Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Jenseits der Mainlinie

den Grund für die Thatsache, daß sich der Altkatholizismus nicht in dem
Maße ausbreite" konnte, wie man gehofft hatte." Das läßt der Altkathvlische
Bote nicht gelten, aber meiner Überzeugung nach hat Beck bis zu einem gewissen
Punkte Recht. Ob die badischen Liberalen, die sich später Nativnalliberale
nannten, weiter gekommen sein würden, wenn sie sich auf den politischen Kampf
beschränkt Hütten, kann man nicht wissen; ich glaube, daß es ihnen auch in
diesem Falle nicht gelungen sein würde, weder sich die ganze katholische Kirche
Badens zu unterwerfen noch einen bedeutenden Teil der Bevölkerung von ihr
loszureißen. Aber wenigstens die Heuchelei wäre deu Herren erspart geblieben,
zu der sie sich seit 1870 durch die Teilnahme an der altkatholischen Bewegung*)
genötigt sahen, und die den Mißerfolg unvermeidlich machte. Die Professoren
Döllinger, Huber, Reinkens, Neusch, Weber, Michelis und ihre Freunde waren
aufrichtig überzeugt, daß man in Rom neue Dogmen gemacht habe, sie kämpften
ehrlich für die Aufrechterhaltung des vorvatikanischen Zustandes, und dann,
nachdem sie die Kirchengeschichte mit protestantischen Angen ansehen gelernt
und das Menschliche in der Kirche bis in die Apostelzeit verfolgt hatten, für
die Wiederherstellung eines seit anderthalb tausend Jahren vergangnen Zu¬
standes und waren also vollauf berechtigt, sich Altkatholiken zu nennen. Durch
ihre Schriften und Zeitungsartikel gewannen sie ein Häuflein Anhänger unter
den Gläubigen und Frommen für sich, aber zur Gemeindebildung reichte das
nicht aus. Da gaben sie der Versuchung nach, die ihnen, namentlich in Baden,
dargebotene Hand der liberalen Bürgermeister, Juristen und Professoren an¬
zunehmen, und damit gelang nun freilich eine kleine Kirchengründung, die mir
Persönlich als materielle und geistige Zuflucht sehr willkommen gewesen, den
zweierlei Gründern aber verhängnisvoll geworden ist. Die gläubigen Professoren
gerieten durch die Bundesgenossenschaft mit persönlich zwar durchaus achtungs¬
werten, aber teils religiös indifferenten, teils ausgesprochen ungläubigen
Männern in eine schiefe Lage, und die Lage, in die sich diese achtnngswerten
Männer begaben, war noch mehr als bloß schief. Indem sich Herren, die
seit Jahren nicht mehr in der Kirche gesehen worden waren, eifrig an Gemeinde-
gründuugen beteiligten, die mit der Treue gegen den alten katholischen Glauben
gerechtfertigt wurden, erregten sie selbstverständlich im katholischen Lager all¬
gemeine Heiterkeit, und die katholischen Geistlichen bedurften kaum eines andern
Mittels, sich die Treue ihrer Herden zu sichern, als des Hinweises auf die
Männer, die an die Spitze der neuen Gemeinden traten. Ich bemerke aus¬
drücklich, daß das nicht für München gilt, wo die Leiter der Gemeinde durchweg
religiös gesinnte Männer waren.



") Den Feldzug, den die bübischer Liberalen unter der Anführung der Regierung vor
^?l> gegen den Katholizismus unternoimnen haben, schon als altkatholische Bewegung zu be-
SNchnen, hat keinen Sinn,
Grenzboten I 1897 49
Jenseits der Mainlinie

