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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Skizzen aus unserm heutigen Volksleben
v Fritz Anders on
Neue Folge
5. Was der Herr Aonsistorialrat für Erfahrungen machte

er Herr Konsistorialrat hatte den Nest seines Aktenhcmfens, der zu
erledigen war, mit nach Hause genommen und eben das letzte Stück
des Nestes abgearbeitet. Nun lehnte er sich mit aufseufzender Be¬
friedigung in seinem Stuhle zurück, faltete die Hände über seiner
rundlichen Vorderseite und überdachte das letzte Jahrzehnt seiner
Amtsthätigkeit. Er konnte nicht sagen, daß diese Amtsthätigkeit
durchaus erfreulich gewesen sei. Es hatte doch gnr zu viel totes Schreibwerk ge¬
geben, das thätige Leben, die Gemeinde, der er hätte dienen können, hatte gefehlt.
Aber er konnte sich mit Genugthuung das eine sagen, daß er sich durch die Be¬
schäftigung mit trocknen Formeu sein warmes Herz nicht hatte nehmen lassen.
Wie manche Handreichung hatte er den Amtsbrüdern, besonders denen auf dem
Lande, die gar zu leicht in ihren Anschauungen auf die Stufe des sie umgebenden
Lebens herabgezogen werden, gethan, um sie auf der Höhe ihrer Aufgabe zu er¬
halten! Wie manchen sorgenden oder klagenden Amtsbruder hatte er durch ein
gutes Wort gestärkt und aufgerichtet!

Er hatte es auch eben in diesem letzten Schriftstücke gethan. Er nahm es
nochmals in die Hand und überlas, was er geschrieben hatte. Es war die Ant¬
wort auf eine Eingabe der Ephorie Hagelingen, in der ausgesprochen war, daß die
Schwierigkeiten zwischen Gemeinde nud Pfarramt ihren Grund meist darin heilten,
daß die Pfarrer in ihrem Einkommen von den Gemeinden abhingen. Die Pfarrer
müßten selbständig gestellt werden; sie müßten ihren Gehalt ans einer kirchliche"
Kasse beziehen; besonders nötig sei es, die Zehnten und Naturalabgaben abzulösen,
da diese Art der Einnahme des geistlichen Standes nicht würdig sei. Der Herr
Konsistorialrat hatte dieser Auffassung nicht zustimmen können. Er hatte geglaubt,
daß durch Geben und Nehmen ein segensreiches Band zwischen Geistlichen und
Gemeinde geknüpft werde, das man nnr zum Schaden beider Teile auflösen würde.
Das Pfarramt bietet, so hatte er geschrieben, der Gemeinde das Brot des Lebens,
und es empfängt vou der Gemeinde das Brot des Leibes. Dieser Austausch fördert
auf beiden Seite" das Gefühl der Zusammengehörigkeit und des gegenseitige" Ver¬
trauens. Das, Was das Gemeindeglied darreicht, ist ein Opfer a" heiliger Stätte,
es muß als ein solches angesehen und entgegengenommen werden, nämlich mit
Demut und Dank. Es Würde eine Versündigung an dem frommen Sinne des
Landmanns sein, wenn man seine Garbe verschmähen und das gern gebrachte Opfer




Skizzen aus unserm heutigen Volksleben
v Fritz Anders on
Neue Folge
5. Was der Herr Aonsistorialrat für Erfahrungen machte

er Herr Konsistorialrat hatte den Nest seines Aktenhcmfens, der zu
erledigen war, mit nach Hause genommen und eben das letzte Stück
des Nestes abgearbeitet. Nun lehnte er sich mit aufseufzender Be¬
friedigung in seinem Stuhle zurück, faltete die Hände über seiner
rundlichen Vorderseite und überdachte das letzte Jahrzehnt seiner
Amtsthätigkeit. Er konnte nicht sagen, daß diese Amtsthätigkeit
durchaus erfreulich gewesen sei. Es hatte doch gnr zu viel totes Schreibwerk ge¬
geben, das thätige Leben, die Gemeinde, der er hätte dienen können, hatte gefehlt.
Aber er konnte sich mit Genugthuung das eine sagen, daß er sich durch die Be¬
schäftigung mit trocknen Formeu sein warmes Herz nicht hatte nehmen lassen.
Wie manche Handreichung hatte er den Amtsbrüdern, besonders denen auf dem
Lande, die gar zu leicht in ihren Anschauungen auf die Stufe des sie umgebenden
Lebens herabgezogen werden, gethan, um sie auf der Höhe ihrer Aufgabe zu er¬
halten! Wie manchen sorgenden oder klagenden Amtsbruder hatte er durch ein
gutes Wort gestärkt und aufgerichtet!

