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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Aus Maximilian Klingers Leben

In zwei Briefen an Nicolovius heißt es über Preußens Beruf in Deutsch-
land. zuerst 1808: "Wie viel ich um Preußens willen, aus meiner deutsch-
Protestantischen Ansicht betrachtet und aus meinem Haß gegen Geistesdespo¬
tismus, gelitten habe und wegen der Zukunft noch leide, kann ich Ihnen nicht
sagen. In Ihrem Vaterland allein sah ich immer noch Sicherheit für freie,
männliche Denkungsart und ihren Ausdruck, Vereinigungspunkt gegen dummen,
österreichischen Despotismus, wenn die Zukunft sich ändert, und ich will es
noch hoffen, weil ich den entgegengesetzten Gedanken nicht ertragen kann."
Und 1818 heißt es: "Besonders nehme ich Anteil an euch und euerm lang¬
gezognen Bezirk, der eine wahre politische Musterkarte vorstellen kann. Und
so habe ich gleichwohl die Täuschung oder Meinung, daß ihr trotzdem für
euch und die andern sehr viel sein könnt, wenn ihr nur wollt und das be¬
nutzet, was euch die Vorfahren vorbereitet und als Erbschaft hinterlassen haben,
und das jetzt Narren mißkennen wollen und die, gelänge es ihnen, euch um
eben das bringen würden, wodurch ihr etwas wäret und wieder recht sein
könnt, was ihr wäret. . . . Und so sage ich. ich hoffe wirklich und hoffe von
euch allein Heil für meine Brüder, für meine Deutschen, deren Beispiel zu
sein euch Pflicht. Selbsterhaltung. Religion und Politik gebietet."

Endlich mag noch auf ein paar Äußerungen in Briefen an Nicolovius
und Wolzogen aus dem Jahre 1808 über die perfide englische Politik seit 1791
hingewiesen werden. ..die schon damals das Gegenspiel nach ihrem Kalkül an¬
gegeben" hätte, und deren Zerschmetterung durch "des herrschenden Teufels
Werk," das die Mächtigen und die Kaufleute mit ihrem Golddurst von Anfang an
bis heute befördert hätten, er noch erleben möchte. Diese Äußerungen können
die Zeichnung berichtigen, die Gervinus von deu Politiker Klinger gegeben hat.
Gervinus erklärt nämlich Klingers Abneigung gegen das "erste Bürgervolk
des neuen Europas" aus Sympathie sür Rußland. Von solcher aber hatte
Klinger eher das Gegenteil, und weil sich Gervinus in die Vorliebe für fein
Bürgervolk verrannt hatte, so konstruirte er, wenn er in seiner Litteratur¬
historie das Politische berührte, und so anch hier bei Klinger unverdrossen
weiter, und man muß dann nachträglich immer solche Stücke, weil sie nichts
wert sind, aus einer übrigens guten und fein antithetisch gebauten Charakteristik
herausnehmen. Der Dichter ist also in diesem Falle ein besserer Politiker, als
der politische Historiker.

Klingers späteres Leben wurde immer ernster und einsamer. Die Hoff-
nung, nach Deutschland zurückkehren zu können, hatte er schon 1802 aufgegeben.
Selbst eine Reise dahin, die er von Jahr zu Jahr verschob, war nicht mehr
ausführbar, seit sein einziger Sohn gestorben und die Mutter durch diesen
Verlust in ein schweres und nie wieder gehendes Siechtum verfallen war.
Dennoch überlebte sie den Gatten noch zwölf Jahre. Seit er die neue Aus¬
gabe seiner Werke vorbereitet hatte, war er nicht mehr litterarisch thätig,


Aus Maximilian Klingers Leben

In zwei Briefen an Nicolovius heißt es über Preußens Beruf in Deutsch-
land. zuerst 1808: „Wie viel ich um Preußens willen, aus meiner deutsch-
Protestantischen Ansicht betrachtet und aus meinem Haß gegen Geistesdespo¬
tismus, gelitten habe und wegen der Zukunft noch leide, kann ich Ihnen nicht
sagen. In Ihrem Vaterland allein sah ich immer noch Sicherheit für freie,
männliche Denkungsart und ihren Ausdruck, Vereinigungspunkt gegen dummen,
österreichischen Despotismus, wenn die Zukunft sich ändert, und ich will es
noch hoffen, weil ich den entgegengesetzten Gedanken nicht ertragen kann."
Und 1818 heißt es: „Besonders nehme ich Anteil an euch und euerm lang¬
gezognen Bezirk, der eine wahre politische Musterkarte vorstellen kann. Und
so habe ich gleichwohl die Täuschung oder Meinung, daß ihr trotzdem für
euch und die andern sehr viel sein könnt, wenn ihr nur wollt und das be¬
nutzet, was euch die Vorfahren vorbereitet und als Erbschaft hinterlassen haben,
und das jetzt Narren mißkennen wollen und die, gelänge es ihnen, euch um
eben das bringen würden, wodurch ihr etwas wäret und wieder recht sein
könnt, was ihr wäret. . . . Und so sage ich. ich hoffe wirklich und hoffe von
euch allein Heil für meine Brüder, für meine Deutschen, deren Beispiel zu
sein euch Pflicht. Selbsterhaltung. Religion und Politik gebietet."

