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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Heimatschutz

in spanischer Novellist schreibt über die Modernisirung von
Sevillcn "Die Lokalfarbe und die Nationalphysiognomie schwinden
dahin, dank diesem modernen Prokrustes, den man Zivilisation
nennt. Aber eine solche Ansicht darf man nicht laut werden
lassen, ohne daß sie sofort von der Stimme der Allgemeinheit
erstickt wird, die einzig von dem modernen Prinzip der materiellen Wohlfahrt
durchdrungen und beherrscht ist." Zu diesem spanischen Thema einige deutsche
Variationen zu geben ist der Zweck dieser Zeilen.

Wer heute mit tiefern Bedürfnissen des Gemüts seine Zelle verläßt, um
draußen Erquickung zu suchen, der muß sich von vornherein auf Nackenschläge
gefaßt machen. Und das von Jahr zu Jahr mehr. Was haben die letzten
Jahrzehnte aus der Welt und insbesondre aus Deutschland gemacht! Was
ist aus unsrer schönen, herrlichen Heimat mit ihren malerischen Bergen,
Strömen, Burgen und alten Städten geworden, seitdem sie Dichter wie Uhland,
Schwab und Eichendorff zu unvergänglichen Liedern begeistert, seit Ludwig
Tieck, Arnim und Brentano die Wunderwildnis des Heidelberger Schlosses
gepriesen haben! Der Gesichtskreis des Einzelnen ist ja verschwindend klein im
Vergleich zu dem großen Vaterlande; um so erschreckender ist, was jeder, der
seine Augen offen hält, innerhalb dieses engsten Rahmens unablässig an Ver¬
änderungen zu erleben hat, die ebenso viel Vernichtungen bedeuten. Auf der
einen Seite Ausbeutung aller Schätze' und Kräfte der Natur durch industrielle
Anlagen aller Art, Vergewaltigung der Landschaft durch Strvmregulirungen,
Eisenbahnen, Abholzungen und andre schonungslose, lediglich auf Erzielung
materieller Vorteile gerichtete Verwaltungsmaßregeln, mag dabei an Schönheit
und Poesie zu Grunde gehen, was da will; auf der andern Seite Spekula¬
tionen auf Fremdenbesuch, widerwärtige Anpreisung landschaftlicher Reize, und


Grenzboten II 18L7 51


Heimatschutz

in spanischer Novellist schreibt über die Modernisirung von
Sevillcn „Die Lokalfarbe und die Nationalphysiognomie schwinden
dahin, dank diesem modernen Prokrustes, den man Zivilisation
nennt. Aber eine solche Ansicht darf man nicht laut werden
lassen, ohne daß sie sofort von der Stimme der Allgemeinheit
erstickt wird, die einzig von dem modernen Prinzip der materiellen Wohlfahrt
durchdrungen und beherrscht ist." Zu diesem spanischen Thema einige deutsche
Variationen zu geben ist der Zweck dieser Zeilen.

Wer heute mit tiefern Bedürfnissen des Gemüts seine Zelle verläßt, um
draußen Erquickung zu suchen, der muß sich von vornherein auf Nackenschläge
gefaßt machen. Und das von Jahr zu Jahr mehr. Was haben die letzten
Jahrzehnte aus der Welt und insbesondre aus Deutschland gemacht! Was
ist aus unsrer schönen, herrlichen Heimat mit ihren malerischen Bergen,
Strömen, Burgen und alten Städten geworden, seitdem sie Dichter wie Uhland,
Schwab und Eichendorff zu unvergänglichen Liedern begeistert, seit Ludwig
Tieck, Arnim und Brentano die Wunderwildnis des Heidelberger Schlosses
gepriesen haben! Der Gesichtskreis des Einzelnen ist ja verschwindend klein im
Vergleich zu dem großen Vaterlande; um so erschreckender ist, was jeder, der
seine Augen offen hält, innerhalb dieses engsten Rahmens unablässig an Ver¬
änderungen zu erleben hat, die ebenso viel Vernichtungen bedeuten. Auf der
einen Seite Ausbeutung aller Schätze' und Kräfte der Natur durch industrielle
Anlagen aller Art, Vergewaltigung der Landschaft durch Strvmregulirungen,
Eisenbahnen, Abholzungen und andre schonungslose, lediglich auf Erzielung
materieller Vorteile gerichtete Verwaltungsmaßregeln, mag dabei an Schönheit
und Poesie zu Grunde gehen, was da will; auf der andern Seite Spekula¬
tionen auf Fremdenbesuch, widerwärtige Anpreisung landschaftlicher Reize, und


Grenzboten II 18L7 51
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[0409] [Abbildung] Heimatschutz in spanischer Novellist schreibt über die Modernisirung von Sevillcn „Die Lokalfarbe und die Nationalphysiognomie schwinden dahin, dank diesem modernen Prokrustes, den man Zivilisation nennt. Aber eine solche Ansicht darf man nicht laut werden lassen, ohne daß sie sofort von der Stimme der Allgemeinheit erstickt wird, die einzig von dem modernen Prinzip der materiellen Wohlfahrt durchdrungen und beherrscht ist." Zu diesem spanischen Thema einige deutsche Variationen zu geben ist der Zweck dieser Zeilen. Wer heute mit tiefern Bedürfnissen des Gemüts seine Zelle verläßt, um draußen Erquickung zu suchen, der muß sich von vornherein auf Nackenschläge gefaßt machen. Und das von Jahr zu Jahr mehr. Was haben die letzten Jahrzehnte aus der Welt und insbesondre aus Deutschland gemacht! Was ist aus unsrer schönen, herrlichen Heimat mit ihren malerischen Bergen, Strömen, Burgen und alten Städten geworden, seitdem sie Dichter wie Uhland, Schwab und Eichendorff zu unvergänglichen Liedern begeistert, seit Ludwig Tieck, Arnim und Brentano die Wunderwildnis des Heidelberger Schlosses gepriesen haben! Der Gesichtskreis des Einzelnen ist ja verschwindend klein im Vergleich zu dem großen Vaterlande; um so erschreckender ist, was jeder, der seine Augen offen hält, innerhalb dieses engsten Rahmens unablässig an Ver¬ änderungen zu erleben hat, die ebenso viel Vernichtungen bedeuten. Auf der einen Seite Ausbeutung aller Schätze' und Kräfte der Natur durch industrielle Anlagen aller Art, Vergewaltigung der Landschaft durch Strvmregulirungen, Eisenbahnen, Abholzungen und andre schonungslose, lediglich auf Erzielung materieller Vorteile gerichtete Verwaltungsmaßregeln, mag dabei an Schönheit und Poesie zu Grunde gehen, was da will; auf der andern Seite Spekula¬ tionen auf Fremdenbesuch, widerwärtige Anpreisung landschaftlicher Reize, und Grenzboten II 18L7 51

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/409>, abgerufen am 06.05.2024.