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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Litteratur

Ich muß meinem Gegner leider die traurige Mitteilung machen, daß ich
wieder auf Grund meines Grenzbotenaufsatzes eine ganze Reihe von zustimmenden
Äußerungen erhalten habe, und zwar meistens von Leuten, die ich persönlich gar
nicht kenne, und die trotzdem das Bedürfnis fühlten, mir zu versichern, wie sehr
ich ihnen aus der Seele gesprochen hätte. Es befinden sich darunter Zeichenlehrer
von anerkannten Rufe und mir gänzlich unbekannte Laien, besonders aus Hamburg
und Leipzig, also Leute, die dieser Frage sowohl als Sachkenner wie als Unbe¬
fangne, jedenfalls aber mit eigner persönlicher Anschauung gegenüberstehen. Be¬
sonders interessant war mir die Korrespondenz mit dem Zeichenlehrer Herrn Fritz
Müller in Hamburg, der an einer dortigen Schule eine neue Zeichenmethodc, das
"Stäbchenzeichnen" eingeführt und darüber schon einen Leitfaden ("Das Zeichnen
nach Stäbchen auf der Unterstufe," Hamburg 1895) veröffentlicht hat. Diese neue
Methode beruht auf denselben "schematichen Lebensformen," die ich im Anschluß
an Pestalozzi und Fröbel vorgeschlagen hatte, freilich nicht, wie Flinzer sagt, als
Unterrichtsstoff fiir vier Jahre, sondern mit Blättern zusammen für drei Jahre.
Herr Flinzer freilich wird nicht müde diese Lebensformen in Vortrügen und Auf¬
sätzen als Karrikaturen lächerlich zu macheu, während sie sich in der Praxis überall,
wo sie eingeführt worden sind, in Amerika wie in Deutschland, vorzüglich bewährt
haben.

Herr Flinzer wird noch manche bittre Erfahrung dieser Art machen. Deal
die Tage des kunstgewerblichen, des geometrisch-ornamentalen Zeichenunterrichts siud
gezählt. Solange die Herren Flinzer und Stnhlmann ihren Einfluß geltend machen
können, wird er freilich nicht ganz verschwinden. Aber es wächst ein jüngeres Ge¬
schlecht heran, das ihm bald ein Ende machen wird. Dann wird mich Flinzcrs
Zeichenschule als eine für ihre Zeit immerhin interessante und in gewissen Rich¬
tungen verdienstliche Erscheinung gewürdigt, aber eben nur mit historischem, um
U, Lange uicht zu sagen archäologischen Interesse gewürdigt werden.




Litteratur

Pastor Hammer. Ein Zeitbild von Leopold Guthart. Leipzig, Reinhold Werther, 1896

Die Geschichte eines sozialen Pastors, der auf Betreiben der Junker seines
Amts entsetzt wird, also "ein garstig Lied! Pfui! ein politisch Lied! ein leidig
Lied!" aber eben deswegen als Zeiche" der Zeit einiger Beachtung wert; auch ist
die Erzählung nicht ohne novellistisches Geschick abgefaßt. Dein Verfasser ist jedoch
das Malheur passirt, einen pommerschen Pastor zum Modell erkoren zu haben, der
ein schlimmes Ende genommen hat; wahrscheinlich war das Buch schon fertig, als
die häßliche Geschichte bekannt wurde, die selbstverständlich zu keinen Schlüssen ans
den Charakter sozialer Pastoren im allgemeinen berechtigt.




Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig
Verlag von Fr. Will). Grunow in Leipzig. -- Druck von Carl Marquart in Leipzig
Litteratur

Ich muß meinem Gegner leider die traurige Mitteilung machen, daß ich
wieder auf Grund meines Grenzbotenaufsatzes eine ganze Reihe von zustimmenden
Äußerungen erhalten habe, und zwar meistens von Leuten, die ich persönlich gar
nicht kenne, und die trotzdem das Bedürfnis fühlten, mir zu versichern, wie sehr
ich ihnen aus der Seele gesprochen hätte. Es befinden sich darunter Zeichenlehrer
von anerkannten Rufe und mir gänzlich unbekannte Laien, besonders aus Hamburg
und Leipzig, also Leute, die dieser Frage sowohl als Sachkenner wie als Unbe¬
fangne, jedenfalls aber mit eigner persönlicher Anschauung gegenüberstehen. Be¬
sonders interessant war mir die Korrespondenz mit dem Zeichenlehrer Herrn Fritz
Müller in Hamburg, der an einer dortigen Schule eine neue Zeichenmethodc, das
„Stäbchenzeichnen" eingeführt und darüber schon einen Leitfaden („Das Zeichnen
nach Stäbchen auf der Unterstufe," Hamburg 1895) veröffentlicht hat. Diese neue
Methode beruht auf denselben „schematichen Lebensformen," die ich im Anschluß
an Pestalozzi und Fröbel vorgeschlagen hatte, freilich nicht, wie Flinzer sagt, als
Unterrichtsstoff fiir vier Jahre, sondern mit Blättern zusammen für drei Jahre.
Herr Flinzer freilich wird nicht müde diese Lebensformen in Vortrügen und Auf¬
sätzen als Karrikaturen lächerlich zu macheu, während sie sich in der Praxis überall,
wo sie eingeführt worden sind, in Amerika wie in Deutschland, vorzüglich bewährt
haben.

