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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Hartwigs Höllenfahrt), der doch sonst schreiben kaun, analhsireu wollten. Also
wozu das?

Aber noch eins. Was mögen sich wohl die Franzosen nach unsrer
angeblich vornehmsten Zeitschrift von unsrer "Litteratur" für eine Vor¬
stellung machen? Und mit welcher Überlegenheit werden sie an ihre R."z?v.s
as" "Zsux monäss und an ihre (^Wsttö ach bsaux arw denken, wenn sie sich
um dieser unbeholfnen deutschen Nachäfferei genugsam erlustigt haben? Sie
haben freilich Grund dazu, wenn sie sehen, wie man mit den Abfällen ihres
Witzes Kultus treibt.




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Europa hat Ruh.

Um Neujahr herum war der Politische Froschlaich unsers
Vaterlands ein wenig in Aufregung geraten; außer den Hamburger Enthüllungen
waren noch ein Paar andre Steine hineingefallen, wie der Prozeß Tausch nud der
Hamburger Aufstand. Aber jetzt hat sich alles wieder beruhigt, und die verschiednen
Gruppen singen ihr altes Lied in alter Ruhe und Gemütlichkeit ganz piano weiter.
Die Agrarier schreien nicht mehr, sondern singen bloß noch, um so melodischer, da
ihnen die Regierung das von der erfindungsreichen Chemie bereitete Dimethhl-
mnidoazobenzolpflaster auf den wunden Mund legt, die Sozialdemokraten verlangen,
bloß zum Zeitvertreib, den Achtstundentag, wie das Kind den Mond verlangt, wo¬
rüber sich die Welt so wenig aufregt, wie über ihre unvermeidlichen Nörgeleien
an der Militärverwaltung und am Militärstrafprozeß, und die Nationalliberalcn,
die einigen Grund zur Verstimmung haben, sind viel zu gebildete Leute, als daß
sie ihre Beschwerden mit einer das Schlnmmerkvnzert störenden Energie laut werden
ließen. Nur im Herrenhnnse, wo nicht einmal der Gedanke an Widerspenstigkeit
gegen die Regierung aufkommen kann, haben sich bei der Berntnng des preußischen
Schulgesetzes die Oberbürgermeister, die ja wohl dieser Partei angehören, etwas
lebhaftere Klagen über die Bedrückung der großen Städte zu Gunsten der Guts¬
besitzer erlaubt. Dagegen nahmen es ihre Parteigenossen am 23. Febrnnr im Ab-
geordnetenhause stillschweigend hin, daß der Graf Kanitz den Dortmund-Emskanal,
wie sich ein Zentrumsabgeordneter ausdrückte, in den Dreck werfen wollte (Dreck
in den Kanal zu werfen, würde leichter gehn), und dabei zur Aufmunterung et¬
waiger Streikgelüste bemerkte: "Wenn es irgend einer Industrie heute gut geht,
so ist es die Kohlenindustrie, derentwegen der .Kanal gebant worden ist." Auch
durch den sozialistischen Antrag Ploetz, die Kosten der Alters- und Invalidenver¬
sicherung durch Steuern aufzubringen und die Leute, die gar keine Arbeiter haben,
nach ihrem Einkommen dazu heranzuziehen, regt die sonst in Sachen des Sozia-
lismus so empfindlichen Herren nicht auf, ebensowenig der noch offenkundiger sozia¬
listische Antrag des Zentrnlverbands deutscher Kaufleute, die großkapitalistischen
Detailgeschäfte mit einer progressiven Betriebsteuer zu belasten, die bis zu hundert¬
tausend Mark steigen soll; man nimmt dergleichen Anträge Wohl nicht ernst. So


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Hartwigs Höllenfahrt), der doch sonst schreiben kaun, analhsireu wollten. Also
wozu das?

Aber noch eins. Was mögen sich wohl die Franzosen nach unsrer
angeblich vornehmsten Zeitschrift von unsrer „Litteratur" für eine Vor¬
stellung machen? Und mit welcher Überlegenheit werden sie an ihre R.«z?v.s
as« «Zsux monäss und an ihre (^Wsttö ach bsaux arw denken, wenn sie sich
um dieser unbeholfnen deutschen Nachäfferei genugsam erlustigt haben? Sie
haben freilich Grund dazu, wenn sie sehen, wie man mit den Abfällen ihres
Witzes Kultus treibt.




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Europa hat Ruh.

