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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Line Geschichte von Florenz

der Autorität zu finden. Daß die alten Formen schon vielfach unhaltbar ge¬
worden sind, ist klar. Auf einem der wichtigsten Gebiete, dem des Rechts,
haben die Grenzboten den rechten Weg schon mehrfach gewiesen. Hier wie auf
zahlreichen andern Gebieten kommt es zunächst weniger darauf an, das Aller¬
beste und völlig Einwandfreie zu finden, als vielmehr darauf, sich in der als
richtig erkannten Richtung überhaupt zu bewegen, dann kommt man auch vor¬
wärts. Alle großen Reformen haben sich aus der Befriedigung augenblicklicher
Bedürfnisse oder aus der Abstellung von Übelständen ergeben.

Die deutsche Arbeiterschaft aber möge beherzigen, daß sie die politischen
Kinderschuhe erst ausgetreten haben und zu ernsten Verhandlungen fähig sein
wird, wenn sie von ihren Führern unbedingt verlangt, daß sie sich auf den
Boden des nationalen Staates und der organischen Reform auf gesetzlichem
Wege stellen. Nur auf dieser Grundlage giebt es überhaupt Verhandlungen.
Darin liegt, daß sie auch die Opfer zu bringen bereit sind, die für die Macht-
entfaltung des Reichs, für unsre Wehrhaftigkeit nötig sind. Nur mit solchen
Parteien kann die Regierung palliren. Zeigen sie sich hierin weiter politisch
unreif, so muß sich die Negierung an die staatsklügern und deshalb wichtigern
Parteien halten. Auch die Arbeiterschaft muß dnrch Maßhalten und Unter¬
ordnung unter die Interessen der Gesamtheit selber an ihrem Glück mit schmieden
helfen.




Eine Geschichte von Florenz
(Schlusz)

Mle Zeit, wo Florenz für die neuere Kultur dasselbe gewesen
ist wie Athen für die alte, kennen wir genau genug aus seinen
litterarischen und Kunstdenkmälern und aus neuern Geschichten
und Monographien, sodaß der zweite Band Davidsohns nicht
viel neues bringen dürfte. Der vorliegende erste aber leistet uns
den Dienst, daß er uns zeigt, wie jenes Große geworden ist. Nicht daß damit
das Schöpfungswunder enthüllt wäre, aber wir können aus dem ungemein
reichen Urknndenmaterial aus der bisher für völlig dunkel und unerforschbar
gehaltenen ältern Geschichte der Stadt ungefähr schließen, unter welchen Be¬
dingungen ein solches Schöpfungswunder vor sich gehen kann.

Und da scheint nun zunächst Barbarei nicht bloß Vorstufe, sondern die
erste Bedingung für das Entstehen höherer Kultur zu sein. Georg Hansen


Line Geschichte von Florenz

der Autorität zu finden. Daß die alten Formen schon vielfach unhaltbar ge¬
worden sind, ist klar. Auf einem der wichtigsten Gebiete, dem des Rechts,
haben die Grenzboten den rechten Weg schon mehrfach gewiesen. Hier wie auf
zahlreichen andern Gebieten kommt es zunächst weniger darauf an, das Aller¬
beste und völlig Einwandfreie zu finden, als vielmehr darauf, sich in der als
richtig erkannten Richtung überhaupt zu bewegen, dann kommt man auch vor¬
wärts. Alle großen Reformen haben sich aus der Befriedigung augenblicklicher
Bedürfnisse oder aus der Abstellung von Übelständen ergeben.

Die deutsche Arbeiterschaft aber möge beherzigen, daß sie die politischen
Kinderschuhe erst ausgetreten haben und zu ernsten Verhandlungen fähig sein
wird, wenn sie von ihren Führern unbedingt verlangt, daß sie sich auf den
Boden des nationalen Staates und der organischen Reform auf gesetzlichem
Wege stellen. Nur auf dieser Grundlage giebt es überhaupt Verhandlungen.
Darin liegt, daß sie auch die Opfer zu bringen bereit sind, die für die Macht-
entfaltung des Reichs, für unsre Wehrhaftigkeit nötig sind. Nur mit solchen
Parteien kann die Regierung palliren. Zeigen sie sich hierin weiter politisch
unreif, so muß sich die Negierung an die staatsklügern und deshalb wichtigern
Parteien halten. Auch die Arbeiterschaft muß dnrch Maßhalten und Unter¬
ordnung unter die Interessen der Gesamtheit selber an ihrem Glück mit schmieden
helfen.




