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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

hinaus, und den Feinden Deutschlands wird Gelegenheit geboten, über die
Zustünde im deutschen Reich Betrachtungen anzustellen. Das ist bedauerlich,
aber wahre Freunde des Lehrerstandes werden, anstatt auf die diesen Vorfall
ausbeutende Sensationslust zu schelten, hieraus die Mahnung entnehmen, daß
der Lehrerstand im eignen Interesse auf Besserung dringe.


Th. Brix
Maßgebliches und Unmaßgebliches
Bäcker- und Kellnerschutz.

Da der Ansturm der Bäckermeister gegen die
Verordnung des Bundesrath nicht nachläßt, und da dieser nach den mit den Bäckern
gemachten Ersahrungen Bedenken tragen kannte, durch Regelung der Arbeitszeit im
Gastwirtsgewerbe ein zweites Wespennest aufzurühren, so ist es Pflicht der Publi¬
zistik, die Punkte, auf die es ankommt, nachdrücklich hervorzuheben. Die Ver¬
ordnung des Bundesrath vom 4. März 1896 gilt nur für solche Bäckereien und
Konditoreien, die regelmäßig die Reiche hindurch arbeiten. Für diese bestimmt sie,
daß die Arbeitszeit der Gesellen zwölf Stunde", die der Lehrlinge im ersten Jahr
zehn Stunden, im zweiten Jahre elf Stunde" nicht überschreiten darf (wo eine ein¬
stündige Arbeitspause üblich ist, werden dreizehn, zwölf und elf Stunden bewilligt),
daß zwischen je zwei Arbeitsschichten acht Stunden ununterbrochner Ruhe liegen
müssen, und daß einem Gesellen nicht mehr als sieben Schichten in der Woche zu¬
gemutet werde" dürfen. Was besagt diese Vorschrift? Daß eine Grausamkeit
-- und eine solche ist es, wenn man Menschen, namentlich junge Menschen, der
Nachtruhe beraubt -- nicht durch überlange Dauer der Arbeitszeit ius Unerträg¬
liche gesteigert werden darf, und daß die zur Erhaltung des Körpers unbedingt
notwendige Ruhe wenigstens am Tage bewilligt werden soll. Oft geung wird die
Ruhezeit noch nicht einmal auf den notwendigen Schlaf verwendet. Ich traf einmal
Sonntags nachmittags einen Bäckerlehrling auf einer Promenadenbank und fragte
'hu: Müßtest du nicht jetzt eigentlich im Bett liegen? Ja freilich, sagte er, aber
einen so schonen Nachmittag verschläft man doch nicht gern. Die Wirkungen der
Schlafeutziehuug und der Überarbeit (wozu uicht selten Mißhandlungen kommen
^vgen, da ein natürliches Bedürfnis doch nicht anders als gewaltsam überwunden
werden kann) kann sich jeder denken. Vor einigen Jahren schrieb der damalige
Geistliche des Hedwigskrankenhauses in Berlin, Klerlein, an oberschlesische Blätter,
man möge um Gottes willen vor den Agenten warnen, die oberschlesische Knaben
für die Berliner Bäckereien anwarben (kaufen wäre die richtige Bezeichnung, denn
die meist blutarmen Eltern bekommen den Jungen bezahlt), er habe eine Menge
von ihnen im elendesten Zustande im Krankenhause gefunden. Seitdem warnen
ewige rechtschaffne Lokalblätter alljährlich um die Osterzeit vor diesen Agenten.
^ ist schon mehr als dreißig Jahre her, da sagte mir einmal eine großstädtische


Maßgebliches und Unmaßgebliches

hinaus, und den Feinden Deutschlands wird Gelegenheit geboten, über die
Zustünde im deutschen Reich Betrachtungen anzustellen. Das ist bedauerlich,
aber wahre Freunde des Lehrerstandes werden, anstatt auf die diesen Vorfall
ausbeutende Sensationslust zu schelten, hieraus die Mahnung entnehmen, daß
der Lehrerstand im eignen Interesse auf Besserung dringe.


Th. Brix
Maßgebliches und Unmaßgebliches
Bäcker- und Kellnerschutz.

