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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Skizzen aus unserm heutigen Volksleben

Ehre hätte der Akademie anzugehören, so würde ich mich für Zola abgestrampelt
haben, wie der Teufel im Weihwasser, aus Bewunderung für die seltnen
Gaben usw. usw. (folgen einige Trompetenstöße). Ich gestehe indessen, daß ich
Zola sehr selten lese. Ich halte mich in Bezug auf Lektüre an Goethe und
an das Wort: Ernst ist das Leben, heiter ist die Kunst, und finde bei Zola
weder die Heiterkeit, die Goethe fordert, noch den Humor und den Scherz,
den ich noch obendrein haben will. -- Gut gesagt, Karlchen! Das war ein
Klang aus alter Zeit: tamsn usauiz reourrit lasen wir einst im Horaz.




Skizzen aus unserm heutigen Volksleben
V Lr>tZ Anders on
Neue Folge
^. Ein Ehrenhandel

s ist nötig, geborner Pcmnewitzer zu sein und die Geschichte der
Verschwägerungen und Erbschaften der Pcmnewitzer Bürgerfamilien
bis eins die Väter und Großväter zurück zu kennen, um sich unter
den Freundschaften und Feindschaften der Bürger dieses Städtchens
zurechtzufinden. Eins sieht mau aber schon, wem? mau sich auch
nur vorübergehend in unserm Orte aufhält, daß nämlich die Stadt
äußerlich und innerlich in zwei Hälften geteilt ist; die eine heißt merkwürdiger¬
weise die Sonnenseite, die andre die Schattenseite. Die Herren Ortsarchäologen
haben allen Scharfsinn aufgeboten, um diese Erscheinung zu erklären. Sie haben
festgestellt, daß der Ort eigentlich nur aus eiuer einzigen Straße mit ein paar An¬
hängseln besteht, und daß diese Straße vou Osten nach Westen läuft. Sie beiden
vermutet, daß die Ostergasse, die auf der Südseite der Hauptstraße liegt, mit der
altdeutschen Göttin Ostara, der Licht- und Sonnengöttin, in Verbindung stehe
-- vielleicht hat sich dort ein Altar oder Heiligtum dieser Göttin befunden --,
und haben daraus geschlossen, daß die Bezeichnungen: Sonnen- und Schattenseite
bis in das heidnische Altertum zurückgehen und die lichte und dunkle Seite der
Stadt bedeuten müsse. Dem steht uur entgegen, daß sich die Sonnenseite im Schatten
und die Schattenseite im Lichte befindet. Wenn es einem Fremden, der sich erst
Zeh" Jahre in Pannewitz aufhält, gestattet ist, eine Meinung zu haben und eine
Vermutung auszusprechen, so möchte ich darauf hinweisen, daß in den vierziger
Jahren der Wirt des Ratskellers Johann Schattenberg hieß. Der jetzige Wirt ist
übrigens der Schwiegersohn Schattenbergs und heißt Mylius. Gegenüber aber, auf
der Nordseite des Marktes, steht der Gasthof zur Sonne. Da sich nun die Meuscheu
nach den Stätten, wo sie ihr Bier trinken, zu gruppiren pflegen, so ist es nicht


Skizzen aus unserm heutigen Volksleben

Ehre hätte der Akademie anzugehören, so würde ich mich für Zola abgestrampelt
haben, wie der Teufel im Weihwasser, aus Bewunderung für die seltnen
Gaben usw. usw. (folgen einige Trompetenstöße). Ich gestehe indessen, daß ich
Zola sehr selten lese. Ich halte mich in Bezug auf Lektüre an Goethe und
an das Wort: Ernst ist das Leben, heiter ist die Kunst, und finde bei Zola
weder die Heiterkeit, die Goethe fordert, noch den Humor und den Scherz,
den ich noch obendrein haben will. — Gut gesagt, Karlchen! Das war ein
Klang aus alter Zeit: tamsn usauiz reourrit lasen wir einst im Horaz.




Skizzen aus unserm heutigen Volksleben
V Lr>tZ Anders on
Neue Folge
^. Ein Ehrenhandel

s ist nötig, geborner Pcmnewitzer zu sein und die Geschichte der
Verschwägerungen und Erbschaften der Pcmnewitzer Bürgerfamilien
bis eins die Väter und Großväter zurück zu kennen, um sich unter
den Freundschaften und Feindschaften der Bürger dieses Städtchens
zurechtzufinden. Eins sieht mau aber schon, wem? mau sich auch
nur vorübergehend in unserm Orte aufhält, daß nämlich die Stadt
äußerlich und innerlich in zwei Hälften geteilt ist; die eine heißt merkwürdiger¬
weise die Sonnenseite, die andre die Schattenseite. Die Herren Ortsarchäologen
haben allen Scharfsinn aufgeboten, um diese Erscheinung zu erklären. Sie haben
festgestellt, daß der Ort eigentlich nur aus eiuer einzigen Straße mit ein paar An¬
hängseln besteht, und daß diese Straße vou Osten nach Westen läuft. Sie beiden
vermutet, daß die Ostergasse, die auf der Südseite der Hauptstraße liegt, mit der
altdeutschen Göttin Ostara, der Licht- und Sonnengöttin, in Verbindung stehe
— vielleicht hat sich dort ein Altar oder Heiligtum dieser Göttin befunden —,
und haben daraus geschlossen, daß die Bezeichnungen: Sonnen- und Schattenseite
bis in das heidnische Altertum zurückgehen und die lichte und dunkle Seite der
Stadt bedeuten müsse. Dem steht uur entgegen, daß sich die Sonnenseite im Schatten
und die Schattenseite im Lichte befindet. Wenn es einem Fremden, der sich erst
Zeh" Jahre in Pannewitz aufhält, gestattet ist, eine Meinung zu haben und eine
Vermutung auszusprechen, so möchte ich darauf hinweisen, daß in den vierziger
Jahren der Wirt des Ratskellers Johann Schattenberg hieß. Der jetzige Wirt ist
übrigens der Schwiegersohn Schattenbergs und heißt Mylius. Gegenüber aber, auf
der Nordseite des Marktes, steht der Gasthof zur Sonne. Da sich nun die Meuscheu
nach den Stätten, wo sie ihr Bier trinken, zu gruppiren pflegen, so ist es nicht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/311>, abgerufen am 01.05.2024.