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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Zur Kritik des Marxismus

Kräften steht, weil das Wohl und Gedeihen der Nation von dem aller seiner
Angehörigen abhängt. Als Schlußfolgerung aber ergiebt sich, daß sich nach
der Erklärung des Schatzsekretürs die Parteien nun endlich beruhigen, aber
auch die Reichsregierung nach Kräften bei ihrem Bestreben unterstützen sollten,
für den Abschluß neuer Handelsverträge eine brauchbare Grundlage durch
einen verbesserten und den wirtschaftlichen Verhältnissen mehr angepaßten Zoll¬
tarif zu schaffen. Nur in solcher freien Zusammenarbeit aller wirtschaftlichen
Gruppen und aller politischen Parteien, die auch den andern gönnt, was ihnen
frommt, liegt das Heil der Zukunft. Dieses Ziel allen klar vor Augen zu
stellen, war nach unsrer Meinung Zweck und Inhalt der Erklärungen des
Staatssekretärs des Neichsschatzamts.




Zur Kritik des Marxismus
v Lari Ientsch on(Schluß)

as Büchlein von Lorenz ist eine gute Widerlegung des Marxismus
in dem, worin er falsch ist, in seiner Einseitigkeit. Auch die
Hauptbestandteile dieser sozialdemokratischen Dogmatik werden
darin richtig angegeben: sie enthält: "französischen Materialismus,
deutsche Dialektik, englische Wirklichkeit." Das dritte habe ich
unzähligemal hervorgehoben und u. a. vor vier Jahren gesagt, es lasse sich
ganz genau angeben, wie weit Marx Recht habe: er habe Recht für England
bis zum Jahre 1850. Natürlich hat er dann auch weiter Recht, so oft irgendwo
ähnliche Zustände eintreten. Am Schlüsse behandelt Lorenz die Spaltung der
deutschen Sozialdemokratie in strenge Marxisten und in Praktiker. Er glaubt
nicht, daß der linke Flügel siegen werde, weil es die Massen auf die Dauer
bei einer Partei nicht aushalten könnten, die jede gründliche Besserung der Lage
innerhalb der bestehenden Wirtschaftsordnung verneint und auf den großen
Kladderadatsch vertröstet, der je länger in desto weitere Ferne rückt. Aber
auch die Praktiker, die mit Gewerkvereinen, Agrarreformen und dergleichen eine
Besserung auf dem Boden der bestehenden Ordnung anstreben, hätten wenig
Aussicht, weil ihnen das abgebe, was die Seele einer großen Partei ausmache,
wie geschlossene Weltanschauung; daß die Marxisten eine solche haben und
fanatisch daran glauben, mache bei aller sonstigen Schwäche ihre Stärke aus.


Zur Kritik des Marxismus

Kräften steht, weil das Wohl und Gedeihen der Nation von dem aller seiner
Angehörigen abhängt. Als Schlußfolgerung aber ergiebt sich, daß sich nach
der Erklärung des Schatzsekretürs die Parteien nun endlich beruhigen, aber
auch die Reichsregierung nach Kräften bei ihrem Bestreben unterstützen sollten,
für den Abschluß neuer Handelsverträge eine brauchbare Grundlage durch
einen verbesserten und den wirtschaftlichen Verhältnissen mehr angepaßten Zoll¬
tarif zu schaffen. Nur in solcher freien Zusammenarbeit aller wirtschaftlichen
Gruppen und aller politischen Parteien, die auch den andern gönnt, was ihnen
frommt, liegt das Heil der Zukunft. Dieses Ziel allen klar vor Augen zu
stellen, war nach unsrer Meinung Zweck und Inhalt der Erklärungen des
Staatssekretärs des Neichsschatzamts.




