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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Griechenland und die Großmächte

bruns eines griechisch-türkischen Krieges verhindern wird? Man kann sich sogar
denken, daß sie in diesem Falle den Griechen gar nicht so unwillkommen wäre,
weil sie doch anch türkische Landungen verhindern würde. Wie lange aber wird
denn die europäische Handelswelt eine solche Sperre ertragen? Wie dem nnn
anch sein mag, die Großmächte haben nur die Wahl, einen nichts weniger als
ehrenvollen Rückzug unter irgend welchem leidlichen Vorwande anzutreten, oder,
lediglich um ihre allerdings muss Spiel gesetzte Autorität einem "machtlosen"
Kleinstaate gegenüber zu behaupte", einen im höchsten Grade gehässigen Zwang
anzuwenden, der sie, man mag sagen, was man will, zu Bundesgenossen der
Türken stempelt, und dessen Erfolg doch höchst unsicher ist. ^on vroclis, mi
nu, sagte der alte schwedische Kanzler Oxenstjerna, der Minister König Gustav
Adolfs, "Min parvA Wpiöntig. rcig'lor inunclus.

Unter allen Umständen wäre es schade um jedes Korn Pulver, das
Deutschland an eine solche Politik noch wendete, und vollends die Knochen
unsrer braven Matrosen sind uns dafür viel zu gut. Wir würden gegen eine
Vernichtung Griechenlands durch die Türken, die militärisch sehr wohl möglich
ist, im Interesse der Menschlichkeit und der Bildung allerdings mit einschreiten
müssen, denn die Akropolis mit ihren Denkmälern ist uns nicht der Gegenstand
etwaiger militärischer Operationen, wie früher den Türken und jetzt wieder
5.'in offiziösen Hamburger Korrespondenten, sondern heiliger Boden; wir hätten
anch gar nichts dagegen einzuwenden, wenn sich Deutschland vorbereitete, auch
an seinem Teile die Erbschaft der doch dem Zerfalle zutreibenden Türkei mit
anzutreten und würden von diesem Gesichtspunkte aus anch das rasche Vor¬
gehen unsrer Diplomatie verstehen können trotz der unbequemen Folgen, die
es augenblicklich für uns hat, weil es in diesem Falle darauf ankommen würde,
von Anfang an zu zeigen, daß uns die Mittelmeerfragen nicht mehr gleichgiltig
sein können, wie vielleicht früher. Aber an der Seite der türkischen Truppen,
der albanesischen Banden und des Gesindels von Baschi Bozuks dürfen unsre
Seeleute uicht stehen, auch nicht dem Scheine nach. Freilich, bei der schimpf¬
lichen Schwäche unsrer Flotte werden wir unter allen Umständen in jenen
Gewässern vorerst eine ziemlich klägliche Rolle spielen, und es wird leider für
den Erfolg ganz gleichgiltig sein, ob die "Angusta" vor dem Pirüus liegt oder
in Wilhelmshaven. Das eine Gute wird hoffentlich die ganze Verwicklung für
uus haben, daß sie dem Reichstage endlich die Angen darüber öffnet, wo wir
stehen. Wir erhitzen uns die Köpfe über Christlich-sozial, National-sozial,
Organisation des Handwerks, Margarine und andre hochwichtige Dinge mehr,
aber die ungeheure Gefahr, in der unsre ganze Zukunft und Weltgeltung
schwebt, wenn wir uns nicht aufraffen und trotz aller Bosheit, Dummheit
und Hculmeierei die Flotte schaffen, die wir brauchen, die sehen wenige.
Darüber unser in der großen Politik immer noch kindlich unreifes Volk auf¬
zuklären, das wäre jetzt die erste und wichtigste Aufgabe der deutscheu Presse.


Grenzboten I 1897 W
Griechenland und die Großmächte

bruns eines griechisch-türkischen Krieges verhindern wird? Man kann sich sogar
denken, daß sie in diesem Falle den Griechen gar nicht so unwillkommen wäre,
weil sie doch anch türkische Landungen verhindern würde. Wie lange aber wird
denn die europäische Handelswelt eine solche Sperre ertragen? Wie dem nnn
anch sein mag, die Großmächte haben nur die Wahl, einen nichts weniger als
ehrenvollen Rückzug unter irgend welchem leidlichen Vorwande anzutreten, oder,
lediglich um ihre allerdings muss Spiel gesetzte Autorität einem „machtlosen"
Kleinstaate gegenüber zu behaupte», einen im höchsten Grade gehässigen Zwang
anzuwenden, der sie, man mag sagen, was man will, zu Bundesgenossen der
Türken stempelt, und dessen Erfolg doch höchst unsicher ist. ^on vroclis, mi
nu, sagte der alte schwedische Kanzler Oxenstjerna, der Minister König Gustav
Adolfs, «Min parvA Wpiöntig. rcig'lor inunclus.

