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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Midaskmder
v Hermann Veser on(Fortsetzung)
Fünftes Kapitel
Auch das Studium der Haßlacher Schulverhältnisse erweist sich nicht als
förderlich

ürchten Sie sich nicht vor ihm! -- mit diesen Worten schloß Frau
Schwendeli ihrerseits die eingehende Besprechung aller Haszlacher
Schulverhältnisse, die Viktor am nächsten Morgen zur gewissenhaften
Vorbereitung auf seine neue Aufgabe eingeleitet hatte, als ihm das
Frühstück gebracht wurde; Frau Schwendeli begriff allerdings nicht,
was Viktor mit dem Schulwesen ihrer Vaterstadt zu thun haben könnte,
aber ihr Respekt vor dem "aparten" Mieter wuchs. Der aber, vor dem sich Viktor
nicht fürchten sollte, war der Mann, der Viktor über die Lage aller Schulhäuser,
über die Herkunft aller Lehrer und über das Alter aller Vorstände und Direktoren
aufklären konnte, wenn irgendwer in Haßlach, der Freund ihres seligen Schwendeli,
der Polizeidiener Belloff. An ihn wendete sich auch Frau Schwendeli, wenn sie
Eingaben zu machen, Stcueransätze zu beanstanden und Mieter zu beobachten hatte,
die ihr nicht so gut gefielen wie Herr Viktor Narzissns Zangkel. Und fürchten
Sie sich nur nicht vor ihm!

Viktor fand den furchtbaren Mann auf dem Marktplatze, dort stand er gerade
und sah die Bauern an, die zum Wochenmarkt hereinkamen, und die Bauern sahen
ihn an und nickten, und er nickte -- er sah die Hunde an, die hinter den Tauben
herbellten, die einmal über das andre auf eine unbelebte Stelle hinfielen und
Körner pickten. Und die Hunde gingen ihm weit aus dem Wege, und die kleinen
Schulkinder warfen einen scheuen Blick ans ihn, denn sein Gesicht war grimmig,
der volle Mund war etwas schief, die Augen standen nicht ganz in einer Linie, der
Schnurrbart hatte etwas zorniges, die gedrungne Gestalt etwas bedrohliches, aber
hinter diesem Gesicht, an dem Herr Belloff unschuldig war, und das Wider Willen
immer grimmiger aussah, je mehr es durch ein freundlich gemeintes Mienenspiel
neue verzogne Linien erhielt, hinter diesem Gesichte lag ein gutes Herz, das es
nur zu einem Ärger über verlcmfne Hunde, zu einem Ingrimm über Gänse, die
kleine Ausgänge aus deu Höfen ans die Straße unternahmen und dadurch der Re-
putation Haßlachs als eiuer aufblühenden Stadt ohne Zweifel schadeten, oder zu




Midaskmder
v Hermann Veser on(Fortsetzung)
Fünftes Kapitel
Auch das Studium der Haßlacher Schulverhältnisse erweist sich nicht als
förderlich

ürchten Sie sich nicht vor ihm! — mit diesen Worten schloß Frau
Schwendeli ihrerseits die eingehende Besprechung aller Haszlacher
Schulverhältnisse, die Viktor am nächsten Morgen zur gewissenhaften
Vorbereitung auf seine neue Aufgabe eingeleitet hatte, als ihm das
Frühstück gebracht wurde; Frau Schwendeli begriff allerdings nicht,
was Viktor mit dem Schulwesen ihrer Vaterstadt zu thun haben könnte,
aber ihr Respekt vor dem „aparten" Mieter wuchs. Der aber, vor dem sich Viktor
nicht fürchten sollte, war der Mann, der Viktor über die Lage aller Schulhäuser,
über die Herkunft aller Lehrer und über das Alter aller Vorstände und Direktoren
aufklären konnte, wenn irgendwer in Haßlach, der Freund ihres seligen Schwendeli,
der Polizeidiener Belloff. An ihn wendete sich auch Frau Schwendeli, wenn sie
Eingaben zu machen, Stcueransätze zu beanstanden und Mieter zu beobachten hatte,
die ihr nicht so gut gefielen wie Herr Viktor Narzissns Zangkel. Und fürchten
Sie sich nur nicht vor ihm!

