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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Das schwarze Zeitalter

sondern widmete sich, abgesehen von einer umfassenden Lektüre, seinen Ämtern,
zuletzt nur noch der Kuratel für die Dorpater Universität, die er mit
Interesse, Verständnis und großem Takt führte. Dann. 1816, gab er auch sie
auf und lebte bis an seinen Tod (1831) im Verkehr mit wenigen Freunden
und bis zuletzt geehrt von den Mitgliedern des Kaiserhauses. Nicht lange vor
ihm starb seine Gönnerin, die Kaiserin-Mutter. Wie er seinen alten Freunden
in Deutschland immer ein warmer und auch helfender Freund war, so lebten
seine Gedanken bis zuletzt in der Heimat, und nach seinem letzten Willen konnte
er mit dem reichen äußern Ertrage seines Lebens, da er nun ohne Leibeserben
war, das Leben der Seinen in dem Lande, von wo er einst ausgezogen war,
A. PH. neu aufbauen.




Das schwarze Zeitalter

le Einfügung des Dampfes und der Elektrizität in die Rüst¬
kammer der menschlichen Willenswerkzeugc ist zwar die eigen¬
tümliche That des neunzehnten Jahrhunderts im Gebiete der
mechanischen Kultur; in demselben Zeitraum hat aber auch die
Verwertung der beiden ältern Erfindungen des Schießpulvers
und der Buchdruckerkunst nicht stillgestanden, und es ist eine offne Frage, ob
nicht namentlich die Verbesserung des Buchdrucks mit ihren vielgestaltigen
Folgen noch größere Umwälzungen hervorgebracht hat als Eisenbahn, Tele¬
graph und Fernsprecher. Überblickt man die Flut von Büchern und Broschüren,
von Zeitungen und Zeitschriften, die jährlich und monatlich, wöchentlich und
täglich die Presse verlassen, bedenkt man dann, welchen gewaltigen Anteil die
auf uns gekommne Litteratur vergangner Zeitalter zu dem geistigen Verbrauch
der Gegenwart beisteuert, so möchte man glauben, daß der moderne Mensch
wenigstens die Hälfte seines Tages mit Lesen verbringe.

Zum Teil findet ja die reißende Vermehrung der Geisteserzeugnisse einen
Ausgleich in der Abnahme ihres Umfangs. In launiger Weise hat unlängst
Friedrich Spielhagen der Wandlung gedacht, die in dieser Richtung während
der letzten Jahrzehnte vor sich gegangen ist. Er dürfte nicht mehr daran
denken, klagte er, Romane von dem Umfang seiner Erstlingswerke zu veröffent¬
lichen, die sich doch zu der Zeit ihres Erscheinens neben den Monstreromcmen
eines Gutzkow bescheiden genug ausgenommen hätten. Wir Jüngern haben
den Fortgang dieser Verflachung beobachten können. Wer liest noch Auerbachs


Das schwarze Zeitalter

sondern widmete sich, abgesehen von einer umfassenden Lektüre, seinen Ämtern,
zuletzt nur noch der Kuratel für die Dorpater Universität, die er mit
Interesse, Verständnis und großem Takt führte. Dann. 1816, gab er auch sie
auf und lebte bis an seinen Tod (1831) im Verkehr mit wenigen Freunden
und bis zuletzt geehrt von den Mitgliedern des Kaiserhauses. Nicht lange vor
ihm starb seine Gönnerin, die Kaiserin-Mutter. Wie er seinen alten Freunden
in Deutschland immer ein warmer und auch helfender Freund war, so lebten
seine Gedanken bis zuletzt in der Heimat, und nach seinem letzten Willen konnte
er mit dem reichen äußern Ertrage seines Lebens, da er nun ohne Leibeserben
war, das Leben der Seinen in dem Lande, von wo er einst ausgezogen war,
A. PH. neu aufbauen.




