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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Die Kompeteuzerweiterung der Amtsgerichte

Stellung. Den Landgerichten würde nicht weniger als ein Drittel ihrer sämt¬
lichen Sachen entzogen werden (ebenso viel wohl auch den Oberlandesgerichten),
und nur ein Teil würde durch die Berufung wieder an sie zurückgebracht
werden. Damit wäre aber eine ernstliche Bedrohung des Bestandes mancher
Landgerichte verbunden, da diese keineswegs allgemein, wie der Artikel in
Ur. 42 anzunehmen scheint, einer Entlastung bedürftig sind. Eine ganze Reihe
von Landgerichten in weniger bevölkerten Gegenden würde wahrscheinlich auf¬
gehoben werden müssen, und die Verteilung ihrer Bezirke an die benachbarten
Sprengel würde vielfache Schwierigkeiten machen und in mannichfache Inter¬
essen störend eingreifen. Für die Amtsgerichte würde aber nicht entfernt ebenso
viel gewonnen werden. Die beim Landgericht freiwerdenden Sachen würden,
so weit sie nicht bei dem Hauptort des Bezirks, dem Landgerichtssitz, bleiben,
über die verschiednen Amtsgerichte des Bezirks zersplittert werden, und weder
das einzelne Gericht noch die an ihm zugelassenen Anwälte würden einen
nennenswerten Zuwachs an Geschäften erhalten. Durchschnittlich würden auf
jeden Amtsrichter jährlich elf gewöhnliche und fünf Wechselprozesse mehr fallen,
also eine ganz geringfügige Zahl, selbst wenn die Verteilung gleichmüßig statt¬
fände und nicht die Hauptmaste der Prozesse an den Hauptorten bliebe.

Jastrow macht in seinen Ausführungen den Vorschlag, die Gerichtskosten
in den verschiednen Gerichten je nach deren Kostspieligkeit für den Staat ab¬
zustufen, also für Prozesse vor dem Amtsgericht die Kosten gegenüber denen
des Landgerichtsverfahrens zu verbilligen, auch wenn der, jetzt allein ma߬
gebende, Streitwert derselbe ist. Das würde voraussichtlich eine Vermehrung
der Sachen zur Folge haben, in denen die Amtsgerichtskompetenz von den
Parteien vereinbart wird. Gegen solche Vereinbarungen in geeigneten Fallen
ist nicht das mindeste einzuwenden, und wenn man auch abgesehen davon für
gewisse Arten von Streitigkeiten, z. B. Altenteilsdifferenzen usw., wegen ihrer
besondern Beschaffenheit das amtsgerichtliche Verfahren für passender hält, so
möge für diese die sachliche Zuständigkeit der Amtsgerichte allgemein ausgedehnt
werden. In dem Maße aber, wie es durch die Erhöhung der Wertgrenze ge¬
schehen würde, das Kollegialverfahren einzuschränken, die Landgerichte zu
schwächen und vor allem die Oberlandesgerichte zu beeinträchtigen, wäre die
schwerste Verkümmerung unsrer Rechtspflege, und zwar eine Verkümmerung
wesentlich aus fiskalischen Rücksichten; würden doch viele Richter erspart werden,
wenn ein so großer Teil aller Prozesse in erster Instanz nnr einen, in zweiter
Instanz drei Richter beschäftigte, anstatt, wie jetzt, drei und fünf.


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Die Kompeteuzerweiterung der Amtsgerichte

Stellung. Den Landgerichten würde nicht weniger als ein Drittel ihrer sämt¬
lichen Sachen entzogen werden (ebenso viel wohl auch den Oberlandesgerichten),
und nur ein Teil würde durch die Berufung wieder an sie zurückgebracht
werden. Damit wäre aber eine ernstliche Bedrohung des Bestandes mancher
Landgerichte verbunden, da diese keineswegs allgemein, wie der Artikel in
Ur. 42 anzunehmen scheint, einer Entlastung bedürftig sind. Eine ganze Reihe
von Landgerichten in weniger bevölkerten Gegenden würde wahrscheinlich auf¬
gehoben werden müssen, und die Verteilung ihrer Bezirke an die benachbarten
Sprengel würde vielfache Schwierigkeiten machen und in mannichfache Inter¬
essen störend eingreifen. Für die Amtsgerichte würde aber nicht entfernt ebenso
viel gewonnen werden. Die beim Landgericht freiwerdenden Sachen würden,
so weit sie nicht bei dem Hauptort des Bezirks, dem Landgerichtssitz, bleiben,
über die verschiednen Amtsgerichte des Bezirks zersplittert werden, und weder
das einzelne Gericht noch die an ihm zugelassenen Anwälte würden einen
nennenswerten Zuwachs an Geschäften erhalten. Durchschnittlich würden auf
jeden Amtsrichter jährlich elf gewöhnliche und fünf Wechselprozesse mehr fallen,
also eine ganz geringfügige Zahl, selbst wenn die Verteilung gleichmüßig statt¬
fände und nicht die Hauptmaste der Prozesse an den Hauptorten bliebe.