Herr Flinzer wird noch manche bittre Erfahrung dieser Art machen. Deal
die Tage des kunstgewerblichen, des geometrisch-ornamentalen Zeichenunterrichts siud
gezählt. Solange die Herren Flinzer und Stnhlmann ihren Einfluß geltend machen
können, wird er freilich nicht ganz verschwinden. Aber es wächst ein jüngeres Ge¬
schlecht heran, das ihm bald ein Ende machen wird. Dann wird mich Flinzcrs
Zeichenschule als eine für ihre Zeit immerhin interessante und in gewissen Rich¬
tungen verdienstliche Erscheinung gewürdigt, aber eben nur mit historischem, um
U, Lange uicht zu sagen archäologischen Interesse gewürdigt werden.




Litteratur

Pastor Hammer. Ein Zeitbild von Leopold Guthart. Leipzig, Reinhold Werther, 1896

Die Geschichte eines sozialen Pastors, der auf Betreiben der Junker seines
Amts entsetzt wird, also „ein garstig Lied! Pfui! ein politisch Lied! ein leidig
Lied!" aber eben deswegen als Zeiche» der Zeit einiger Beachtung wert; auch ist
die Erzählung nicht ohne novellistisches Geschick abgefaßt. Dein Verfasser ist jedoch
das Malheur passirt, einen pommerschen Pastor zum Modell erkoren zu haben, der
ein schlimmes Ende genommen hat; wahrscheinlich war das Buch schon fertig, als
die häßliche Geschichte bekannt wurde, die selbstverständlich zu keinen Schlüssen ans
den Charakter sozialer Pastoren im allgemeinen berechtigt.




Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig
Verlag von Fr. Will). Grunow in Leipzig. — Druck von Carl Marquart in Leipzig
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[0472] Litteratur Ich muß meinem Gegner leider die traurige Mitteilung machen, daß ich wieder auf Grund meines Grenzbotenaufsatzes eine ganze Reihe von zustimmenden Äußerungen erhalten habe, und zwar meistens von Leuten, die ich persönlich gar nicht kenne, und die trotzdem das Bedürfnis fühlten, mir zu versichern, wie sehr ich ihnen aus der Seele gesprochen hätte. Es befinden sich darunter Zeichenlehrer von anerkannten Rufe und mir gänzlich unbekannte Laien, besonders aus Hamburg und Leipzig, also Leute, die dieser Frage sowohl als Sachkenner wie als Unbe¬ fangne, jedenfalls aber mit eigner persönlicher Anschauung gegenüberstehen. Be¬ sonders interessant war mir die Korrespondenz mit dem Zeichenlehrer Herrn Fritz Müller in Hamburg, der an einer dortigen Schule eine neue Zeichenmethodc, das „Stäbchenzeichnen" eingeführt und darüber schon einen Leitfaden („Das Zeichnen nach Stäbchen auf der Unterstufe," Hamburg 1895) veröffentlicht hat. Diese neue Methode beruht auf denselben „schematichen Lebensformen," die ich im Anschluß an Pestalozzi und Fröbel vorgeschlagen hatte, freilich nicht, wie Flinzer sagt, als Unterrichtsstoff fiir vier Jahre, sondern mit Blättern zusammen für drei Jahre. Herr Flinzer freilich wird nicht müde diese Lebensformen in Vortrügen und Auf¬ sätzen als Karrikaturen lächerlich zu macheu, während sie sich in der Praxis überall, wo sie eingeführt worden sind, in Amerika wie in Deutschland, vorzüglich bewährt haben. Herr Flinzer wird noch manche bittre Erfahrung dieser Art machen. Deal die Tage des kunstgewerblichen, des geometrisch-ornamentalen Zeichenunterrichts siud gezählt. Solange die Herren Flinzer und Stnhlmann ihren Einfluß geltend machen können, wird er freilich nicht ganz verschwinden. Aber es wächst ein jüngeres Ge¬ schlecht heran, das ihm bald ein Ende machen wird. Dann wird mich Flinzcrs Zeichenschule als eine für ihre Zeit immerhin interessante und in gewissen Rich¬ tungen verdienstliche Erscheinung gewürdigt, aber eben nur mit historischem, um U, Lange uicht zu sagen archäologischen Interesse gewürdigt werden. Litteratur Pastor Hammer. Ein Zeitbild von Leopold Guthart. Leipzig, Reinhold Werther, 1896 Die Geschichte eines sozialen Pastors, der auf Betreiben der Junker seines Amts entsetzt wird, also „ein garstig Lied! Pfui! ein politisch Lied! ein leidig Lied!" aber eben deswegen als Zeiche» der Zeit einiger Beachtung wert; auch ist die Erzählung nicht ohne novellistisches Geschick abgefaßt. Dein Verfasser ist jedoch das Malheur passirt, einen pommerschen Pastor zum Modell erkoren zu haben, der ein schlimmes Ende genommen hat; wahrscheinlich war das Buch schon fertig, als die häßliche Geschichte bekannt wurde, die selbstverständlich zu keinen Schlüssen ans den Charakter sozialer Pastoren im allgemeinen berechtigt. Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig Verlag von Fr. Will). Grunow in Leipzig. — Druck von Carl Marquart in Leipzig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/472>, abgerufen am 30.04.2024.