Eine Geschichte von Florenz
(Schlusz)

Mle Zeit, wo Florenz für die neuere Kultur dasselbe gewesen
ist wie Athen für die alte, kennen wir genau genug aus seinen
litterarischen und Kunstdenkmälern und aus neuern Geschichten
und Monographien, sodaß der zweite Band Davidsohns nicht
viel neues bringen dürfte. Der vorliegende erste aber leistet uns
den Dienst, daß er uns zeigt, wie jenes Große geworden ist. Nicht daß damit
das Schöpfungswunder enthüllt wäre, aber wir können aus dem ungemein
reichen Urknndenmaterial aus der bisher für völlig dunkel und unerforschbar
gehaltenen ältern Geschichte der Stadt ungefähr schließen, unter welchen Be¬
dingungen ein solches Schöpfungswunder vor sich gehen kann.

Und da scheint nun zunächst Barbarei nicht bloß Vorstufe, sondern die
erste Bedingung für das Entstehen höherer Kultur zu sein. Georg Hansen


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[0640] Line Geschichte von Florenz der Autorität zu finden. Daß die alten Formen schon vielfach unhaltbar ge¬ worden sind, ist klar. Auf einem der wichtigsten Gebiete, dem des Rechts, haben die Grenzboten den rechten Weg schon mehrfach gewiesen. Hier wie auf zahlreichen andern Gebieten kommt es zunächst weniger darauf an, das Aller¬ beste und völlig Einwandfreie zu finden, als vielmehr darauf, sich in der als richtig erkannten Richtung überhaupt zu bewegen, dann kommt man auch vor¬ wärts. Alle großen Reformen haben sich aus der Befriedigung augenblicklicher Bedürfnisse oder aus der Abstellung von Übelständen ergeben. Die deutsche Arbeiterschaft aber möge beherzigen, daß sie die politischen Kinderschuhe erst ausgetreten haben und zu ernsten Verhandlungen fähig sein wird, wenn sie von ihren Führern unbedingt verlangt, daß sie sich auf den Boden des nationalen Staates und der organischen Reform auf gesetzlichem Wege stellen. Nur auf dieser Grundlage giebt es überhaupt Verhandlungen. Darin liegt, daß sie auch die Opfer zu bringen bereit sind, die für die Macht- entfaltung des Reichs, für unsre Wehrhaftigkeit nötig sind. Nur mit solchen Parteien kann die Regierung palliren. Zeigen sie sich hierin weiter politisch unreif, so muß sich die Negierung an die staatsklügern und deshalb wichtigern Parteien halten. Auch die Arbeiterschaft muß dnrch Maßhalten und Unter¬ ordnung unter die Interessen der Gesamtheit selber an ihrem Glück mit schmieden helfen. Eine Geschichte von Florenz (Schlusz) Mle Zeit, wo Florenz für die neuere Kultur dasselbe gewesen ist wie Athen für die alte, kennen wir genau genug aus seinen litterarischen und Kunstdenkmälern und aus neuern Geschichten und Monographien, sodaß der zweite Band Davidsohns nicht viel neues bringen dürfte. Der vorliegende erste aber leistet uns den Dienst, daß er uns zeigt, wie jenes Große geworden ist. Nicht daß damit das Schöpfungswunder enthüllt wäre, aber wir können aus dem ungemein reichen Urknndenmaterial aus der bisher für völlig dunkel und unerforschbar gehaltenen ältern Geschichte der Stadt ungefähr schließen, unter welchen Be¬ dingungen ein solches Schöpfungswunder vor sich gehen kann. Und da scheint nun zunächst Barbarei nicht bloß Vorstufe, sondern die erste Bedingung für das Entstehen höherer Kultur zu sein. Georg Hansen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/640>, abgerufen am 30.04.2024.