Zur Kritik des Marxismus
v Lari Ientsch on(Schluß)

as Büchlein von Lorenz ist eine gute Widerlegung des Marxismus
in dem, worin er falsch ist, in seiner Einseitigkeit. Auch die
Hauptbestandteile dieser sozialdemokratischen Dogmatik werden
darin richtig angegeben: sie enthält: „französischen Materialismus,
deutsche Dialektik, englische Wirklichkeit." Das dritte habe ich
unzähligemal hervorgehoben und u. a. vor vier Jahren gesagt, es lasse sich
ganz genau angeben, wie weit Marx Recht habe: er habe Recht für England
bis zum Jahre 1850. Natürlich hat er dann auch weiter Recht, so oft irgendwo
ähnliche Zustände eintreten. Am Schlüsse behandelt Lorenz die Spaltung der
deutschen Sozialdemokratie in strenge Marxisten und in Praktiker. Er glaubt
nicht, daß der linke Flügel siegen werde, weil es die Massen auf die Dauer
bei einer Partei nicht aushalten könnten, die jede gründliche Besserung der Lage
innerhalb der bestehenden Wirtschaftsordnung verneint und auf den großen
Kladderadatsch vertröstet, der je länger in desto weitere Ferne rückt. Aber
auch die Praktiker, die mit Gewerkvereinen, Agrarreformen und dergleichen eine
Besserung auf dem Boden der bestehenden Ordnung anstreben, hätten wenig
Aussicht, weil ihnen das abgebe, was die Seele einer großen Partei ausmache,
wie geschlossene Weltanschauung; daß die Marxisten eine solche haben und
fanatisch daran glauben, mache bei aller sonstigen Schwäche ihre Stärke aus.


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[0343] Zur Kritik des Marxismus Kräften steht, weil das Wohl und Gedeihen der Nation von dem aller seiner Angehörigen abhängt. Als Schlußfolgerung aber ergiebt sich, daß sich nach der Erklärung des Schatzsekretürs die Parteien nun endlich beruhigen, aber auch die Reichsregierung nach Kräften bei ihrem Bestreben unterstützen sollten, für den Abschluß neuer Handelsverträge eine brauchbare Grundlage durch einen verbesserten und den wirtschaftlichen Verhältnissen mehr angepaßten Zoll¬ tarif zu schaffen. Nur in solcher freien Zusammenarbeit aller wirtschaftlichen Gruppen und aller politischen Parteien, die auch den andern gönnt, was ihnen frommt, liegt das Heil der Zukunft. Dieses Ziel allen klar vor Augen zu stellen, war nach unsrer Meinung Zweck und Inhalt der Erklärungen des Staatssekretärs des Neichsschatzamts. Zur Kritik des Marxismus v Lari Ientsch on(Schluß) as Büchlein von Lorenz ist eine gute Widerlegung des Marxismus in dem, worin er falsch ist, in seiner Einseitigkeit. Auch die Hauptbestandteile dieser sozialdemokratischen Dogmatik werden darin richtig angegeben: sie enthält: „französischen Materialismus, deutsche Dialektik, englische Wirklichkeit." Das dritte habe ich unzähligemal hervorgehoben und u. a. vor vier Jahren gesagt, es lasse sich ganz genau angeben, wie weit Marx Recht habe: er habe Recht für England bis zum Jahre 1850. Natürlich hat er dann auch weiter Recht, so oft irgendwo ähnliche Zustände eintreten. Am Schlüsse behandelt Lorenz die Spaltung der deutschen Sozialdemokratie in strenge Marxisten und in Praktiker. Er glaubt nicht, daß der linke Flügel siegen werde, weil es die Massen auf die Dauer bei einer Partei nicht aushalten könnten, die jede gründliche Besserung der Lage innerhalb der bestehenden Wirtschaftsordnung verneint und auf den großen Kladderadatsch vertröstet, der je länger in desto weitere Ferne rückt. Aber auch die Praktiker, die mit Gewerkvereinen, Agrarreformen und dergleichen eine Besserung auf dem Boden der bestehenden Ordnung anstreben, hätten wenig Aussicht, weil ihnen das abgebe, was die Seele einer großen Partei ausmache, wie geschlossene Weltanschauung; daß die Marxisten eine solche haben und fanatisch daran glauben, mache bei aller sonstigen Schwäche ihre Stärke aus.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/343>, abgerufen am 01.05.2024.