Endlich mag noch auf ein paar Äußerungen in Briefen an Nicolovius
und Wolzogen aus dem Jahre 1808 über die perfide englische Politik seit 1791
hingewiesen werden. ..die schon damals das Gegenspiel nach ihrem Kalkül an¬
gegeben" hätte, und deren Zerschmetterung durch „des herrschenden Teufels
Werk," das die Mächtigen und die Kaufleute mit ihrem Golddurst von Anfang an
bis heute befördert hätten, er noch erleben möchte. Diese Äußerungen können
die Zeichnung berichtigen, die Gervinus von deu Politiker Klinger gegeben hat.
Gervinus erklärt nämlich Klingers Abneigung gegen das „erste Bürgervolk
des neuen Europas" aus Sympathie sür Rußland. Von solcher aber hatte
Klinger eher das Gegenteil, und weil sich Gervinus in die Vorliebe für fein
Bürgervolk verrannt hatte, so konstruirte er, wenn er in seiner Litteratur¬
historie das Politische berührte, und so anch hier bei Klinger unverdrossen
weiter, und man muß dann nachträglich immer solche Stücke, weil sie nichts
wert sind, aus einer übrigens guten und fein antithetisch gebauten Charakteristik
herausnehmen. Der Dichter ist also in diesem Falle ein besserer Politiker, als
der politische Historiker.

Klingers späteres Leben wurde immer ernster und einsamer. Die Hoff-
nung, nach Deutschland zurückkehren zu können, hatte er schon 1802 aufgegeben.
Selbst eine Reise dahin, die er von Jahr zu Jahr verschob, war nicht mehr
ausführbar, seit sein einziger Sohn gestorben und die Mutter durch diesen
Verlust in ein schweres und nie wieder gehendes Siechtum verfallen war.
Dennoch überlebte sie den Gatten noch zwölf Jahre. Seit er die neue Aus¬
gabe seiner Werke vorbereitet hatte, war er nicht mehr litterarisch thätig,


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[0043] Aus Maximilian Klingers Leben In zwei Briefen an Nicolovius heißt es über Preußens Beruf in Deutsch- land. zuerst 1808: „Wie viel ich um Preußens willen, aus meiner deutsch- Protestantischen Ansicht betrachtet und aus meinem Haß gegen Geistesdespo¬ tismus, gelitten habe und wegen der Zukunft noch leide, kann ich Ihnen nicht sagen. In Ihrem Vaterland allein sah ich immer noch Sicherheit für freie, männliche Denkungsart und ihren Ausdruck, Vereinigungspunkt gegen dummen, österreichischen Despotismus, wenn die Zukunft sich ändert, und ich will es noch hoffen, weil ich den entgegengesetzten Gedanken nicht ertragen kann." Und 1818 heißt es: „Besonders nehme ich Anteil an euch und euerm lang¬ gezognen Bezirk, der eine wahre politische Musterkarte vorstellen kann. Und so habe ich gleichwohl die Täuschung oder Meinung, daß ihr trotzdem für euch und die andern sehr viel sein könnt, wenn ihr nur wollt und das be¬ nutzet, was euch die Vorfahren vorbereitet und als Erbschaft hinterlassen haben, und das jetzt Narren mißkennen wollen und die, gelänge es ihnen, euch um eben das bringen würden, wodurch ihr etwas wäret und wieder recht sein könnt, was ihr wäret. . . . Und so sage ich. ich hoffe wirklich und hoffe von euch allein Heil für meine Brüder, für meine Deutschen, deren Beispiel zu sein euch Pflicht. Selbsterhaltung. Religion und Politik gebietet." Endlich mag noch auf ein paar Äußerungen in Briefen an Nicolovius und Wolzogen aus dem Jahre 1808 über die perfide englische Politik seit 1791 hingewiesen werden. ..die schon damals das Gegenspiel nach ihrem Kalkül an¬ gegeben" hätte, und deren Zerschmetterung durch „des herrschenden Teufels Werk," das die Mächtigen und die Kaufleute mit ihrem Golddurst von Anfang an bis heute befördert hätten, er noch erleben möchte. Diese Äußerungen können die Zeichnung berichtigen, die Gervinus von deu Politiker Klinger gegeben hat. Gervinus erklärt nämlich Klingers Abneigung gegen das „erste Bürgervolk des neuen Europas" aus Sympathie sür Rußland. Von solcher aber hatte Klinger eher das Gegenteil, und weil sich Gervinus in die Vorliebe für fein Bürgervolk verrannt hatte, so konstruirte er, wenn er in seiner Litteratur¬ historie das Politische berührte, und so anch hier bei Klinger unverdrossen weiter, und man muß dann nachträglich immer solche Stücke, weil sie nichts wert sind, aus einer übrigens guten und fein antithetisch gebauten Charakteristik herausnehmen. Der Dichter ist also in diesem Falle ein besserer Politiker, als der politische Historiker. Klingers späteres Leben wurde immer ernster und einsamer. Die Hoff- nung, nach Deutschland zurückkehren zu können, hatte er schon 1802 aufgegeben. Selbst eine Reise dahin, die er von Jahr zu Jahr verschob, war nicht mehr ausführbar, seit sein einziger Sohn gestorben und die Mutter durch diesen Verlust in ein schweres und nie wieder gehendes Siechtum verfallen war. Dennoch überlebte sie den Gatten noch zwölf Jahre. Seit er die neue Aus¬ gabe seiner Werke vorbereitet hatte, war er nicht mehr litterarisch thätig,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/43>, abgerufen am 19.05.2024.