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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Zur Weihnachtszeit

Wie wenig jene ganze Episode für die Kunstgeschichte zu bedeuten hatte. Am
besten wird man darum wohl bei Pfannschmidt von einer "angewandten" Kunst
reden, aber sich dabei gegenwärtig halten müssen, daß sie ihrer ganzen Erscheinung
nach eine auf die glücklichste Weise angewandte Kunst ist.

Wir wollten bei der Besprechung des schönen Buches auf deu Kern der Sache
eingehen; wir glauben ihm dadurch würdigere Leser zuzuführen, als wenn wir die
Hauptfrage umgangen oder in einem allgemeinen Lobe erstickt Hütten. Wir müssen
uns versagen, einzelnes ans dem Jugendleben, über deu Charakter des Mannes, über
das wundervolle Familienleben in jener vierzig Jahre laug bewohnten dritten Etage
mitzuteilen. Durch diesen Inhalt ist das Buch ein wahres Familienbuch, und von
dieser Seite her wird den Mann ohne Frage auch mancher lieb gewinnen, der
bisher an seinen Werken achtlos vorübergegangen ist. Auch die Reiseberichte ent¬
halten einzelnes, was noch heute interessant ist. Wir selbst haben daraus z. B.
gelernt, daß es Pfannschinidt war, der als Fünfnndzwanzigjähriger auf seiner ersten
italienische" Studienreise zusammen mit Bolle die Fresken Fiesoles nud Luca
Signorellis im Dom zu Orvieto zuerst durch Abreiben mit Brot und dnrch Ab¬
waschen mit Wasser von vielhundertjährigen Staub und Nuß gereinigt hat.




Zur Weihnachtszeit
Sophus Bauditz. Erzählung von Übersetzt von Mathilde Mann
(Schluß)

el Tcigesaubruch wurden wir geweckt. Der Baron war längst ge¬
stiefelt und gespornt, wir andern versammelten uns allmählich.

Wie schön our es draußen! In der Nacht war ein klein wenig
Schnee gefallen, aber nur so viel, daß er als Reis auf deu blau¬
grünen Wachholdersträuchen lag und die Nadeln der Tannen über-
pnderte. Klarer, blauer Himmel, stiller Frost, und nur drei Farben
in der ganzen Landschaft! Weiß, Grün und Rot -- alle Holzhäuser dunkelrot.

Die Treiber waren schlachtbereit aufgestellt, wurden von Hvlgersen gemustert
und durch einen Morgcnschnaps aufgemuntert; wir nahmen Abschied von den Damen
-- Rask sah Anna lange nach -- und gingen dann an den See hinab, wo wir
die beiden Aufseher, den schwedischen und deu dänischen, treffen sollten.

Eine große Bucht des Sees schneidet hier ein; da liegt eine Insel neben der
andern -- für jeden Tag des Jahres eine, wie es heißt --, und eine Landzunge
neben der andern. Alles waldbedeckt nud wild wie die Verzweigungen des Jse-
fjords. In weiter Ferne krächzt ein Rabe, ein Hase flüchtet über das Eis nach
dem nächsten Werber -- wo aber bleiben die beiden Waldhüter? Endlich erblickt
man einen dunkeln Fleck jenseits des Sees, und als er näher herankommt, kann
einer der Treiber erkennen, daß es Calle ist. Nach einer Weile bemerkt man, daß
er einen Handschlitten zieht, dann kann man sehen, daß in diesem Schlitten jemand
sitzt, und noch einen Augenblick später sind alle Sachverständigen darüber einig,


Zur Weihnachtszeit

Wie wenig jene ganze Episode für die Kunstgeschichte zu bedeuten hatte. Am
besten wird man darum wohl bei Pfannschmidt von einer „angewandten" Kunst
reden, aber sich dabei gegenwärtig halten müssen, daß sie ihrer ganzen Erscheinung
nach eine auf die glücklichste Weise angewandte Kunst ist.

Wir wollten bei der Besprechung des schönen Buches auf deu Kern der Sache
eingehen; wir glauben ihm dadurch würdigere Leser zuzuführen, als wenn wir die
Hauptfrage umgangen oder in einem allgemeinen Lobe erstickt Hütten. Wir müssen
uns versagen, einzelnes ans dem Jugendleben, über deu Charakter des Mannes, über
das wundervolle Familienleben in jener vierzig Jahre laug bewohnten dritten Etage
mitzuteilen. Durch diesen Inhalt ist das Buch ein wahres Familienbuch, und von
dieser Seite her wird den Mann ohne Frage auch mancher lieb gewinnen, der
bisher an seinen Werken achtlos vorübergegangen ist. Auch die Reiseberichte ent¬
halten einzelnes, was noch heute interessant ist. Wir selbst haben daraus z. B.
gelernt, daß es Pfannschinidt war, der als Fünfnndzwanzigjähriger auf seiner ersten
italienische» Studienreise zusammen mit Bolle die Fresken Fiesoles nud Luca
Signorellis im Dom zu Orvieto zuerst durch Abreiben mit Brot und dnrch Ab¬
waschen mit Wasser von vielhundertjährigen Staub und Nuß gereinigt hat.




Zur Weihnachtszeit
Sophus Bauditz. Erzählung von Übersetzt von Mathilde Mann
(Schluß)

el Tcigesaubruch wurden wir geweckt. Der Baron war längst ge¬
stiefelt und gespornt, wir andern versammelten uns allmählich.

Wie schön our es draußen! In der Nacht war ein klein wenig
Schnee gefallen, aber nur so viel, daß er als Reis auf deu blau¬
grünen Wachholdersträuchen lag und die Nadeln der Tannen über-
pnderte. Klarer, blauer Himmel, stiller Frost, und nur drei Farben
in der ganzen Landschaft! Weiß, Grün und Rot — alle Holzhäuser dunkelrot.

Die Treiber waren schlachtbereit aufgestellt, wurden von Hvlgersen gemustert
und durch einen Morgcnschnaps aufgemuntert; wir nahmen Abschied von den Damen
— Rask sah Anna lange nach — und gingen dann an den See hinab, wo wir
die beiden Aufseher, den schwedischen und deu dänischen, treffen sollten.

Eine große Bucht des Sees schneidet hier ein; da liegt eine Insel neben der
andern — für jeden Tag des Jahres eine, wie es heißt —, und eine Landzunge
neben der andern. Alles waldbedeckt nud wild wie die Verzweigungen des Jse-
fjords. In weiter Ferne krächzt ein Rabe, ein Hase flüchtet über das Eis nach
dem nächsten Werber — wo aber bleiben die beiden Waldhüter? Endlich erblickt
man einen dunkeln Fleck jenseits des Sees, und als er näher herankommt, kann
einer der Treiber erkennen, daß es Calle ist. Nach einer Weile bemerkt man, daß
er einen Handschlitten zieht, dann kann man sehen, daß in diesem Schlitten jemand
sitzt, und noch einen Augenblick später sind alle Sachverständigen darüber einig,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/649>, abgerufen am 06.05.2024.