den Grund für die Thatsache, daß sich der Altkatholizismus nicht in dem
Maße ausbreite» konnte, wie man gehofft hatte." Das läßt der Altkathvlische
Bote nicht gelten, aber meiner Überzeugung nach hat Beck bis zu einem gewissen
Punkte Recht. Ob die badischen Liberalen, die sich später Nativnalliberale
nannten, weiter gekommen sein würden, wenn sie sich auf den politischen Kampf
beschränkt Hütten, kann man nicht wissen; ich glaube, daß es ihnen auch in
diesem Falle nicht gelungen sein würde, weder sich die ganze katholische Kirche
Badens zu unterwerfen noch einen bedeutenden Teil der Bevölkerung von ihr
loszureißen. Aber wenigstens die Heuchelei wäre deu Herren erspart geblieben,
zu der sie sich seit 1870 durch die Teilnahme an der altkatholischen Bewegung*)
genötigt sahen, und die den Mißerfolg unvermeidlich machte. Die Professoren
Döllinger, Huber, Reinkens, Neusch, Weber, Michelis und ihre Freunde waren
aufrichtig überzeugt, daß man in Rom neue Dogmen gemacht habe, sie kämpften
ehrlich für die Aufrechterhaltung des vorvatikanischen Zustandes, und dann,
nachdem sie die Kirchengeschichte mit protestantischen Angen ansehen gelernt
und das Menschliche in der Kirche bis in die Apostelzeit verfolgt hatten, für
die Wiederherstellung eines seit anderthalb tausend Jahren vergangnen Zu¬
standes und waren also vollauf berechtigt, sich Altkatholiken zu nennen. Durch
ihre Schriften und Zeitungsartikel gewannen sie ein Häuflein Anhänger unter
den Gläubigen und Frommen für sich, aber zur Gemeindebildung reichte das
nicht aus. Da gaben sie der Versuchung nach, die ihnen, namentlich in Baden,
dargebotene Hand der liberalen Bürgermeister, Juristen und Professoren an¬
zunehmen, und damit gelang nun freilich eine kleine Kirchengründung, die mir
Persönlich als materielle und geistige Zuflucht sehr willkommen gewesen, den
zweierlei Gründern aber verhängnisvoll geworden ist. Die gläubigen Professoren
gerieten durch die Bundesgenossenschaft mit persönlich zwar durchaus achtungs¬
werten, aber teils religiös indifferenten, teils ausgesprochen ungläubigen
Männern in eine schiefe Lage, und die Lage, in die sich diese achtnngswerten
Männer begaben, war noch mehr als bloß schief. Indem sich Herren, die
seit Jahren nicht mehr in der Kirche gesehen worden waren, eifrig an Gemeinde-
gründuugen beteiligten, die mit der Treue gegen den alten katholischen Glauben
gerechtfertigt wurden, erregten sie selbstverständlich im katholischen Lager all¬
gemeine Heiterkeit, und die katholischen Geistlichen bedurften kaum eines andern
Mittels, sich die Treue ihrer Herden zu sichern, als des Hinweises auf die
Männer, die an die Spitze der neuen Gemeinden traten. Ich bemerke aus¬
drücklich, daß das nicht für München gilt, wo die Leiter der Gemeinde durchweg
religiös gesinnte Männer waren.



