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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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durch die Angst vor der Strafe so verwirrt sind, daß es die Lösung nicht findet,
die ihm bei verständiger ruhiger Anleitung möglich gewesen wäre. Obgleich
diese Erziehungsmethode offenbar unsinnig ist, geht doch die "lchrerfreundliche"
Darstellung noch jetzt dahin, daß die Anwendung der körperlichen Züchtigung
in diesem Falle berechtigt gewesen sei. Und wenn man auch die Härte der
Züchtigung nicht billigt, macht man als "mildernden Umstand" geltend, daß
der Knabe, indem er Gegenwehr leistete, die Sache verschlimmert und den
traurigen Ausgang gewissermaßen verschuldet habe.

Solche Beschönigungsversuche müssen Unwillen erregen. Dazu, daß
Gegensätze zwischen Schule und Hans, die für den Unterricht so nachteilig
sind, vermieden werden, müssen die Lehrer nicht weniger ihr Teil beitragen
als die Eltern. Über den Wert körperlicher Züchtigungen für die Erziehung
denken gewiß viele Eltern ähnlich wie ich. Ich schlage meine Kinder fast nie,
nicht nur weil es meinem Gefühl widerstrebt, Hand an sie zu legen, sondern
auch, weil ich die abstumpfende Wirkung gewohnheitsmäßiger Körperzüchti¬
gungen, die ich öfter beobachtet habe, fürchte. Ich habe auch schon, solange
mein Sohn die Schule besucht, die günstigen Wirkungen einer verständigen,
freundlichen Behandlung und die einschüchternden, den Fortschritt hemmenden
Wirkungen einer verfehlten Methode an ihm beobachten können. Ich begreife
nicht, daß die Schulmänner so einfache Wahrheiten verkennen können. Auch
macht die hier geübte Nachsicht gegen den Mißbrauch des Züchtigungsrechts
einen um so schlechter!? Eindruck, da gerade jetzt durch die Erörterungen der
Presse bekannt wird, daß in Berlin hinsichtlich der Ausübung des Züch¬
tigungsrechts viel strengere Vorschriften bestehen und dadurch den Ausschrei¬
tungen viel wirksamer vorgebeugt wird als hier, in unmittelbarer Nähe Berlins.
Was ist denn die Duldsamkeit gegen die Prügeleien anders, als das Gewähren¬
lassen einer schlechten Gewohnheit? Denn selbst wenn es wahr wäre, daß der
"Abschaum der großstädtischen Bevölkerung nach den Vororren dringt," so
wäre das kein Grund, die vielen unzweifelhaft achtbaren Bewohner der Vor¬
orte ungünstiger zu stellen als die Berlins. Auch ist die Vorstellung, daß
man schlechterzogne Kinder durch Schläge in der Schule "kuriren" könne, ganz
und gar unzutreffend.

Ein auf Sensationsstoff erpichtes illustrirtes Weltblatt, der Reporter,
hat den Schöneberger Vorfall "ausgeschlachtet." Auf dem diesen Vorfall dar¬
stellenden Bilde ist die Hauptfigur der Lehrer, der, mit stumpfsinnigen, gefühl¬
losen Gesichtszügen, mit modernen Haarlöckchen, stutzerhaft emporgewichstem
Schnurrbärtchen und Augenkneifer, als der echte Typus des blasirten, hoch¬
mütigen Jung-Germanen erscheint, den schwachen hilflosen Knaben gewaltsam
gegen die harte Kante des Schultisches drückt und dabei ein starkes Lineal zur
Züchtigung emporschwingt, während die daneben sitzenden Mitschüler verdutzt
und ängstlich dreinschauen. So wandert Schönebergs Schande in die Welt


durch die Angst vor der Strafe so verwirrt sind, daß es die Lösung nicht findet,
die ihm bei verständiger ruhiger Anleitung möglich gewesen wäre. Obgleich
diese Erziehungsmethode offenbar unsinnig ist, geht doch die „lchrerfreundliche"
Darstellung noch jetzt dahin, daß die Anwendung der körperlichen Züchtigung
in diesem Falle berechtigt gewesen sei. Und wenn man auch die Härte der
Züchtigung nicht billigt, macht man als „mildernden Umstand" geltend, daß
der Knabe, indem er Gegenwehr leistete, die Sache verschlimmert und den
traurigen Ausgang gewissermaßen verschuldet habe.

Solche Beschönigungsversuche müssen Unwillen erregen. Dazu, daß
Gegensätze zwischen Schule und Hans, die für den Unterricht so nachteilig
sind, vermieden werden, müssen die Lehrer nicht weniger ihr Teil beitragen
als die Eltern. Über den Wert körperlicher Züchtigungen für die Erziehung
denken gewiß viele Eltern ähnlich wie ich. Ich schlage meine Kinder fast nie,
nicht nur weil es meinem Gefühl widerstrebt, Hand an sie zu legen, sondern
auch, weil ich die abstumpfende Wirkung gewohnheitsmäßiger Körperzüchti¬
gungen, die ich öfter beobachtet habe, fürchte. Ich habe auch schon, solange
mein Sohn die Schule besucht, die günstigen Wirkungen einer verständigen,
freundlichen Behandlung und die einschüchternden, den Fortschritt hemmenden
Wirkungen einer verfehlten Methode an ihm beobachten können. Ich begreife
nicht, daß die Schulmänner so einfache Wahrheiten verkennen können. Auch
macht die hier geübte Nachsicht gegen den Mißbrauch des Züchtigungsrechts
einen um so schlechter!? Eindruck, da gerade jetzt durch die Erörterungen der
Presse bekannt wird, daß in Berlin hinsichtlich der Ausübung des Züch¬
tigungsrechts viel strengere Vorschriften bestehen und dadurch den Ausschrei¬
tungen viel wirksamer vorgebeugt wird als hier, in unmittelbarer Nähe Berlins.
Was ist denn die Duldsamkeit gegen die Prügeleien anders, als das Gewähren¬
lassen einer schlechten Gewohnheit? Denn selbst wenn es wahr wäre, daß der
„Abschaum der großstädtischen Bevölkerung nach den Vororren dringt," so
wäre das kein Grund, die vielen unzweifelhaft achtbaren Bewohner der Vor¬
orte ungünstiger zu stellen als die Berlins. Auch ist die Vorstellung, daß
man schlechterzogne Kinder durch Schläge in der Schule „kuriren" könne, ganz
und gar unzutreffend.

Ein auf Sensationsstoff erpichtes illustrirtes Weltblatt, der Reporter,
hat den Schöneberger Vorfall „ausgeschlachtet." Auf dem diesen Vorfall dar¬
stellenden Bilde ist die Hauptfigur der Lehrer, der, mit stumpfsinnigen, gefühl¬
losen Gesichtszügen, mit modernen Haarlöckchen, stutzerhaft emporgewichstem
Schnurrbärtchen und Augenkneifer, als der echte Typus des blasirten, hoch¬
mütigen Jung-Germanen erscheint, den schwachen hilflosen Knaben gewaltsam
gegen die harte Kante des Schultisches drückt und dabei ein starkes Lineal zur
Züchtigung emporschwingt, während die daneben sitzenden Mitschüler verdutzt
und ängstlich dreinschauen. So wandert Schönebergs Schande in die Welt


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/342>, abgerufen am 26.05.2024.