Unter allen Umständen wäre es schade um jedes Korn Pulver, das
Deutschland an eine solche Politik noch wendete, und vollends die Knochen
unsrer braven Matrosen sind uns dafür viel zu gut. Wir würden gegen eine
Vernichtung Griechenlands durch die Türken, die militärisch sehr wohl möglich
ist, im Interesse der Menschlichkeit und der Bildung allerdings mit einschreiten
müssen, denn die Akropolis mit ihren Denkmälern ist uns nicht der Gegenstand
etwaiger militärischer Operationen, wie früher den Türken und jetzt wieder
5.'in offiziösen Hamburger Korrespondenten, sondern heiliger Boden; wir hätten
anch gar nichts dagegen einzuwenden, wenn sich Deutschland vorbereitete, auch
an seinem Teile die Erbschaft der doch dem Zerfalle zutreibenden Türkei mit
anzutreten und würden von diesem Gesichtspunkte aus anch das rasche Vor¬
gehen unsrer Diplomatie verstehen können trotz der unbequemen Folgen, die
es augenblicklich für uns hat, weil es in diesem Falle darauf ankommen würde,
von Anfang an zu zeigen, daß uns die Mittelmeerfragen nicht mehr gleichgiltig
sein können, wie vielleicht früher. Aber an der Seite der türkischen Truppen,
der albanesischen Banden und des Gesindels von Baschi Bozuks dürfen unsre
Seeleute uicht stehen, auch nicht dem Scheine nach. Freilich, bei der schimpf¬
lichen Schwäche unsrer Flotte werden wir unter allen Umständen in jenen
Gewässern vorerst eine ziemlich klägliche Rolle spielen, und es wird leider für
den Erfolg ganz gleichgiltig sein, ob die „Angusta" vor dem Pirüus liegt oder
in Wilhelmshaven. Das eine Gute wird hoffentlich die ganze Verwicklung für
uus haben, daß sie dem Reichstage endlich die Angen darüber öffnet, wo wir
stehen. Wir erhitzen uns die Köpfe über Christlich-sozial, National-sozial,
Organisation des Handwerks, Margarine und andre hochwichtige Dinge mehr,
aber die ungeheure Gefahr, in der unsre ganze Zukunft und Weltgeltung
schwebt, wenn wir uns nicht aufraffen und trotz aller Bosheit, Dummheit
und Hculmeierei die Flotte schaffen, die wir brauchen, die sehen wenige.
Darüber unser in der großen Politik immer noch kindlich unreifes Volk auf¬
zuklären, das wäre jetzt die erste und wichtigste Aufgabe der deutscheu Presse.


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[0553] Griechenland und die Großmächte bruns eines griechisch-türkischen Krieges verhindern wird? Man kann sich sogar denken, daß sie in diesem Falle den Griechen gar nicht so unwillkommen wäre, weil sie doch anch türkische Landungen verhindern würde. Wie lange aber wird denn die europäische Handelswelt eine solche Sperre ertragen? Wie dem nnn anch sein mag, die Großmächte haben nur die Wahl, einen nichts weniger als ehrenvollen Rückzug unter irgend welchem leidlichen Vorwande anzutreten, oder, lediglich um ihre allerdings muss Spiel gesetzte Autorität einem „machtlosen" Kleinstaate gegenüber zu behaupte», einen im höchsten Grade gehässigen Zwang anzuwenden, der sie, man mag sagen, was man will, zu Bundesgenossen der Türken stempelt, und dessen Erfolg doch höchst unsicher ist. ^on vroclis, mi nu, sagte der alte schwedische Kanzler Oxenstjerna, der Minister König Gustav Adolfs, «Min parvA Wpiöntig. rcig'lor inunclus. Unter allen Umständen wäre es schade um jedes Korn Pulver, das Deutschland an eine solche Politik noch wendete, und vollends die Knochen unsrer braven Matrosen sind uns dafür viel zu gut. Wir würden gegen eine Vernichtung Griechenlands durch die Türken, die militärisch sehr wohl möglich ist, im Interesse der Menschlichkeit und der Bildung allerdings mit einschreiten müssen, denn die Akropolis mit ihren Denkmälern ist uns nicht der Gegenstand etwaiger militärischer Operationen, wie früher den Türken und jetzt wieder 5.'in offiziösen Hamburger Korrespondenten, sondern heiliger Boden; wir hätten anch gar nichts dagegen einzuwenden, wenn sich Deutschland vorbereitete, auch an seinem Teile die Erbschaft der doch dem Zerfalle zutreibenden Türkei mit anzutreten und würden von diesem Gesichtspunkte aus anch das rasche Vor¬ gehen unsrer Diplomatie verstehen können trotz der unbequemen Folgen, die es augenblicklich für uns hat, weil es in diesem Falle darauf ankommen würde, von Anfang an zu zeigen, daß uns die Mittelmeerfragen nicht mehr gleichgiltig sein können, wie vielleicht früher. Aber an der Seite der türkischen Truppen, der albanesischen Banden und des Gesindels von Baschi Bozuks dürfen unsre Seeleute uicht stehen, auch nicht dem Scheine nach. Freilich, bei der schimpf¬ lichen Schwäche unsrer Flotte werden wir unter allen Umständen in jenen Gewässern vorerst eine ziemlich klägliche Rolle spielen, und es wird leider für den Erfolg ganz gleichgiltig sein, ob die „Angusta" vor dem Pirüus liegt oder in Wilhelmshaven. Das eine Gute wird hoffentlich die ganze Verwicklung für uus haben, daß sie dem Reichstage endlich die Angen darüber öffnet, wo wir stehen. Wir erhitzen uns die Köpfe über Christlich-sozial, National-sozial, Organisation des Handwerks, Margarine und andre hochwichtige Dinge mehr, aber die ungeheure Gefahr, in der unsre ganze Zukunft und Weltgeltung schwebt, wenn wir uns nicht aufraffen und trotz aller Bosheit, Dummheit und Hculmeierei die Flotte schaffen, die wir brauchen, die sehen wenige. Darüber unser in der großen Politik immer noch kindlich unreifes Volk auf¬ zuklären, das wäre jetzt die erste und wichtigste Aufgabe der deutscheu Presse. Grenzboten I 1897 W

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/553>, abgerufen am 19.05.2024.