Er hatte es auch eben in diesem letzten Schriftstücke gethan. Er nahm es
nochmals in die Hand und überlas, was er geschrieben hatte. Es war die Ant¬
wort auf eine Eingabe der Ephorie Hagelingen, in der ausgesprochen war, daß die
Schwierigkeiten zwischen Gemeinde nud Pfarramt ihren Grund meist darin heilten,
daß die Pfarrer in ihrem Einkommen von den Gemeinden abhingen. Die Pfarrer
müßten selbständig gestellt werden; sie müßten ihren Gehalt ans einer kirchliche»
Kasse beziehen; besonders nötig sei es, die Zehnten und Naturalabgaben abzulösen,
da diese Art der Einnahme des geistlichen Standes nicht würdig sei. Der Herr
Konsistorialrat hatte dieser Auffassung nicht zustimmen können. Er hatte geglaubt,
daß durch Geben und Nehmen ein segensreiches Band zwischen Geistlichen und
Gemeinde geknüpft werde, das man nnr zum Schaden beider Teile auflösen würde.
Das Pfarramt bietet, so hatte er geschrieben, der Gemeinde das Brot des Lebens,
und es empfängt vou der Gemeinde das Brot des Leibes. Dieser Austausch fördert
auf beiden Seite» das Gefühl der Zusammengehörigkeit und des gegenseitige» Ver¬
trauens. Das, Was das Gemeindeglied darreicht, ist ein Opfer a» heiliger Stätte,
es muß als ein solches angesehen und entgegengenommen werden, nämlich mit
Demut und Dank. Es Würde eine Versündigung an dem frommen Sinne des
Landmanns sein, wenn man seine Garbe verschmähen und das gern gebrachte Opfer


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[0599] [Abbildung] Skizzen aus unserm heutigen Volksleben v Fritz Anders on Neue Folge 5. Was der Herr Aonsistorialrat für Erfahrungen machte er Herr Konsistorialrat hatte den Nest seines Aktenhcmfens, der zu erledigen war, mit nach Hause genommen und eben das letzte Stück des Nestes abgearbeitet. Nun lehnte er sich mit aufseufzender Be¬ friedigung in seinem Stuhle zurück, faltete die Hände über seiner rundlichen Vorderseite und überdachte das letzte Jahrzehnt seiner Amtsthätigkeit. Er konnte nicht sagen, daß diese Amtsthätigkeit durchaus erfreulich gewesen sei. Es hatte doch gnr zu viel totes Schreibwerk ge¬ geben, das thätige Leben, die Gemeinde, der er hätte dienen können, hatte gefehlt. Aber er konnte sich mit Genugthuung das eine sagen, daß er sich durch die Be¬ schäftigung mit trocknen Formeu sein warmes Herz nicht hatte nehmen lassen. Wie manche Handreichung hatte er den Amtsbrüdern, besonders denen auf dem Lande, die gar zu leicht in ihren Anschauungen auf die Stufe des sie umgebenden Lebens herabgezogen werden, gethan, um sie auf der Höhe ihrer Aufgabe zu er¬ halten! Wie manchen sorgenden oder klagenden Amtsbruder hatte er durch ein gutes Wort gestärkt und aufgerichtet! Er hatte es auch eben in diesem letzten Schriftstücke gethan. Er nahm es nochmals in die Hand und überlas, was er geschrieben hatte. Es war die Ant¬ wort auf eine Eingabe der Ephorie Hagelingen, in der ausgesprochen war, daß die Schwierigkeiten zwischen Gemeinde nud Pfarramt ihren Grund meist darin heilten, daß die Pfarrer in ihrem Einkommen von den Gemeinden abhingen. Die Pfarrer müßten selbständig gestellt werden; sie müßten ihren Gehalt ans einer kirchliche» Kasse beziehen; besonders nötig sei es, die Zehnten und Naturalabgaben abzulösen, da diese Art der Einnahme des geistlichen Standes nicht würdig sei. Der Herr Konsistorialrat hatte dieser Auffassung nicht zustimmen können. Er hatte geglaubt, daß durch Geben und Nehmen ein segensreiches Band zwischen Geistlichen und Gemeinde geknüpft werde, das man nnr zum Schaden beider Teile auflösen würde. Das Pfarramt bietet, so hatte er geschrieben, der Gemeinde das Brot des Lebens, und es empfängt vou der Gemeinde das Brot des Leibes. Dieser Austausch fördert auf beiden Seite» das Gefühl der Zusammengehörigkeit und des gegenseitige» Ver¬ trauens. Das, Was das Gemeindeglied darreicht, ist ein Opfer a» heiliger Stätte, es muß als ein solches angesehen und entgegengenommen werden, nämlich mit Demut und Dank. Es Würde eine Versündigung an dem frommen Sinne des Landmanns sein, wenn man seine Garbe verschmähen und das gern gebrachte Opfer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/599>, abgerufen am 01.05.2024.