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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Moderne Novellen

merkt man ja am sichersten beim Übersetzen, ob eine Sache Sinn oder Unsinn
ist. Der Übersetzer Hütte getrost noch etwas weiter gehen und etwas deutscher
sein können. Wir brauchen wirklich den Franzosen nicht immer im einzelnen
über ihre Sprache noch Komplimente zu machen, wo der Sinn aufhört. Die
alberne Phrase, die unübersetzbare, wo die weißen Haare des Künstlers Fahnen
genannt werden, die vom ersten Tage seines Lebenskampfes an auf seinem
Kopfe aufgepflanzt worden seien, ist nicht einmal "aus dem Geiste der fran¬
zösischen Sprache heraus schön gedacht und geschrieben," weil sie in jeder
Sprache Blödsinn bedeutet. -- N. von Seydlitz, In Licht und Sonne ent¬
halt fünf ganz kurze Erzählungen, von denen sich jede in einem andern Lande
zuträgt. Die beste ist die erste, insofern man über sie wenigstens lachen kann;
sie ist eine Schnurre, die aber sachlich ganz unmöglich ist. Der Chef der
zweitgrößten aller rheinischen Eisenfirmen, der persönlich den ganzen Apparat
seines Königreiches leitet, von seiner Seele aus, wie mit dem elektrischen
Strom, der aber dennoch eine Depesche aus Porto Felice, die ihm eine
Schienenlieferung anbietet, als Einladung einer Primadonna, ihn zu besuchen,
auffaßt, der dann vierzehn Tage lang in einem großen italienischen Badehotel
sich so ausgesucht einfältig benimmt, daß ihn schließlich seine strenge Ehehälfte
Persönlich als begossener Pudel reumütig nach Hause transportiren muß --
das giebts nicht, außer etwa in den Fliegenden Blättern. Also es ist eine
sehr komische Geschichte. Bei der zweiten und dritten: "Die Braut des Empe-
dokles" und "Kujundschik" ist das Komische schon sehr an den Haaren herbei¬
gezogen. "Blind" und die "Letzte Nelke" sind sentimental mit sehr dickem
Farbenauftrag. Wir geben zu, daß sich ein Novellist auf weiten Reisen Stosse
sammeln kann. Es wird aber bei aller Ausdehnung des Schauplatzes immer
hinterher ein wenig mit darauf ankommen, wer es ist, der die Reise ge¬
macht hat.

Wilhelm Krag

ist als norwegischer Erzähler längst bekannt. Der
lustige Leutnant ist ein sehr geistreiches und ernstes, in seinem Schluß sogar
trauriges Buch. Wir können uns das Vergnügen einer kurzen Skizze nicht
versagen. Der erste Abschnitt führt den norwegischen Leutnant nach Paris
auf Urlaub und zu einem kleinen, zu weiter nichts verpflichtenden Verhältnis,
wie es auch die Landsleute von Ibsen, Björnson usw. gern haben. Er wird dabei
von einem französischen Kameraden, der mit vollendeter Kunst geschildert ist,
beiseite geschoben. Der mittlere Abschnitt ist voll von Poesie, gesunder Natur
und reinem Sonnenschein: die erste Zeit der Ehe mit einem norwegischen
Mädchen auf einem Landgut, das dem vom Dienste zurückgezognen zugefallen
ist. Aber nun, nach soviel Glück, wird sie ihm untreu. Ist es die Strafe
für sein früheres Leben oder dafür, daß er eigentlich sie nicht heiraten wollte?
So etwas fühlt der Leser, als der dritte Abschnitt beginnt; dieser schließt ohne
Versöhnung und hat kräftige, ergreifende Striche, nordische Zeichnung, wie wir


Moderne Novellen

merkt man ja am sichersten beim Übersetzen, ob eine Sache Sinn oder Unsinn
ist. Der Übersetzer Hütte getrost noch etwas weiter gehen und etwas deutscher
sein können. Wir brauchen wirklich den Franzosen nicht immer im einzelnen
über ihre Sprache noch Komplimente zu machen, wo der Sinn aufhört. Die
alberne Phrase, die unübersetzbare, wo die weißen Haare des Künstlers Fahnen
genannt werden, die vom ersten Tage seines Lebenskampfes an auf seinem
Kopfe aufgepflanzt worden seien, ist nicht einmal „aus dem Geiste der fran¬
zösischen Sprache heraus schön gedacht und geschrieben," weil sie in jeder
Sprache Blödsinn bedeutet. — N. von Seydlitz, In Licht und Sonne ent¬
halt fünf ganz kurze Erzählungen, von denen sich jede in einem andern Lande
zuträgt. Die beste ist die erste, insofern man über sie wenigstens lachen kann;
sie ist eine Schnurre, die aber sachlich ganz unmöglich ist. Der Chef der
zweitgrößten aller rheinischen Eisenfirmen, der persönlich den ganzen Apparat
seines Königreiches leitet, von seiner Seele aus, wie mit dem elektrischen
Strom, der aber dennoch eine Depesche aus Porto Felice, die ihm eine
Schienenlieferung anbietet, als Einladung einer Primadonna, ihn zu besuchen,
auffaßt, der dann vierzehn Tage lang in einem großen italienischen Badehotel
sich so ausgesucht einfältig benimmt, daß ihn schließlich seine strenge Ehehälfte
Persönlich als begossener Pudel reumütig nach Hause transportiren muß —
das giebts nicht, außer etwa in den Fliegenden Blättern. Also es ist eine
sehr komische Geschichte. Bei der zweiten und dritten: „Die Braut des Empe-
dokles" und „Kujundschik" ist das Komische schon sehr an den Haaren herbei¬
gezogen. „Blind" und die „Letzte Nelke" sind sentimental mit sehr dickem
Farbenauftrag. Wir geben zu, daß sich ein Novellist auf weiten Reisen Stosse
sammeln kann. Es wird aber bei aller Ausdehnung des Schauplatzes immer
hinterher ein wenig mit darauf ankommen, wer es ist, der die Reise ge¬
macht hat.