Viktor fand den furchtbaren Mann auf dem Marktplatze, dort stand er gerade
und sah die Bauern an, die zum Wochenmarkt hereinkamen, und die Bauern sahen
ihn an und nickten, und er nickte — er sah die Hunde an, die hinter den Tauben
herbellten, die einmal über das andre auf eine unbelebte Stelle hinfielen und
Körner pickten. Und die Hunde gingen ihm weit aus dem Wege, und die kleinen
Schulkinder warfen einen scheuen Blick ans ihn, denn sein Gesicht war grimmig,
der volle Mund war etwas schief, die Augen standen nicht ganz in einer Linie, der
Schnurrbart hatte etwas zorniges, die gedrungne Gestalt etwas bedrohliches, aber
hinter diesem Gesicht, an dem Herr Belloff unschuldig war, und das Wider Willen
immer grimmiger aussah, je mehr es durch ein freundlich gemeintes Mienenspiel
neue verzogne Linien erhielt, hinter diesem Gesichte lag ein gutes Herz, das es
nur zu einem Ärger über verlcmfne Hunde, zu einem Ingrimm über Gänse, die
kleine Ausgänge aus deu Höfen ans die Straße unternahmen und dadurch der Re-
putation Haßlachs als eiuer aufblühenden Stadt ohne Zweifel schadeten, oder zu


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[0148] [Abbildung] Midaskmder v Hermann Veser on(Fortsetzung) Fünftes Kapitel Auch das Studium der Haßlacher Schulverhältnisse erweist sich nicht als förderlich ürchten Sie sich nicht vor ihm! — mit diesen Worten schloß Frau Schwendeli ihrerseits die eingehende Besprechung aller Haszlacher Schulverhältnisse, die Viktor am nächsten Morgen zur gewissenhaften Vorbereitung auf seine neue Aufgabe eingeleitet hatte, als ihm das Frühstück gebracht wurde; Frau Schwendeli begriff allerdings nicht, was Viktor mit dem Schulwesen ihrer Vaterstadt zu thun haben könnte, aber ihr Respekt vor dem „aparten" Mieter wuchs. Der aber, vor dem sich Viktor nicht fürchten sollte, war der Mann, der Viktor über die Lage aller Schulhäuser, über die Herkunft aller Lehrer und über das Alter aller Vorstände und Direktoren aufklären konnte, wenn irgendwer in Haßlach, der Freund ihres seligen Schwendeli, der Polizeidiener Belloff. An ihn wendete sich auch Frau Schwendeli, wenn sie Eingaben zu machen, Stcueransätze zu beanstanden und Mieter zu beobachten hatte, die ihr nicht so gut gefielen wie Herr Viktor Narzissns Zangkel. Und fürchten Sie sich nur nicht vor ihm! Viktor fand den furchtbaren Mann auf dem Marktplatze, dort stand er gerade und sah die Bauern an, die zum Wochenmarkt hereinkamen, und die Bauern sahen ihn an und nickten, und er nickte — er sah die Hunde an, die hinter den Tauben herbellten, die einmal über das andre auf eine unbelebte Stelle hinfielen und Körner pickten. Und die Hunde gingen ihm weit aus dem Wege, und die kleinen Schulkinder warfen einen scheuen Blick ans ihn, denn sein Gesicht war grimmig, der volle Mund war etwas schief, die Augen standen nicht ganz in einer Linie, der Schnurrbart hatte etwas zorniges, die gedrungne Gestalt etwas bedrohliches, aber hinter diesem Gesicht, an dem Herr Belloff unschuldig war, und das Wider Willen immer grimmiger aussah, je mehr es durch ein freundlich gemeintes Mienenspiel neue verzogne Linien erhielt, hinter diesem Gesichte lag ein gutes Herz, das es nur zu einem Ärger über verlcmfne Hunde, zu einem Ingrimm über Gänse, die kleine Ausgänge aus deu Höfen ans die Straße unternahmen und dadurch der Re- putation Haßlachs als eiuer aufblühenden Stadt ohne Zweifel schadeten, oder zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/148>, abgerufen am 07.05.2024.