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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Den" lehnte der Reichstag wirklich die sehr mäßigen Forderungen der Regierung
ab, fände die Regierung nicht den Entschluß, die Frage durchzukämpfen, und
wären das wirklich der Reichstag und die Negierung, die unser Volk verdient,
dann wehe unsrer Zukunft!




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Die österreichischen Wahlen.

Die Neue Freie Presse jammert: Nicht
einmal die wilden Flammen der Sozialdemokratie haben das Eis des Gletschers
politischer Gleichgiltigkeit zu schmelzen vermocht, der das Zentrum der Monarchie
bedeckt! Die Germania jubelt: Ein Bild ist vom Himmel hernieder gefahren und
hat das goldne wie das rote Kalb jwas für Hörner hat doch dieses Kalb schon!>
zermalmt! Uns kaun weder jener Jammer rühren noch dieser Jubel ergreifen --
das ganze Wahlergebnis ist uns gleichgiltig; weist doch ohnehin schon seit einem
Jahre jedermann, wie es im nächsten Abgeordnetenhause aussehen wird. Badeni
wird den Ausgleich, und was er sonst braucht und wünscht, von seinen Polen, von,
den Tschechen, den Christlich-sozialen und den Klerikalen bekommen; ob die Häuflein
der Deutschliberalen und der Deutschnationalen -- base sich beide andre Namen
beigelegt haben, macht sie nicht stärker -- durch gehorsame Beistimmung ein wohl¬
wollendes Kopfnicken oder durch kühne Opposition ein ironisches Lächeln Badenis
zuziehen, ist politisch nicht von Bedeutung, und Pernerstvrffer wird sich ein wenig
schönen können, da er in seinen Reden für Arbeiterschutz und Prestfreiheit und gegen
Korruption vou ein paar Arbeitervertretern abgelöst werden wird.*) Interessanter
als das Ergebnis ist der Verlauf der Wahl. Daß in den drei industriellen Pro¬
vinzen alle feindlichen Parteien gegen die Sozialdemokratie zusammengestanden haben,
ist nichts besondres, sondern eine ganz allgemeine Erscheinung; dagegen haben Gn-
lizien und Wien einen eigentümlichen Charakter gezeigt. In dem rein agrarischen
Galizien befindet sich die ganze Bauernschaft in der Opposition. Wenn wir der
Wiener Arbeiterzeitung glauben dürften, wäre es dort bei der Wahlmäunerwahl
folgendermaßen zugegangen. Je nach den örtlichen Verhältnissen werden entweder
die bäuerlichen Wähler eingesperrt, bis die Herren die Wahlmänner ernannt haben,
oder die Herren sperren sich für das Geschäft ab und lassen die Bauern nicht in
das Wahllokal hinein; fügen sich diese nicht geduldig, so wird von Gendarmen und
Soldaten in sie hinein gestochen, gehauen und geschossen. Zwischen West- und Ost-
galizien besteht der Unterschied, base die Geistlichen dort zur Herrenpartei gehören,
hier, als Nutheuen, zur Bauernpartei; die Propinationsjuden sind in beiden Hälften
des Landes Werkzeuge der Herren. Nach den übrigen Blättern haben die Bauern,
man sieht nicht deutlich aus welchen Gründen und zu welchem Zweck, bei den
Wahlen Unruhen erregt. Für den Zeitchrouisten war die Arbeiterzeitung wertvoller



") Eben lesen mir, daß er in seinem Wahlkreise Wiener-Neustadt durchgefallen ist, also
überhaupt nichts mehr zu sagen hat.
Maßgebliches und Unmaßgebliches

Den» lehnte der Reichstag wirklich die sehr mäßigen Forderungen der Regierung
ab, fände die Regierung nicht den Entschluß, die Frage durchzukämpfen, und
wären das wirklich der Reichstag und die Negierung, die unser Volk verdient,
dann wehe unsrer Zukunft!




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Die österreichischen Wahlen.

Die Neue Freie Presse jammert: Nicht
einmal die wilden Flammen der Sozialdemokratie haben das Eis des Gletschers
politischer Gleichgiltigkeit zu schmelzen vermocht, der das Zentrum der Monarchie
bedeckt! Die Germania jubelt: Ein Bild ist vom Himmel hernieder gefahren und
hat das goldne wie das rote Kalb jwas für Hörner hat doch dieses Kalb schon!>
zermalmt! Uns kaun weder jener Jammer rühren noch dieser Jubel ergreifen —
das ganze Wahlergebnis ist uns gleichgiltig; weist doch ohnehin schon seit einem
Jahre jedermann, wie es im nächsten Abgeordnetenhause aussehen wird. Badeni
wird den Ausgleich, und was er sonst braucht und wünscht, von seinen Polen, von,
den Tschechen, den Christlich-sozialen und den Klerikalen bekommen; ob die Häuflein
der Deutschliberalen und der Deutschnationalen — base sich beide andre Namen
beigelegt haben, macht sie nicht stärker — durch gehorsame Beistimmung ein wohl¬
wollendes Kopfnicken oder durch kühne Opposition ein ironisches Lächeln Badenis
zuziehen, ist politisch nicht von Bedeutung, und Pernerstvrffer wird sich ein wenig
schönen können, da er in seinen Reden für Arbeiterschutz und Prestfreiheit und gegen
Korruption vou ein paar Arbeitervertretern abgelöst werden wird.*) Interessanter
als das Ergebnis ist der Verlauf der Wahl. Daß in den drei industriellen Pro¬
vinzen alle feindlichen Parteien gegen die Sozialdemokratie zusammengestanden haben,
ist nichts besondres, sondern eine ganz allgemeine Erscheinung; dagegen haben Gn-
lizien und Wien einen eigentümlichen Charakter gezeigt. In dem rein agrarischen
Galizien befindet sich die ganze Bauernschaft in der Opposition. Wenn wir der
Wiener Arbeiterzeitung glauben dürften, wäre es dort bei der Wahlmäunerwahl
folgendermaßen zugegangen. Je nach den örtlichen Verhältnissen werden entweder
die bäuerlichen Wähler eingesperrt, bis die Herren die Wahlmänner ernannt haben,
oder die Herren sperren sich für das Geschäft ab und lassen die Bauern nicht in
das Wahllokal hinein; fügen sich diese nicht geduldig, so wird von Gendarmen und
Soldaten in sie hinein gestochen, gehauen und geschossen. Zwischen West- und Ost-
galizien besteht der Unterschied, base die Geistlichen dort zur Herrenpartei gehören,
hier, als Nutheuen, zur Bauernpartei; die Propinationsjuden sind in beiden Hälften
des Landes Werkzeuge der Herren. Nach den übrigen Blättern haben die Bauern,
man sieht nicht deutlich aus welchen Gründen und zu welchem Zweck, bei den
Wahlen Unruhen erregt. Für den Zeitchrouisten war die Arbeiterzeitung wertvoller



") Eben lesen mir, daß er in seinem Wahlkreise Wiener-Neustadt durchgefallen ist, also
überhaupt nichts mehr zu sagen hat.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/554>, abgerufen am 30.04.2024.