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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Jeremias Gotthelf
v Adolf Bartels on 4

s bleibt noch übrig, die kleinern Schriften von Bitzius zu be¬
trachten. Sie sind sehr zahlreich, teils mehr poetisch, teils
mehr prosaisch. Zunächst die einzeln erschienenen. "Die Wasser-
nvt im Emmenthal," 1838 vor dem "Schulmeister" herausge¬
geben, dürfte man den prosaischen Schriften zuzuzählen geneigt
sein, da sie die Schilderung eines Naturereignisses mit den für eiuen Prediger
sich ergebenden Nutzanwendungen ist, doch hat schon Keller bemerkt, daß nur
die gereinigte Sprache und das rhythmische Gewand im engern Sinne fehle,
um dies Werk zu einem klassischen, mustergiltigen Gedicht zu machen. Jeden¬
falls ist Größe der Anschauung darin. Die beiden die Branntweinpest be¬
kämpfenden Erzählungen, die ihrem Umfang nach hierher gehörten, sind ihrer
Wichtigkeit wegen schon früher behandelt worden. Ihnen folgte 1840 die
"Armennot," eine prosaische Schrift von bedeutender Tragweite mit fast grä߬
lichen Schilderungen der Sünden der Besitzenden, namentlich an den armen
"Güterbuben," und ganz eigentümlichen Gedanken über das soziale Elend und
seine Abhilfe, die das Werkchen noch heute lesenswert machen. Eine merk¬
würdige Stellung unter Gotthelfs Schriften nimmt der "Sylvestertraum" ein,
1842 herausgegeben. Es ist das lyrischste unter seinen Werken, "die Wehmut,
das tiefe Leiden über das Leiden dieser Welt, möge es seine Quelle in Gottes
Willen, in Mißverständnissen oder in getrübten Seelenzustünden haben," liegt
nach seinen eignen Worten der Dichtung zu Grunde. Den "Knaben des Tell"
schließt man am besten den "Bildern und Sagen aus der Schweiz" wie die
"Zwei Erbvcttern" den "Erzählungen und Bildern aus dem Volksleben der
Schweiz" an, eine besondre Erwähnung darf aber "Doktor Dorbach, der
Wühler" beanspruchen, die ganz vortreffliche Charakteristik eines verkommende"
radikalen Demagogen, der ich von neuern naturalistischen Werken etwa Gerhart
Hauptmanns "Apostel" vergleichen möchte. Endlich sei noch "Hans Jakob
und Heiri oder die beiden Seidenweber" genannt; eine Gelegenheitsschrift, zur
Empfehlung der Sparkassen geschrieben, zeigt das Werkchen doch, daß sich