Jastrow macht in seinen Ausführungen den Vorschlag, die Gerichtskosten
in den verschiednen Gerichten je nach deren Kostspieligkeit für den Staat ab¬
zustufen, also für Prozesse vor dem Amtsgericht die Kosten gegenüber denen
des Landgerichtsverfahrens zu verbilligen, auch wenn der, jetzt allein ma߬
gebende, Streitwert derselbe ist. Das würde voraussichtlich eine Vermehrung
der Sachen zur Folge haben, in denen die Amtsgerichtskompetenz von den
Parteien vereinbart wird. Gegen solche Vereinbarungen in geeigneten Fallen
ist nicht das mindeste einzuwenden, und wenn man auch abgesehen davon für
gewisse Arten von Streitigkeiten, z. B. Altenteilsdifferenzen usw., wegen ihrer
besondern Beschaffenheit das amtsgerichtliche Verfahren für passender hält, so
möge für diese die sachliche Zuständigkeit der Amtsgerichte allgemein ausgedehnt
werden. In dem Maße aber, wie es durch die Erhöhung der Wertgrenze ge¬
schehen würde, das Kollegialverfahren einzuschränken, die Landgerichte zu
schwächen und vor allem die Oberlandesgerichte zu beeinträchtigen, wäre die
schwerste Verkümmerung unsrer Rechtspflege, und zwar eine Verkümmerung
wesentlich aus fiskalischen Rücksichten; würden doch viele Richter erspart werden,
wenn ein so großer Teil aller Prozesse in erster Instanz nnr einen, in zweiter
Instanz drei Richter beschäftigte, anstatt, wie jetzt, drei und fünf.


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[0147] Die Kompeteuzerweiterung der Amtsgerichte Stellung. Den Landgerichten würde nicht weniger als ein Drittel ihrer sämt¬ lichen Sachen entzogen werden (ebenso viel wohl auch den Oberlandesgerichten), und nur ein Teil würde durch die Berufung wieder an sie zurückgebracht werden. Damit wäre aber eine ernstliche Bedrohung des Bestandes mancher Landgerichte verbunden, da diese keineswegs allgemein, wie der Artikel in Ur. 42 anzunehmen scheint, einer Entlastung bedürftig sind. Eine ganze Reihe von Landgerichten in weniger bevölkerten Gegenden würde wahrscheinlich auf¬ gehoben werden müssen, und die Verteilung ihrer Bezirke an die benachbarten Sprengel würde vielfache Schwierigkeiten machen und in mannichfache Inter¬ essen störend eingreifen. Für die Amtsgerichte würde aber nicht entfernt ebenso viel gewonnen werden. Die beim Landgericht freiwerdenden Sachen würden, so weit sie nicht bei dem Hauptort des Bezirks, dem Landgerichtssitz, bleiben, über die verschiednen Amtsgerichte des Bezirks zersplittert werden, und weder das einzelne Gericht noch die an ihm zugelassenen Anwälte würden einen nennenswerten Zuwachs an Geschäften erhalten. Durchschnittlich würden auf jeden Amtsrichter jährlich elf gewöhnliche und fünf Wechselprozesse mehr fallen, also eine ganz geringfügige Zahl, selbst wenn die Verteilung gleichmüßig statt¬ fände und nicht die Hauptmaste der Prozesse an den Hauptorten bliebe. Jastrow macht in seinen Ausführungen den Vorschlag, die Gerichtskosten in den verschiednen Gerichten je nach deren Kostspieligkeit für den Staat ab¬ zustufen, also für Prozesse vor dem Amtsgericht die Kosten gegenüber denen des Landgerichtsverfahrens zu verbilligen, auch wenn der, jetzt allein ma߬ gebende, Streitwert derselbe ist. Das würde voraussichtlich eine Vermehrung der Sachen zur Folge haben, in denen die Amtsgerichtskompetenz von den Parteien vereinbart wird. Gegen solche Vereinbarungen in geeigneten Fallen ist nicht das mindeste einzuwenden, und wenn man auch abgesehen davon für gewisse Arten von Streitigkeiten, z. B. Altenteilsdifferenzen usw., wegen ihrer besondern Beschaffenheit das amtsgerichtliche Verfahren für passender hält, so möge für diese die sachliche Zuständigkeit der Amtsgerichte allgemein ausgedehnt werden. In dem Maße aber, wie es durch die Erhöhung der Wertgrenze ge¬ schehen würde, das Kollegialverfahren einzuschränken, die Landgerichte zu schwächen und vor allem die Oberlandesgerichte zu beeinträchtigen, wäre die schwerste Verkümmerung unsrer Rechtspflege, und zwar eine Verkümmerung wesentlich aus fiskalischen Rücksichten; würden doch viele Richter erspart werden, wenn ein so großer Teil aller Prozesse in erster Instanz nnr einen, in zweiter Instanz drei Richter beschäftigte, anstatt, wie jetzt, drei und fünf. X

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/147>, abgerufen am 19.05.2024.