Um Neujahr herum war der Politische Froschlaich unsers
Vaterlands ein wenig in Aufregung geraten; außer den Hamburger Enthüllungen
waren noch ein Paar andre Steine hineingefallen, wie der Prozeß Tausch nud der
Hamburger Aufstand. Aber jetzt hat sich alles wieder beruhigt, und die verschiednen
Gruppen singen ihr altes Lied in alter Ruhe und Gemütlichkeit ganz piano weiter.
Die Agrarier schreien nicht mehr, sondern singen bloß noch, um so melodischer, da
ihnen die Regierung das von der erfindungsreichen Chemie bereitete Dimethhl-
mnidoazobenzolpflaster auf den wunden Mund legt, die Sozialdemokraten verlangen,
bloß zum Zeitvertreib, den Achtstundentag, wie das Kind den Mond verlangt, wo¬
rüber sich die Welt so wenig aufregt, wie über ihre unvermeidlichen Nörgeleien
an der Militärverwaltung und am Militärstrafprozeß, und die Nationalliberalcn,
die einigen Grund zur Verstimmung haben, sind viel zu gebildete Leute, als daß
sie ihre Beschwerden mit einer das Schlnmmerkvnzert störenden Energie laut werden
ließen. Nur im Herrenhnnse, wo nicht einmal der Gedanke an Widerspenstigkeit
gegen die Regierung aufkommen kann, haben sich bei der Berntnng des preußischen
Schulgesetzes die Oberbürgermeister, die ja wohl dieser Partei angehören, etwas
lebhaftere Klagen über die Bedrückung der großen Städte zu Gunsten der Guts¬
besitzer erlaubt. Dagegen nahmen es ihre Parteigenossen am 23. Febrnnr im Ab-
geordnetenhause stillschweigend hin, daß der Graf Kanitz den Dortmund-Emskanal,
wie sich ein Zentrumsabgeordneter ausdrückte, in den Dreck werfen wollte (Dreck
in den Kanal zu werfen, würde leichter gehn), und dabei zur Aufmunterung et¬
waiger Streikgelüste bemerkte: „Wenn es irgend einer Industrie heute gut geht,
so ist es die Kohlenindustrie, derentwegen der .Kanal gebant worden ist." Auch
durch den sozialistischen Antrag Ploetz, die Kosten der Alters- und Invalidenver¬
sicherung durch Steuern aufzubringen und die Leute, die gar keine Arbeiter haben,
nach ihrem Einkommen dazu heranzuziehen, regt die sonst in Sachen des Sozia-
lismus so empfindlichen Herren nicht auf, ebensowenig der noch offenkundiger sozia¬
listische Antrag des Zentrnlverbands deutscher Kaufleute, die großkapitalistischen
Detailgeschäfte mit einer progressiven Betriebsteuer zu belasten, die bis zu hundert¬
tausend Mark steigen soll; man nimmt dergleichen Anträge Wohl nicht ernst. So


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[0467] Maßgebliches und Unmaßgebliches Hartwigs Höllenfahrt), der doch sonst schreiben kaun, analhsireu wollten. Also wozu das? Aber noch eins. Was mögen sich wohl die Franzosen nach unsrer angeblich vornehmsten Zeitschrift von unsrer „Litteratur" für eine Vor¬ stellung machen? Und mit welcher Überlegenheit werden sie an ihre R.«z?v.s as« «Zsux monäss und an ihre (^Wsttö ach bsaux arw denken, wenn sie sich um dieser unbeholfnen deutschen Nachäfferei genugsam erlustigt haben? Sie haben freilich Grund dazu, wenn sie sehen, wie man mit den Abfällen ihres Witzes Kultus treibt. Maßgebliches und Unmaßgebliches Europa hat Ruh. Um Neujahr herum war der Politische Froschlaich unsers Vaterlands ein wenig in Aufregung geraten; außer den Hamburger Enthüllungen waren noch ein Paar andre Steine hineingefallen, wie der Prozeß Tausch nud der Hamburger Aufstand. Aber jetzt hat sich alles wieder beruhigt, und die verschiednen Gruppen singen ihr altes Lied in alter Ruhe und Gemütlichkeit ganz piano weiter. Die Agrarier schreien nicht mehr, sondern singen bloß noch, um so melodischer, da ihnen die Regierung das von der erfindungsreichen Chemie bereitete Dimethhl- mnidoazobenzolpflaster auf den wunden Mund legt, die Sozialdemokraten verlangen, bloß zum Zeitvertreib, den Achtstundentag, wie das Kind den Mond verlangt, wo¬ rüber sich die Welt so wenig aufregt, wie über ihre unvermeidlichen Nörgeleien an der Militärverwaltung und am Militärstrafprozeß, und die Nationalliberalcn, die einigen Grund zur Verstimmung haben, sind viel zu gebildete Leute, als daß sie ihre Beschwerden mit einer das Schlnmmerkvnzert störenden Energie laut werden ließen. Nur im Herrenhnnse, wo nicht einmal der Gedanke an Widerspenstigkeit gegen die Regierung aufkommen kann, haben sich bei der Berntnng des preußischen Schulgesetzes die Oberbürgermeister, die ja wohl dieser Partei angehören, etwas lebhaftere Klagen über die Bedrückung der großen Städte zu Gunsten der Guts¬ besitzer erlaubt. Dagegen nahmen es ihre Parteigenossen am 23. Febrnnr im Ab- geordnetenhause stillschweigend hin, daß der Graf Kanitz den Dortmund-Emskanal, wie sich ein Zentrumsabgeordneter ausdrückte, in den Dreck werfen wollte (Dreck in den Kanal zu werfen, würde leichter gehn), und dabei zur Aufmunterung et¬ waiger Streikgelüste bemerkte: „Wenn es irgend einer Industrie heute gut geht, so ist es die Kohlenindustrie, derentwegen der .Kanal gebant worden ist." Auch durch den sozialistischen Antrag Ploetz, die Kosten der Alters- und Invalidenver¬ sicherung durch Steuern aufzubringen und die Leute, die gar keine Arbeiter haben, nach ihrem Einkommen dazu heranzuziehen, regt die sonst in Sachen des Sozia- lismus so empfindlichen Herren nicht auf, ebensowenig der noch offenkundiger sozia¬ listische Antrag des Zentrnlverbands deutscher Kaufleute, die großkapitalistischen Detailgeschäfte mit einer progressiven Betriebsteuer zu belasten, die bis zu hundert¬ tausend Mark steigen soll; man nimmt dergleichen Anträge Wohl nicht ernst. So

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/467>, abgerufen am 30.04.2024.