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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Lin Grundübel unsrer Strafrechtspflege

land! Bei einem großen Kriege, den etwa im nächsten Jahrhundert die ver¬
bündeten europäischen Nationen gegen das wirtschaftlich übermächtige England
zu führen haben könnten, würden wir im Falle des Sieges nur dann eine
entsprechende Belohnung einheimsen, wenn wir uns mit entsprechender Seemacht
am Kriege beteiligt haben. In Deutschland wünscht ja niemand Krieg gegen
England, aber Frieden werden wir nur behalten, wenn wir gegen England
etwas bedeuten. Das Heer hat uns vor dem zweiten Kriege mit Frankreich
bewahrt; die Flotte allein kann uns vor dem Zusammenstoß mit England be¬
wahren. Wenn wir England gegenüber nichts sind, wird England mit uns
umgehen, wie es mit Holland umgegangen ist. Wie für das Heer, so gilt
auch für die Flotte: Li ?is xg,o<zin, xma bsllum!


Georg Wislicenus


Gin Grundübel unsrer Strafrechtspflege
von einem Gefängnisbeamten

otthelf Weiter hat vorm Jahre in einem Aufsatz der Preußischen
Jahrbücher das Grundübel, an dem die moderne Strafrechtspflege
krankt, in der Unzulänglichkeit der unsrer Justizverwaltung zu
Gebote stehenden materiellen Mittel zu finden geglaubt; alles
Heil in der Strafrechtspflege verspricht er sich von einer bessern
Bezahlung der Richter und von einer Auswahl der Richter aus den bessern
Ständen, die durch Vermögen unabhängig und gegen alle Beeinflussung sicher
gestellt seien. Er hat im Januarheft der Preußischen Jahrbücher sofort Wider¬
spruch erfahren durch deu Hamburger Staatsanwalt Dr. Bucht. Ebenso hat
G. Pfizer in einem Februarheft der "Wahrheit" in einem höchst bemerkens¬
werten Aufsatz "Rechtspflege und Kapitalismus" dem Verlangen Weiters
nach einem Optimatentum im Richterstande widersprochen. Trotz der scharfen
Erwiderung, mit der sich Weiter gegen Bucht gewendet hat, werden die
Laien doch nicht über den Eindruck hinauskommen, daß der von Weiter vor¬
geschlagne Weg zur Heilung aller Übel in der Strafrechtspflege den Wider¬
spruch Buehls sehr wohl verdient habe. Das Beweismittel Weiters, daß den
Ausführungen Buehls nur die Autorität eines Staatsanwalts von zehnjähriger
Erfahrung zur Seite stehe, ist doch so zweifelhaft, daß man einem Manne,
der sich sonach auf die Erfahrung einer lungern Reihe von Jahren berufen
kann, eine etwas weniger persönlich gefärbte Kampfesweise in diesem geistigen
Kampfe hätte wünschen mögen.


Grenzboten III 1897 32
Lin Grundübel unsrer Strafrechtspflege

land! Bei einem großen Kriege, den etwa im nächsten Jahrhundert die ver¬
bündeten europäischen Nationen gegen das wirtschaftlich übermächtige England
zu führen haben könnten, würden wir im Falle des Sieges nur dann eine
entsprechende Belohnung einheimsen, wenn wir uns mit entsprechender Seemacht
am Kriege beteiligt haben. In Deutschland wünscht ja niemand Krieg gegen
England, aber Frieden werden wir nur behalten, wenn wir gegen England
etwas bedeuten. Das Heer hat uns vor dem zweiten Kriege mit Frankreich
bewahrt; die Flotte allein kann uns vor dem Zusammenstoß mit England be¬
wahren. Wenn wir England gegenüber nichts sind, wird England mit uns
umgehen, wie es mit Holland umgegangen ist. Wie für das Heer, so gilt
auch für die Flotte: Li ?is xg,o<zin, xma bsllum!


