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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Jenseits der Mainlinie

dem Eigennutz und der Gewohnheit stellt sich unsrer Sache nichts mehr ent¬
gegen, als daß jeder Tag für sie nur neue gestaltlose Anregungen gebiert, und
daß wir nur immer fordern, ohne der Macht auch etwas zu bieten. Das
nimmt Männer, die mit politischen Werten zu rechnen haben, gegen uns ein,
unsre Mitwirkung zum Ordnungsprogramm wird sie günstiger stimmen.




Jenseits der Mainlinie
<Lari Jentsch von(Schluß)

is ich bis hierher geschrieben hatte, fiel mir die vorjährige Ur. 49
des Altkatholischen Volksblatts in die Hand, worin ich folgendes
las. Im Höhgaucr Erzähler hat der Landgcrichtsrat Veck in
Offenburg (ob das der Weckebeck ist, weiß ich nicht) einen Rück¬
blick auf die altkatholische Bewegung Badens veröffentlicht und
darin den Nachweis geführt, daß "der erste Anstoß zu einer altkatholischen
Widerstandsbewegung gegen den zunehmenden Ultramontanismus in Baden
schon 1865 erfolgt sei." Diese Bewegung vor 1870 "war rein politischer
Natur. Die Glaubenssätze der römischen Kirche ließ sie auf sich beruhen; diese
wurden weder angegriffen noch verteidigt. Das einzige, worum es sich dabei
handelte, waren die politischen Machtansprüche des Ultramontanismus; diese
suchte man zu vereiteln und für das staatliche Leben des deutschen Volkes
unwirksam zu machen. sBaden hat seinen Kulturkampf bekanntlich schon vor
1870 gehabt; den Anlaß gaben, wenn ich mich recht erinnere, die Streitig¬
keiten über die Besetzung des erledigten erzbischöflichen Stuhles; es wurde um
dieselben Gegenstünde gestritten wie im spätern preußischen, der eine im größer"
Maßstabe angelegte Kopie davon war.^ Das alles sschreibt der Altkatholische
Bote^ giebt Herr Beck selbst zu und führt es weitläufig aus. Zugleich erblickt
er hierin den großen Vorzug der frühern Bewegung vor der spätern. Denn
was geschah? Nach Beendigung des vatikanischen Konzils wurde die Tendenz
des badischen Altkatholizismus durch den Einfluß Döllingers geändert. An die
Stelle des politischen Altkatholizismus trat ein religiöser, oder wie Herr Beck
es ausdrückt, der Kampf gegen die ultramontanen Forderungen im politischen
Leben wurde zur Unterströmung, dagegen die gegen die römische Verfälschung
des religiösen Glaubens zur Oberströmung, und eben hierin erblickt Herr Beck


Jenseits der Mainlinie

dem Eigennutz und der Gewohnheit stellt sich unsrer Sache nichts mehr ent¬
gegen, als daß jeder Tag für sie nur neue gestaltlose Anregungen gebiert, und
daß wir nur immer fordern, ohne der Macht auch etwas zu bieten. Das
nimmt Männer, die mit politischen Werten zu rechnen haben, gegen uns ein,
unsre Mitwirkung zum Ordnungsprogramm wird sie günstiger stimmen.




Jenseits der Mainlinie
<Lari Jentsch von(Schluß)