Da der Ansturm der Bäckermeister gegen die
Verordnung des Bundesrath nicht nachläßt, und da dieser nach den mit den Bäckern
gemachten Ersahrungen Bedenken tragen kannte, durch Regelung der Arbeitszeit im
Gastwirtsgewerbe ein zweites Wespennest aufzurühren, so ist es Pflicht der Publi¬
zistik, die Punkte, auf die es ankommt, nachdrücklich hervorzuheben. Die Ver¬
ordnung des Bundesrath vom 4. März 1896 gilt nur für solche Bäckereien und
Konditoreien, die regelmäßig die Reiche hindurch arbeiten. Für diese bestimmt sie,
daß die Arbeitszeit der Gesellen zwölf Stunde», die der Lehrlinge im ersten Jahr
zehn Stunden, im zweiten Jahre elf Stunde» nicht überschreiten darf (wo eine ein¬
stündige Arbeitspause üblich ist, werden dreizehn, zwölf und elf Stunden bewilligt),
daß zwischen je zwei Arbeitsschichten acht Stunden ununterbrochner Ruhe liegen
müssen, und daß einem Gesellen nicht mehr als sieben Schichten in der Woche zu¬
gemutet werde» dürfen. Was besagt diese Vorschrift? Daß eine Grausamkeit
— und eine solche ist es, wenn man Menschen, namentlich junge Menschen, der
Nachtruhe beraubt — nicht durch überlange Dauer der Arbeitszeit ius Unerträg¬
liche gesteigert werden darf, und daß die zur Erhaltung des Körpers unbedingt
notwendige Ruhe wenigstens am Tage bewilligt werden soll. Oft geung wird die
Ruhezeit noch nicht einmal auf den notwendigen Schlaf verwendet. Ich traf einmal
Sonntags nachmittags einen Bäckerlehrling auf einer Promenadenbank und fragte
'hu: Müßtest du nicht jetzt eigentlich im Bett liegen? Ja freilich, sagte er, aber
einen so schonen Nachmittag verschläft man doch nicht gern. Die Wirkungen der
Schlafeutziehuug und der Überarbeit (wozu uicht selten Mißhandlungen kommen
^vgen, da ein natürliches Bedürfnis doch nicht anders als gewaltsam überwunden
werden kann) kann sich jeder denken. Vor einigen Jahren schrieb der damalige
Geistliche des Hedwigskrankenhauses in Berlin, Klerlein, an oberschlesische Blätter,
man möge um Gottes willen vor den Agenten warnen, die oberschlesische Knaben
für die Berliner Bäckereien anwarben (kaufen wäre die richtige Bezeichnung, denn
die meist blutarmen Eltern bekommen den Jungen bezahlt), er habe eine Menge
von ihnen im elendesten Zustande im Krankenhause gefunden. Seitdem warnen
ewige rechtschaffne Lokalblätter alljährlich um die Osterzeit vor diesen Agenten.
^ ist schon mehr als dreißig Jahre her, da sagte mir einmal eine großstädtische


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[0343] Maßgebliches und Unmaßgebliches hinaus, und den Feinden Deutschlands wird Gelegenheit geboten, über die Zustünde im deutschen Reich Betrachtungen anzustellen. Das ist bedauerlich, aber wahre Freunde des Lehrerstandes werden, anstatt auf die diesen Vorfall ausbeutende Sensationslust zu schelten, hieraus die Mahnung entnehmen, daß der Lehrerstand im eignen Interesse auf Besserung dringe. Th. Brix Maßgebliches und Unmaßgebliches Bäcker- und Kellnerschutz. Da der Ansturm der Bäckermeister gegen die Verordnung des Bundesrath nicht nachläßt, und da dieser nach den mit den Bäckern gemachten Ersahrungen Bedenken tragen kannte, durch Regelung der Arbeitszeit im Gastwirtsgewerbe ein zweites Wespennest aufzurühren, so ist es Pflicht der Publi¬ zistik, die Punkte, auf die es ankommt, nachdrücklich hervorzuheben. Die Ver¬ ordnung des Bundesrath vom 4. März 1896 gilt nur für solche Bäckereien und Konditoreien, die regelmäßig die Reiche hindurch arbeiten. Für diese bestimmt sie, daß die Arbeitszeit der Gesellen zwölf Stunde», die der Lehrlinge im ersten Jahr zehn Stunden, im zweiten Jahre elf Stunde» nicht überschreiten darf (wo eine ein¬ stündige Arbeitspause üblich ist, werden dreizehn, zwölf und elf Stunden bewilligt), daß zwischen je zwei Arbeitsschichten acht Stunden ununterbrochner Ruhe liegen müssen, und daß einem Gesellen nicht mehr als sieben Schichten in der Woche zu¬ gemutet werde» dürfen. Was besagt diese Vorschrift? Daß eine Grausamkeit — und eine solche ist es, wenn man Menschen, namentlich junge Menschen, der Nachtruhe beraubt — nicht durch überlange Dauer der Arbeitszeit ius Unerträg¬ liche gesteigert werden darf, und daß die zur Erhaltung des Körpers unbedingt notwendige Ruhe wenigstens am Tage bewilligt werden soll. Oft geung wird die Ruhezeit noch nicht einmal auf den notwendigen Schlaf verwendet. Ich traf einmal Sonntags nachmittags einen Bäckerlehrling auf einer Promenadenbank und fragte 'hu: Müßtest du nicht jetzt eigentlich im Bett liegen? Ja freilich, sagte er, aber einen so schonen Nachmittag verschläft man doch nicht gern. Die Wirkungen der Schlafeutziehuug und der Überarbeit (wozu uicht selten Mißhandlungen kommen ^vgen, da ein natürliches Bedürfnis doch nicht anders als gewaltsam überwunden werden kann) kann sich jeder denken. Vor einigen Jahren schrieb der damalige Geistliche des Hedwigskrankenhauses in Berlin, Klerlein, an oberschlesische Blätter, man möge um Gottes willen vor den Agenten warnen, die oberschlesische Knaben für die Berliner Bäckereien anwarben (kaufen wäre die richtige Bezeichnung, denn die meist blutarmen Eltern bekommen den Jungen bezahlt), er habe eine Menge von ihnen im elendesten Zustande im Krankenhause gefunden. Seitdem warnen ewige rechtschaffne Lokalblätter alljährlich um die Osterzeit vor diesen Agenten. ^ ist schon mehr als dreißig Jahre her, da sagte mir einmal eine großstädtische

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/343>, abgerufen am 05.05.2024.