Wilhelm Krag

ist als norwegischer Erzähler längst bekannt. Der
lustige Leutnant ist ein sehr geistreiches und ernstes, in seinem Schluß sogar
trauriges Buch. Wir können uns das Vergnügen einer kurzen Skizze nicht
versagen. Der erste Abschnitt führt den norwegischen Leutnant nach Paris
auf Urlaub und zu einem kleinen, zu weiter nichts verpflichtenden Verhältnis,
wie es auch die Landsleute von Ibsen, Björnson usw. gern haben. Er wird dabei
von einem französischen Kameraden, der mit vollendeter Kunst geschildert ist,
beiseite geschoben. Der mittlere Abschnitt ist voll von Poesie, gesunder Natur
und reinem Sonnenschein: die erste Zeit der Ehe mit einem norwegischen
Mädchen auf einem Landgut, das dem vom Dienste zurückgezognen zugefallen
ist. Aber nun, nach soviel Glück, wird sie ihm untreu. Ist es die Strafe
für sein früheres Leben oder dafür, daß er eigentlich sie nicht heiraten wollte?
So etwas fühlt der Leser, als der dritte Abschnitt beginnt; dieser schließt ohne
Versöhnung und hat kräftige, ergreifende Striche, nordische Zeichnung, wie wir


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[0479] Moderne Novellen merkt man ja am sichersten beim Übersetzen, ob eine Sache Sinn oder Unsinn ist. Der Übersetzer Hütte getrost noch etwas weiter gehen und etwas deutscher sein können. Wir brauchen wirklich den Franzosen nicht immer im einzelnen über ihre Sprache noch Komplimente zu machen, wo der Sinn aufhört. Die alberne Phrase, die unübersetzbare, wo die weißen Haare des Künstlers Fahnen genannt werden, die vom ersten Tage seines Lebenskampfes an auf seinem Kopfe aufgepflanzt worden seien, ist nicht einmal „aus dem Geiste der fran¬ zösischen Sprache heraus schön gedacht und geschrieben," weil sie in jeder Sprache Blödsinn bedeutet. — N. von Seydlitz, In Licht und Sonne ent¬ halt fünf ganz kurze Erzählungen, von denen sich jede in einem andern Lande zuträgt. Die beste ist die erste, insofern man über sie wenigstens lachen kann; sie ist eine Schnurre, die aber sachlich ganz unmöglich ist. Der Chef der zweitgrößten aller rheinischen Eisenfirmen, der persönlich den ganzen Apparat seines Königreiches leitet, von seiner Seele aus, wie mit dem elektrischen Strom, der aber dennoch eine Depesche aus Porto Felice, die ihm eine Schienenlieferung anbietet, als Einladung einer Primadonna, ihn zu besuchen, auffaßt, der dann vierzehn Tage lang in einem großen italienischen Badehotel sich so ausgesucht einfältig benimmt, daß ihn schließlich seine strenge Ehehälfte Persönlich als begossener Pudel reumütig nach Hause transportiren muß — das giebts nicht, außer etwa in den Fliegenden Blättern. Also es ist eine sehr komische Geschichte. Bei der zweiten und dritten: „Die Braut des Empe- dokles" und „Kujundschik" ist das Komische schon sehr an den Haaren herbei¬ gezogen. „Blind" und die „Letzte Nelke" sind sentimental mit sehr dickem Farbenauftrag. Wir geben zu, daß sich ein Novellist auf weiten Reisen Stosse sammeln kann. Es wird aber bei aller Ausdehnung des Schauplatzes immer hinterher ein wenig mit darauf ankommen, wer es ist, der die Reise ge¬ macht hat. Wilhelm Krag ist als norwegischer Erzähler längst bekannt. Der lustige Leutnant ist ein sehr geistreiches und ernstes, in seinem Schluß sogar trauriges Buch. Wir können uns das Vergnügen einer kurzen Skizze nicht versagen. Der erste Abschnitt führt den norwegischen Leutnant nach Paris auf Urlaub und zu einem kleinen, zu weiter nichts verpflichtenden Verhältnis, wie es auch die Landsleute von Ibsen, Björnson usw. gern haben. Er wird dabei von einem französischen Kameraden, der mit vollendeter Kunst geschildert ist, beiseite geschoben. Der mittlere Abschnitt ist voll von Poesie, gesunder Natur und reinem Sonnenschein: die erste Zeit der Ehe mit einem norwegischen Mädchen auf einem Landgut, das dem vom Dienste zurückgezognen zugefallen ist. Aber nun, nach soviel Glück, wird sie ihm untreu. Ist es die Strafe für sein früheres Leben oder dafür, daß er eigentlich sie nicht heiraten wollte? So etwas fühlt der Leser, als der dritte Abschnitt beginnt; dieser schließt ohne Versöhnung und hat kräftige, ergreifende Striche, nordische Zeichnung, wie wir

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/479>, abgerufen am 01.05.2024.