Jeremias Gotthelf
v Adolf Bartels on 4

s bleibt noch übrig, die kleinern Schriften von Bitzius zu be¬
trachten. Sie sind sehr zahlreich, teils mehr poetisch, teils
mehr prosaisch. Zunächst die einzeln erschienenen. „Die Wasser-
nvt im Emmenthal," 1838 vor dem „Schulmeister" herausge¬
geben, dürfte man den prosaischen Schriften zuzuzählen geneigt
sein, da sie die Schilderung eines Naturereignisses mit den für eiuen Prediger
sich ergebenden Nutzanwendungen ist, doch hat schon Keller bemerkt, daß nur
die gereinigte Sprache und das rhythmische Gewand im engern Sinne fehle,
um dies Werk zu einem klassischen, mustergiltigen Gedicht zu machen. Jeden¬
falls ist Größe der Anschauung darin. Die beiden die Branntweinpest be¬
kämpfenden Erzählungen, die ihrem Umfang nach hierher gehörten, sind ihrer
Wichtigkeit wegen schon früher behandelt worden. Ihnen folgte 1840 die
„Armennot," eine prosaische Schrift von bedeutender Tragweite mit fast grä߬
lichen Schilderungen der Sünden der Besitzenden, namentlich an den armen
„Güterbuben," und ganz eigentümlichen Gedanken über das soziale Elend und
seine Abhilfe, die das Werkchen noch heute lesenswert machen. Eine merk¬
würdige Stellung unter Gotthelfs Schriften nimmt der „Sylvestertraum" ein,
1842 herausgegeben. Es ist das lyrischste unter seinen Werken, „die Wehmut,
das tiefe Leiden über das Leiden dieser Welt, möge es seine Quelle in Gottes
Willen, in Mißverständnissen oder in getrübten Seelenzustünden haben," liegt
nach seinen eignen Worten der Dichtung zu Grunde. Den „Knaben des Tell"
schließt man am besten den „Bildern und Sagen aus der Schweiz" wie die
„Zwei Erbvcttern" den „Erzählungen und Bildern aus dem Volksleben der
Schweiz" an, eine besondre Erwähnung darf aber „Doktor Dorbach, der
Wühler" beanspruchen, die ganz vortreffliche Charakteristik eines verkommende«
radikalen Demagogen, der ich von neuern naturalistischen Werken etwa Gerhart
Hauptmanns „Apostel" vergleichen möchte. Endlich sei noch „Hans Jakob
und Heiri oder die beiden Seidenweber" genannt; eine Gelegenheitsschrift, zur
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[0510] [Abbildung] Jeremias Gotthelf v Adolf Bartels on 4 s bleibt noch übrig, die kleinern Schriften von Bitzius zu be¬ trachten. Sie sind sehr zahlreich, teils mehr poetisch, teils mehr prosaisch. Zunächst die einzeln erschienenen. „Die Wasser- nvt im Emmenthal," 1838 vor dem „Schulmeister" herausge¬ geben, dürfte man den prosaischen Schriften zuzuzählen geneigt sein, da sie die Schilderung eines Naturereignisses mit den für eiuen Prediger sich ergebenden Nutzanwendungen ist, doch hat schon Keller bemerkt, daß nur die gereinigte Sprache und das rhythmische Gewand im engern Sinne fehle, um dies Werk zu einem klassischen, mustergiltigen Gedicht zu machen. Jeden¬ falls ist Größe der Anschauung darin. Die beiden die Branntweinpest be¬ kämpfenden Erzählungen, die ihrem Umfang nach hierher gehörten, sind ihrer Wichtigkeit wegen schon früher behandelt worden. Ihnen folgte 1840 die „Armennot," eine prosaische Schrift von bedeutender Tragweite mit fast grä߬ lichen Schilderungen der Sünden der Besitzenden, namentlich an den armen „Güterbuben," und ganz eigentümlichen Gedanken über das soziale Elend und seine Abhilfe, die das Werkchen noch heute lesenswert machen. Eine merk¬ würdige Stellung unter Gotthelfs Schriften nimmt der „Sylvestertraum" ein, 1842 herausgegeben. Es ist das lyrischste unter seinen Werken, „die Wehmut, das tiefe Leiden über das Leiden dieser Welt, möge es seine Quelle in Gottes Willen, in Mißverständnissen oder in getrübten Seelenzustünden haben," liegt nach seinen eignen Worten der Dichtung zu Grunde. Den „Knaben des Tell" schließt man am besten den „Bildern und Sagen aus der Schweiz" wie die „Zwei Erbvcttern" den „Erzählungen und Bildern aus dem Volksleben der Schweiz" an, eine besondre Erwähnung darf aber „Doktor Dorbach, der Wühler" beanspruchen, die ganz vortreffliche Charakteristik eines verkommende« radikalen Demagogen, der ich von neuern naturalistischen Werken etwa Gerhart Hauptmanns „Apostel" vergleichen möchte. Endlich sei noch „Hans Jakob und Heiri oder die beiden Seidenweber" genannt; eine Gelegenheitsschrift, zur Empfehlung der Sparkassen geschrieben, zeigt das Werkchen doch, daß sich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/510>, abgerufen am 01.05.2024.