") Den Feldzug, den die bübischer Liberalen unter der Anführung der Regierung vor
^?l> gegen den Katholizismus unternoimnen haben, schon als altkatholische Bewegung zu be-
SNchnen, hat keinen Sinn,
Grenzboten I 1897 49
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0393" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/224639"/>
          <fw type="header" place="top"> Jenseits der Mainlinie</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1168" prev="#ID_1167"> den Grund für die Thatsache, daß sich der Altkatholizismus nicht in dem<lb/>
Maße ausbreite» konnte, wie man gehofft hatte." Das läßt der Altkathvlische<lb/>
Bote nicht gelten, aber meiner Überzeugung nach hat Beck bis zu einem gewissen<lb/>
Punkte Recht. Ob die badischen Liberalen, die sich später Nativnalliberale<lb/>
nannten, weiter gekommen sein würden, wenn sie sich auf den politischen Kampf<lb/>
beschränkt Hütten, kann man nicht wissen; ich glaube, daß es ihnen auch in<lb/>
diesem Falle nicht gelungen sein würde, weder sich die ganze katholische Kirche<lb/>
Badens zu unterwerfen noch einen bedeutenden Teil der Bevölkerung von ihr<lb/>
loszureißen. Aber wenigstens die Heuchelei wäre deu Herren erspart geblieben,<lb/>
zu der sie sich seit 1870 durch die Teilnahme an der altkatholischen Bewegung*)<lb/>
genötigt sahen, und die den Mißerfolg unvermeidlich machte. Die Professoren<lb/>
Döllinger, Huber, Reinkens, Neusch, Weber, Michelis und ihre Freunde waren<lb/>
aufrichtig überzeugt, daß man in Rom neue Dogmen gemacht habe, sie kämpften<lb/>
ehrlich für die Aufrechterhaltung des vorvatikanischen Zustandes, und dann,<lb/>
nachdem sie die Kirchengeschichte mit protestantischen Angen ansehen gelernt<lb/>
und das Menschliche in der Kirche bis in die Apostelzeit verfolgt hatten, für<lb/>
die Wiederherstellung eines seit anderthalb tausend Jahren vergangnen Zu¬<lb/>
standes und waren also vollauf berechtigt, sich Altkatholiken zu nennen. Durch<lb/>
ihre Schriften und Zeitungsartikel gewannen sie ein Häuflein Anhänger unter<lb/>
den Gläubigen und Frommen für sich, aber zur Gemeindebildung reichte das<lb/>
nicht aus. Da gaben sie der Versuchung nach, die ihnen, namentlich in Baden,<lb/>
dargebotene Hand der liberalen Bürgermeister, Juristen und Professoren an¬<lb/>
zunehmen, und damit gelang nun freilich eine kleine Kirchengründung, die mir<lb/>
Persönlich als materielle und geistige Zuflucht sehr willkommen gewesen, den<lb/>
zweierlei Gründern aber verhängnisvoll geworden ist. Die gläubigen Professoren<lb/>
gerieten durch die Bundesgenossenschaft mit persönlich zwar durchaus achtungs¬<lb/>
werten, aber teils religiös indifferenten, teils ausgesprochen ungläubigen<lb/>
Männern in eine schiefe Lage, und die Lage, in die sich diese achtnngswerten<lb/>
Männer begaben, war noch mehr als bloß schief. Indem sich Herren, die<lb/>
seit Jahren nicht mehr in der Kirche gesehen worden waren, eifrig an Gemeinde-<lb/>
gründuugen beteiligten, die mit der Treue gegen den alten katholischen Glauben<lb/>
gerechtfertigt wurden, erregten sie selbstverständlich im katholischen Lager all¬<lb/>
gemeine Heiterkeit, und die katholischen Geistlichen bedurften kaum eines andern<lb/>
Mittels, sich die Treue ihrer Herden zu sichern, als des Hinweises auf die<lb/>
Männer, die an die Spitze der neuen Gemeinden traten. Ich bemerke aus¬<lb/>
drücklich, daß das nicht für München gilt, wo die Leiter der Gemeinde durchweg<lb/>
religiös gesinnte Männer waren.</p><lb/>
          <note xml:id="FID_28" place="foot"> ") Den Feldzug, den die bübischer Liberalen unter der Anführung der Regierung vor<lb/>
^?l&gt; gegen den Katholizismus unternoimnen haben, schon als altkatholische Bewegung zu be-<lb/>
SNchnen, hat keinen Sinn,</note><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten I 1897 49</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0393] Jenseits der Mainlinie den Grund für die Thatsache, daß sich der Altkatholizismus nicht in dem Maße ausbreite» konnte, wie man gehofft hatte." Das läßt der Altkathvlische Bote nicht gelten, aber meiner Überzeugung nach hat Beck bis zu einem gewissen Punkte Recht. Ob die badischen Liberalen, die sich später Nativnalliberale nannten, weiter gekommen sein würden, wenn sie sich auf den politischen Kampf beschränkt Hütten, kann man nicht wissen; ich glaube, daß es ihnen auch in diesem Falle nicht gelungen sein würde, weder sich die ganze katholische Kirche Badens zu unterwerfen noch einen bedeutenden Teil der Bevölkerung von ihr loszureißen. Aber wenigstens die Heuchelei wäre deu Herren erspart geblieben, zu der sie sich seit 1870 durch die Teilnahme an der altkatholischen Bewegung*) genötigt sahen, und die den Mißerfolg unvermeidlich machte. Die Professoren Döllinger, Huber, Reinkens, Neusch, Weber, Michelis und ihre Freunde waren aufrichtig überzeugt, daß man in Rom neue Dogmen gemacht habe, sie kämpften ehrlich für die Aufrechterhaltung des vorvatikanischen Zustandes, und dann, nachdem sie die Kirchengeschichte mit protestantischen Angen ansehen gelernt und das Menschliche in der Kirche bis in die Apostelzeit verfolgt hatten, für die Wiederherstellung eines seit anderthalb tausend Jahren vergangnen Zu¬ standes und waren also vollauf berechtigt, sich Altkatholiken zu nennen. Durch ihre Schriften und Zeitungsartikel gewannen sie ein Häuflein Anhänger unter den Gläubigen und Frommen für sich, aber zur Gemeindebildung reichte das nicht aus. Da gaben sie der Versuchung nach, die ihnen, namentlich in Baden, dargebotene Hand der liberalen Bürgermeister, Juristen und Professoren an¬ zunehmen, und damit gelang nun freilich eine kleine Kirchengründung, die mir Persönlich als materielle und geistige Zuflucht sehr willkommen gewesen, den zweierlei Gründern aber verhängnisvoll geworden ist. Die gläubigen Professoren gerieten durch die Bundesgenossenschaft mit persönlich zwar durchaus achtungs¬ werten, aber teils religiös indifferenten, teils ausgesprochen ungläubigen Männern in eine schiefe Lage, und die Lage, in die sich diese achtnngswerten Männer begaben, war noch mehr als bloß schief. Indem sich Herren, die seit Jahren nicht mehr in der Kirche gesehen worden waren, eifrig an Gemeinde- gründuugen beteiligten, die mit der Treue gegen den alten katholischen Glauben gerechtfertigt wurden, erregten sie selbstverständlich im katholischen Lager all¬ gemeine Heiterkeit, und die katholischen Geistlichen bedurften kaum eines andern Mittels, sich die Treue ihrer Herden zu sichern, als des Hinweises auf die Männer, die an die Spitze der neuen Gemeinden traten. Ich bemerke aus¬ drücklich, daß das nicht für München gilt, wo die Leiter der Gemeinde durchweg religiös gesinnte Männer waren. ") Den Feldzug, den die bübischer Liberalen unter der Anführung der Regierung vor ^?l> gegen den Katholizismus unternoimnen haben, schon als altkatholische Bewegung zu be- SNchnen, hat keinen Sinn, Grenzboten I 1897 49

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/393
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/393>, abgerufen am 22.05.2024.