf die verschiednen Adelskreise gemacht hat. Es sind uns darüber im Laufe der
letzten Wochen folgende zuverlässige Mitteilungen zugegangen.

Der geheime Kanzleirat a. D von Schulze in Tirschtiegel soll ans die erste
Kunde von' dem Ereignis anfangs starr vor Schrecken gewesen sein, von Schutze,
fasse dich! rief ihm die zum Tode erschrockne Gattin zu, als sie ihren Gemahl
Plötzlich erbleichen und steif, aber mit adlichen Anstnnde, in den verstellbaren Sorgeu-
stuhl zurücksinken sah. Der pensionirte Rentamtssekretär und Polizeianwalt n. D.
von Müller in Ratibor, Ritter des Roten Adlerordens mit der Zahl 50, erhielt
die telegraphische Hiobspost von seiner Schwester, dem adligen Stiftsfräulein
Aurelie vou Müller, gerade in dem Augenblick, als er bei seinem allabendlichen
„Schafskopf" sitzend einen von Farben wohl unterstützten Alten nebst Spadille in
der Hand hatte und die Partie ohne den ^icio sicher zu gewinnen hoffen durfte:
er wurde erbarmungslos Schneider. Der Rittergntsinspektvr vou Qnatschke in
Stallupönen erfuhr die Sache ebenfalls um Stammtisch, trank infolge dessen vier


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[0255] [Abbildung] Die Abschaffung des Adels uf den, letzten Kongreß derjenigen christlich-sozialen Partei, die sich much mehrfacher Umlaufe nun „national-sozial" nennt, ist, wie die Provinzialblätter meldeten, von den beiden Sangerhänser Delegirten, einem Pastor und einem Schneider, der wirtlich schneidige Antrag eingebracht worden: Der Kongreß wolle beschließen usw.: „Wir er¬ streben Aufhebung des erblichen Adelstitels." Diese Nachricht, die sozialistisch wenig oder gar nicht geschulte Philister für einen schlechten Scherz hielten, ist wohl verbürgt und auch von den betreffenden Vätern des Antrags nicht „dementirt" worden. Welches Schicksal der epochemachende Antrag auf dem Kongreß gehabt hat, darüber verlautet noch nichts sicheres. Vielleicht haben die hnndertsechzig national¬ sozialen Männer, die dort ehrlich bemüht Ware», den arbeitenden Klassen aufzu¬ helfen, sich während der wenigen Tage ihres Debattirens von dem freudigen Staunen über die Kühnheit eines Antrags von so gewaltiger Tragweite nicht ganz erholen können. Wie beschämt müssen dagegen nnn die Führer der wirklichen Sozialen auf der internationalen Seite nach dieser wahrhaft volksbeglückenden Geistesthat der Antragsteller des Erfurter Kongresses dastehen! Haben es doch die Herren Bebel, Liebknecht und Singer bisher noch nicht einmal durchsehen können, den erblichen Adelstitel, diese das Volkswohl so arg beeinträchtigende Präposition von, in ihrer eignen Partei abzuschaffen! Was an der Wende des vorigen Jahrhunderts mit dem gesamten Geisteskapital der vereinigten Jakobiner und Girondisten zu bestreiten nicht möglich war, hier wards, wenn auch vorläufig noch nicht Gesetz, so doch Ereignis. Die Tragweite der Bill läßt sich zur Zeit nnr annähernd übersehen aus dem Eindruck, den sie auf die verschiednen Adelskreise gemacht hat. Es sind uns darüber im Laufe der letzten Wochen folgende zuverlässige Mitteilungen zugegangen. Der geheime Kanzleirat a. D von Schulze in Tirschtiegel soll ans die erste Kunde von' dem Ereignis anfangs starr vor Schrecken gewesen sein, von Schutze, fasse dich! rief ihm die zum Tode erschrockne Gattin zu, als sie ihren Gemahl Plötzlich erbleichen und steif, aber mit adlichen Anstnnde, in den verstellbaren Sorgeu- stuhl zurücksinken sah. Der pensionirte Rentamtssekretär und Polizeianwalt n. D. von Müller in Ratibor, Ritter des Roten Adlerordens mit der Zahl 50, erhielt die telegraphische Hiobspost von seiner Schwester, dem adligen Stiftsfräulein Aurelie vou Müller, gerade in dem Augenblick, als er bei seinem allabendlichen „Schafskopf" sitzend einen von Farben wohl unterstützten Alten nebst Spadille in der Hand hatte und die Partie ohne den ^icio sicher zu gewinnen hoffen durfte: er wurde erbarmungslos Schneider. Der Rittergntsinspektvr vou Qnatschke in Stallupönen erfuhr die Sache ebenfalls um Stammtisch, trank infolge dessen vier

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/255>, abgerufen am 01.05.2024.