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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Der Nebenverdienst des höhern Lehrerstandes

em preußischen Abgeordnetenhause ist ein Gesetzentwurf zuge¬
gangen, der eine allgemeine Gehaltsaufbesserung der mittleren
Beamten vorschlügt und unter andern auch die Lehrer an den
höhern Schulen mit einer Zulage^) bedenken möchte. Aber die
frühern, infolge der günstigen Finanzlage hochfliegenden Erwar¬
tungen sind seit dem Erscheinen des Entwurfs bedeutend herabgestimmt, und
mehr und mehr beginnt in den Lehrerkreisen das Gefühl einer gewissen Ent¬
täuschung Platz zu greifen. Denn nicht einmal auf die seit Jahrzehnten immer
wieder verheißene Erfüllung eines Hauptwunsches ist zu rechnen: die Richter
erster Instanz werden auch diesmal wieder in Anfang- und Endgehalt und
der Höhe der Alterszulagen, vor allem aber in der auf sie fallenden Gesamt¬
summe wesentlich besser gestellt werden als die Oberlehrer, die Verheißungen
früherer Minister und Landtage sind also leere Worte geblieben.

Daß das wieder so gekommen ist, ist freilich weniger wunderbar, als es
scheint. Denn ein Umschwung in der Meinung der Welt kann nur allmählich
herbeigeführt werden. Ja es fragt sich sogar, ob es Vonseiten der Ober¬
lehrer klug gehandelt ist, sich immer wieder nur an diesen einen Vergleich
anzuklammern. Lehrer sind keine Richter. Ob freilich die Abweisung jedes
Vergleichs zwischen den "studirten" Ständen damit begründet werden kann,
daß die Verhältnisse eines jeden Standes aus sich heraus beurteilt werden
müssen, ist auch fraglich. Denn dann müßte jeder Stand auch abgesondert
erzogen werden, für sich leben und ohne Wechselbeziehung zu andern gleich¬
artigen Ständen stehn. So ist die Welt doch nicht eingerichtet.

Ich glaube vielmehr, daß man besser thäte, wenn man den Wunsch der
Gymnasiallehrer erweiterte und so faßte, daß ihre Laufbahn etwa dieselben
Aussichten bieten möchte wie alle andern ,,studirten" Berufe, soweit sie zu
einer fest besoldeten Stelle führen; daß also z. B. dieselben Einkommenver¬
hältnisse bei den Geistlichen, den Juristen (nicht bloß bei den Richtern) und



*) Alle Amtsrichter von 3000 bis 6300 Mark und Wohnungsgeld in 24 Jahren, Alle
Oberlehrer 2700 bis 5100 Mark und Wohnungsgeld in ebenfalls 24 Jahren. Dazu für
die Hälfte von ihnen die vielumstrittene sogenannte "Funktionszulage" von 900 Mark.


Der Nebenverdienst des höhern Lehrerstandes

em preußischen Abgeordnetenhause ist ein Gesetzentwurf zuge¬
gangen, der eine allgemeine Gehaltsaufbesserung der mittleren
Beamten vorschlügt und unter andern auch die Lehrer an den
höhern Schulen mit einer Zulage^) bedenken möchte. Aber die
frühern, infolge der günstigen Finanzlage hochfliegenden Erwar¬
tungen sind seit dem Erscheinen des Entwurfs bedeutend herabgestimmt, und
mehr und mehr beginnt in den Lehrerkreisen das Gefühl einer gewissen Ent¬
täuschung Platz zu greifen. Denn nicht einmal auf die seit Jahrzehnten immer
wieder verheißene Erfüllung eines Hauptwunsches ist zu rechnen: die Richter
erster Instanz werden auch diesmal wieder in Anfang- und Endgehalt und
der Höhe der Alterszulagen, vor allem aber in der auf sie fallenden Gesamt¬
summe wesentlich besser gestellt werden als die Oberlehrer, die Verheißungen
früherer Minister und Landtage sind also leere Worte geblieben.