Das schwarze Zeitalter

le Einfügung des Dampfes und der Elektrizität in die Rüst¬
kammer der menschlichen Willenswerkzeugc ist zwar die eigen¬
tümliche That des neunzehnten Jahrhunderts im Gebiete der
mechanischen Kultur; in demselben Zeitraum hat aber auch die
Verwertung der beiden ältern Erfindungen des Schießpulvers
und der Buchdruckerkunst nicht stillgestanden, und es ist eine offne Frage, ob
nicht namentlich die Verbesserung des Buchdrucks mit ihren vielgestaltigen
Folgen noch größere Umwälzungen hervorgebracht hat als Eisenbahn, Tele¬
graph und Fernsprecher. Überblickt man die Flut von Büchern und Broschüren,
von Zeitungen und Zeitschriften, die jährlich und monatlich, wöchentlich und
täglich die Presse verlassen, bedenkt man dann, welchen gewaltigen Anteil die
auf uns gekommne Litteratur vergangner Zeitalter zu dem geistigen Verbrauch
der Gegenwart beisteuert, so möchte man glauben, daß der moderne Mensch
wenigstens die Hälfte seines Tages mit Lesen verbringe.

Zum Teil findet ja die reißende Vermehrung der Geisteserzeugnisse einen
Ausgleich in der Abnahme ihres Umfangs. In launiger Weise hat unlängst
Friedrich Spielhagen der Wandlung gedacht, die in dieser Richtung während
der letzten Jahrzehnte vor sich gegangen ist. Er dürfte nicht mehr daran
denken, klagte er, Romane von dem Umfang seiner Erstlingswerke zu veröffent¬
lichen, die sich doch zu der Zeit ihres Erscheinens neben den Monstreromcmen
eines Gutzkow bescheiden genug ausgenommen hätten. Wir Jüngern haben
den Fortgang dieser Verflachung beobachten können. Wer liest noch Auerbachs


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[0044] Das schwarze Zeitalter sondern widmete sich, abgesehen von einer umfassenden Lektüre, seinen Ämtern, zuletzt nur noch der Kuratel für die Dorpater Universität, die er mit Interesse, Verständnis und großem Takt führte. Dann. 1816, gab er auch sie auf und lebte bis an seinen Tod (1831) im Verkehr mit wenigen Freunden und bis zuletzt geehrt von den Mitgliedern des Kaiserhauses. Nicht lange vor ihm starb seine Gönnerin, die Kaiserin-Mutter. Wie er seinen alten Freunden in Deutschland immer ein warmer und auch helfender Freund war, so lebten seine Gedanken bis zuletzt in der Heimat, und nach seinem letzten Willen konnte er mit dem reichen äußern Ertrage seines Lebens, da er nun ohne Leibeserben war, das Leben der Seinen in dem Lande, von wo er einst ausgezogen war, A. PH. neu aufbauen. Das schwarze Zeitalter le Einfügung des Dampfes und der Elektrizität in die Rüst¬ kammer der menschlichen Willenswerkzeugc ist zwar die eigen¬ tümliche That des neunzehnten Jahrhunderts im Gebiete der mechanischen Kultur; in demselben Zeitraum hat aber auch die Verwertung der beiden ältern Erfindungen des Schießpulvers und der Buchdruckerkunst nicht stillgestanden, und es ist eine offne Frage, ob nicht namentlich die Verbesserung des Buchdrucks mit ihren vielgestaltigen Folgen noch größere Umwälzungen hervorgebracht hat als Eisenbahn, Tele¬ graph und Fernsprecher. Überblickt man die Flut von Büchern und Broschüren, von Zeitungen und Zeitschriften, die jährlich und monatlich, wöchentlich und täglich die Presse verlassen, bedenkt man dann, welchen gewaltigen Anteil die auf uns gekommne Litteratur vergangner Zeitalter zu dem geistigen Verbrauch der Gegenwart beisteuert, so möchte man glauben, daß der moderne Mensch wenigstens die Hälfte seines Tages mit Lesen verbringe. Zum Teil findet ja die reißende Vermehrung der Geisteserzeugnisse einen Ausgleich in der Abnahme ihres Umfangs. In launiger Weise hat unlängst Friedrich Spielhagen der Wandlung gedacht, die in dieser Richtung während der letzten Jahrzehnte vor sich gegangen ist. Er dürfte nicht mehr daran denken, klagte er, Romane von dem Umfang seiner Erstlingswerke zu veröffent¬ lichen, die sich doch zu der Zeit ihres Erscheinens neben den Monstreromcmen eines Gutzkow bescheiden genug ausgenommen hätten. Wir Jüngern haben den Fortgang dieser Verflachung beobachten können. Wer liest noch Auerbachs

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/44>, abgerufen am 06.05.2024.