is ich bis hierher geschrieben hatte, fiel mir die vorjährige Ur. 49
des Altkatholischen Volksblatts in die Hand, worin ich folgendes
las. Im Höhgaucr Erzähler hat der Landgcrichtsrat Veck in
Offenburg (ob das der Weckebeck ist, weiß ich nicht) einen Rück¬
blick auf die altkatholische Bewegung Badens veröffentlicht und
darin den Nachweis geführt, daß „der erste Anstoß zu einer altkatholischen
Widerstandsbewegung gegen den zunehmenden Ultramontanismus in Baden
schon 1865 erfolgt sei." Diese Bewegung vor 1870 „war rein politischer
Natur. Die Glaubenssätze der römischen Kirche ließ sie auf sich beruhen; diese
wurden weder angegriffen noch verteidigt. Das einzige, worum es sich dabei
handelte, waren die politischen Machtansprüche des Ultramontanismus; diese
suchte man zu vereiteln und für das staatliche Leben des deutschen Volkes
unwirksam zu machen. sBaden hat seinen Kulturkampf bekanntlich schon vor
1870 gehabt; den Anlaß gaben, wenn ich mich recht erinnere, die Streitig¬
keiten über die Besetzung des erledigten erzbischöflichen Stuhles; es wurde um
dieselben Gegenstünde gestritten wie im spätern preußischen, der eine im größer«
Maßstabe angelegte Kopie davon war.^ Das alles sschreibt der Altkatholische
Bote^ giebt Herr Beck selbst zu und führt es weitläufig aus. Zugleich erblickt
er hierin den großen Vorzug der frühern Bewegung vor der spätern. Denn
was geschah? Nach Beendigung des vatikanischen Konzils wurde die Tendenz
des badischen Altkatholizismus durch den Einfluß Döllingers geändert. An die
Stelle des politischen Altkatholizismus trat ein religiöser, oder wie Herr Beck
es ausdrückt, der Kampf gegen die ultramontanen Forderungen im politischen
Leben wurde zur Unterströmung, dagegen die gegen die römische Verfälschung
des religiösen Glaubens zur Oberströmung, und eben hierin erblickt Herr Beck


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[0392] Jenseits der Mainlinie dem Eigennutz und der Gewohnheit stellt sich unsrer Sache nichts mehr ent¬ gegen, als daß jeder Tag für sie nur neue gestaltlose Anregungen gebiert, und daß wir nur immer fordern, ohne der Macht auch etwas zu bieten. Das nimmt Männer, die mit politischen Werten zu rechnen haben, gegen uns ein, unsre Mitwirkung zum Ordnungsprogramm wird sie günstiger stimmen. Jenseits der Mainlinie <Lari Jentsch von(Schluß) is ich bis hierher geschrieben hatte, fiel mir die vorjährige Ur. 49 des Altkatholischen Volksblatts in die Hand, worin ich folgendes las. Im Höhgaucr Erzähler hat der Landgcrichtsrat Veck in Offenburg (ob das der Weckebeck ist, weiß ich nicht) einen Rück¬ blick auf die altkatholische Bewegung Badens veröffentlicht und darin den Nachweis geführt, daß „der erste Anstoß zu einer altkatholischen Widerstandsbewegung gegen den zunehmenden Ultramontanismus in Baden schon 1865 erfolgt sei." Diese Bewegung vor 1870 „war rein politischer Natur. Die Glaubenssätze der römischen Kirche ließ sie auf sich beruhen; diese wurden weder angegriffen noch verteidigt. Das einzige, worum es sich dabei handelte, waren die politischen Machtansprüche des Ultramontanismus; diese suchte man zu vereiteln und für das staatliche Leben des deutschen Volkes unwirksam zu machen. sBaden hat seinen Kulturkampf bekanntlich schon vor 1870 gehabt; den Anlaß gaben, wenn ich mich recht erinnere, die Streitig¬ keiten über die Besetzung des erledigten erzbischöflichen Stuhles; es wurde um dieselben Gegenstünde gestritten wie im spätern preußischen, der eine im größer« Maßstabe angelegte Kopie davon war.^ Das alles sschreibt der Altkatholische Bote^ giebt Herr Beck selbst zu und führt es weitläufig aus. Zugleich erblickt er hierin den großen Vorzug der frühern Bewegung vor der spätern. Denn was geschah? Nach Beendigung des vatikanischen Konzils wurde die Tendenz des badischen Altkatholizismus durch den Einfluß Döllingers geändert. An die Stelle des politischen Altkatholizismus trat ein religiöser, oder wie Herr Beck es ausdrückt, der Kampf gegen die ultramontanen Forderungen im politischen Leben wurde zur Unterströmung, dagegen die gegen die römische Verfälschung des religiösen Glaubens zur Oberströmung, und eben hierin erblickt Herr Beck

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/392>, abgerufen am 01.05.2024.