Daß das wieder so gekommen ist, ist freilich weniger wunderbar, als es
scheint. Denn ein Umschwung in der Meinung der Welt kann nur allmählich
herbeigeführt werden. Ja es fragt sich sogar, ob es Vonseiten der Ober¬
lehrer klug gehandelt ist, sich immer wieder nur an diesen einen Vergleich
anzuklammern. Lehrer sind keine Richter. Ob freilich die Abweisung jedes
Vergleichs zwischen den „studirten" Ständen damit begründet werden kann,
daß die Verhältnisse eines jeden Standes aus sich heraus beurteilt werden
müssen, ist auch fraglich. Denn dann müßte jeder Stand auch abgesondert
erzogen werden, für sich leben und ohne Wechselbeziehung zu andern gleich¬
artigen Ständen stehn. So ist die Welt doch nicht eingerichtet.

Ich glaube vielmehr, daß man besser thäte, wenn man den Wunsch der
Gymnasiallehrer erweiterte und so faßte, daß ihre Laufbahn etwa dieselben
Aussichten bieten möchte wie alle andern ,,studirten" Berufe, soweit sie zu
einer fest besoldeten Stelle führen; daß also z. B. dieselben Einkommenver¬
hältnisse bei den Geistlichen, den Juristen (nicht bloß bei den Richtern) und



*) Alle Amtsrichter von 3000 bis 6300 Mark und Wohnungsgeld in 24 Jahren, Alle
Oberlehrer 2700 bis 5100 Mark und Wohnungsgeld in ebenfalls 24 Jahren. Dazu für
die Hälfte von ihnen die vielumstrittene sogenannte „Funktionszulage" von 900 Mark.
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[0486] [Abbildung] Der Nebenverdienst des höhern Lehrerstandes em preußischen Abgeordnetenhause ist ein Gesetzentwurf zuge¬ gangen, der eine allgemeine Gehaltsaufbesserung der mittleren Beamten vorschlügt und unter andern auch die Lehrer an den höhern Schulen mit einer Zulage^) bedenken möchte. Aber die frühern, infolge der günstigen Finanzlage hochfliegenden Erwar¬ tungen sind seit dem Erscheinen des Entwurfs bedeutend herabgestimmt, und mehr und mehr beginnt in den Lehrerkreisen das Gefühl einer gewissen Ent¬ täuschung Platz zu greifen. Denn nicht einmal auf die seit Jahrzehnten immer wieder verheißene Erfüllung eines Hauptwunsches ist zu rechnen: die Richter erster Instanz werden auch diesmal wieder in Anfang- und Endgehalt und der Höhe der Alterszulagen, vor allem aber in der auf sie fallenden Gesamt¬ summe wesentlich besser gestellt werden als die Oberlehrer, die Verheißungen früherer Minister und Landtage sind also leere Worte geblieben. Daß das wieder so gekommen ist, ist freilich weniger wunderbar, als es scheint. Denn ein Umschwung in der Meinung der Welt kann nur allmählich herbeigeführt werden. Ja es fragt sich sogar, ob es Vonseiten der Ober¬ lehrer klug gehandelt ist, sich immer wieder nur an diesen einen Vergleich anzuklammern. Lehrer sind keine Richter. Ob freilich die Abweisung jedes Vergleichs zwischen den „studirten" Ständen damit begründet werden kann, daß die Verhältnisse eines jeden Standes aus sich heraus beurteilt werden müssen, ist auch fraglich. Denn dann müßte jeder Stand auch abgesondert erzogen werden, für sich leben und ohne Wechselbeziehung zu andern gleich¬ artigen Ständen stehn. So ist die Welt doch nicht eingerichtet. Ich glaube vielmehr, daß man besser thäte, wenn man den Wunsch der Gymnasiallehrer erweiterte und so faßte, daß ihre Laufbahn etwa dieselben Aussichten bieten möchte wie alle andern ,,studirten" Berufe, soweit sie zu einer fest besoldeten Stelle führen; daß also z. B. dieselben Einkommenver¬ hältnisse bei den Geistlichen, den Juristen (nicht bloß bei den Richtern) und *) Alle Amtsrichter von 3000 bis 6300 Mark und Wohnungsgeld in 24 Jahren, Alle Oberlehrer 2700 bis 5100 Mark und Wohnungsgeld in ebenfalls 24 Jahren. Dazu für die Hälfte von ihnen die vielumstrittene sogenannte „Funktionszulage" von 900 Mark.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/486>, abgerufen am 01.05.2024.