Georg Wislicenus


Gin Grundübel unsrer Strafrechtspflege
von einem Gefängnisbeamten

otthelf Weiter hat vorm Jahre in einem Aufsatz der Preußischen
Jahrbücher das Grundübel, an dem die moderne Strafrechtspflege
krankt, in der Unzulänglichkeit der unsrer Justizverwaltung zu
Gebote stehenden materiellen Mittel zu finden geglaubt; alles
Heil in der Strafrechtspflege verspricht er sich von einer bessern
Bezahlung der Richter und von einer Auswahl der Richter aus den bessern
Ständen, die durch Vermögen unabhängig und gegen alle Beeinflussung sicher
gestellt seien. Er hat im Januarheft der Preußischen Jahrbücher sofort Wider¬
spruch erfahren durch deu Hamburger Staatsanwalt Dr. Bucht. Ebenso hat
G. Pfizer in einem Februarheft der „Wahrheit" in einem höchst bemerkens¬
werten Aufsatz „Rechtspflege und Kapitalismus" dem Verlangen Weiters
nach einem Optimatentum im Richterstande widersprochen. Trotz der scharfen
Erwiderung, mit der sich Weiter gegen Bucht gewendet hat, werden die
Laien doch nicht über den Eindruck hinauskommen, daß der von Weiter vor¬
geschlagne Weg zur Heilung aller Übel in der Strafrechtspflege den Wider¬
spruch Buehls sehr wohl verdient habe. Das Beweismittel Weiters, daß den
Ausführungen Buehls nur die Autorität eines Staatsanwalts von zehnjähriger
Erfahrung zur Seite stehe, ist doch so zweifelhaft, daß man einem Manne,
der sich sonach auf die Erfahrung einer lungern Reihe von Jahren berufen
kann, eine etwas weniger persönlich gefärbte Kampfesweise in diesem geistigen
Kampfe hätte wünschen mögen.


Grenzboten III 1897 32
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[0257] Lin Grundübel unsrer Strafrechtspflege land! Bei einem großen Kriege, den etwa im nächsten Jahrhundert die ver¬ bündeten europäischen Nationen gegen das wirtschaftlich übermächtige England zu führen haben könnten, würden wir im Falle des Sieges nur dann eine entsprechende Belohnung einheimsen, wenn wir uns mit entsprechender Seemacht am Kriege beteiligt haben. In Deutschland wünscht ja niemand Krieg gegen England, aber Frieden werden wir nur behalten, wenn wir gegen England etwas bedeuten. Das Heer hat uns vor dem zweiten Kriege mit Frankreich bewahrt; die Flotte allein kann uns vor dem Zusammenstoß mit England be¬ wahren. Wenn wir England gegenüber nichts sind, wird England mit uns umgehen, wie es mit Holland umgegangen ist. Wie für das Heer, so gilt auch für die Flotte: Li ?is xg,o<zin, xma bsllum! Georg Wislicenus Gin Grundübel unsrer Strafrechtspflege von einem Gefängnisbeamten otthelf Weiter hat vorm Jahre in einem Aufsatz der Preußischen Jahrbücher das Grundübel, an dem die moderne Strafrechtspflege krankt, in der Unzulänglichkeit der unsrer Justizverwaltung zu Gebote stehenden materiellen Mittel zu finden geglaubt; alles Heil in der Strafrechtspflege verspricht er sich von einer bessern Bezahlung der Richter und von einer Auswahl der Richter aus den bessern Ständen, die durch Vermögen unabhängig und gegen alle Beeinflussung sicher gestellt seien. Er hat im Januarheft der Preußischen Jahrbücher sofort Wider¬ spruch erfahren durch deu Hamburger Staatsanwalt Dr. Bucht. Ebenso hat G. Pfizer in einem Februarheft der „Wahrheit" in einem höchst bemerkens¬ werten Aufsatz „Rechtspflege und Kapitalismus" dem Verlangen Weiters nach einem Optimatentum im Richterstande widersprochen. Trotz der scharfen Erwiderung, mit der sich Weiter gegen Bucht gewendet hat, werden die Laien doch nicht über den Eindruck hinauskommen, daß der von Weiter vor¬ geschlagne Weg zur Heilung aller Übel in der Strafrechtspflege den Wider¬ spruch Buehls sehr wohl verdient habe. Das Beweismittel Weiters, daß den Ausführungen Buehls nur die Autorität eines Staatsanwalts von zehnjähriger Erfahrung zur Seite stehe, ist doch so zweifelhaft, daß man einem Manne, der sich sonach auf die Erfahrung einer lungern Reihe von Jahren berufen kann, eine etwas weniger persönlich gefärbte Kampfesweise in diesem geistigen Kampfe hätte wünschen mögen. Grenzboten III 1897 32

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/257>, abgerufen am 01.05.2024.