Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Bauerngüter und Großbetriebe in der Landwirtschaft

lichen, ganz gewaltig zurückstehen. Das bedeutet, daß im großen und ganzen
das landwirtschaftliche Gewerbe nur ausnahmsweise von Leuten mit höherer
Bildung und höhern Lebensansprüchen betrieben, und das platte Land nur
sehr spärlich von solchen bewohnt wird. Das soll um Gottes willen keine Mi߬
achtung der Bauern bedeuten. Sie sind heute in der Mode, und Worbswede
ist doch auch viel schöner als Berlin, und die schmeisset hat mehr Erdgeruch
als Wiesbaden. Der Politiker, auch der Wirtschafts- und Sozialpolitiker,
wird aber doch nicht ganz übersehen dürfen, daß das bäuerliche Gepräge unsers
landwirtschaftlichen Gewerbes gewisse Eigentümlichkeiten der politischen, wirt¬
schaftlichen und sozialen Urteilsfähigkeit im Gefolge haben könnte, die für eine
verständige Verteilung des Einflusses im Staat und im Reich unter Umständen
nicht ganz ohne Interesse wären. Freilich wird es immer darauf ankommen,
wer die Bildung auf dem Lande vertritt und sich auf die Bauerndemagogie
versteht: der agrarische Junker und Bauernbündler oder der ultramontane
Beichtvater, vielleicht auch einmal der sozialdemokratische Wühler. Wer den
"Reichsgedanken" hochhält, der darf auch einmal daran denken.


2

Wie diese Verhältnisse im Auslande liegen, darüber mögen folgende kurze
Mitteilungen einigen Aufschluß geben, wenn auch das Zahlenwerk unter sich
und mit dem deutschen nicht streng vergleichbar ist.*)

In Frankreich haben sich bei der Agrarenauete von 1892 für die,
übrigens nach der Gesamtfläche begrenzten, Größenklassen folgende Zahlen
ergeben:

Zahl Gesamtfläche
absolutin
Prozentabsolut
d"in
Prozent
Ires xotitos oulwros (unter 1 da)223540539,2013272532,69
?stiess vulwrss (1--10 Im) . .261755745,901124475022,69
Uo^ounss vvltnrss (10--40 da) .71111812,471431341728,99
6rsMs8 eulturss (über 4V da)1386712,4322493 39345,55
zusammen....... 57027525702752100,004" 378 813100,00

Mit den deutschen sind diese Zahlen nicht vergleichbar, schon weil den
Größenklassen die Gesamtfläche zu Grunde liegt. Sie lassen aber erkennen,
daß auch in Frankreich von einem Übermaß der Zwergwirtschaft gegenüber der
Vauernwirtschaft uicht wohl die Rede sein kann- Betriebe mit mehr als hundert
Hektar Gesamtfläche find auch in Frankreich über 30000 gezählt worden
(0,51 Prozent aller Betriebe), während in Deutschland Betriebe mit hundert



*) Österreich will erst eine amtliche Betriebsstatistik herstellen, Ungarn hat dies 1896
gethan, aber die Ergebnisse noch nicht veröffentlicht. In der Schweiz hat der Kanton Zürich
1886 und 1806 eine ausgenommen, auch Bern und Aargau haben ähnliche Erhebungen ver¬
anstaltet. Italien ist trotz seiner großen Agrarenquete der siebziger Jahre zu keiner brauchbaren
Betriebsstatistik gelangt. Spanien und Portugal haben nichts dergleichen, Osteuropa nichts
brauchbares.
Bauerngüter und Großbetriebe in der Landwirtschaft

lichen, ganz gewaltig zurückstehen. Das bedeutet, daß im großen und ganzen
das landwirtschaftliche Gewerbe nur ausnahmsweise von Leuten mit höherer
Bildung und höhern Lebensansprüchen betrieben, und das platte Land nur
sehr spärlich von solchen bewohnt wird. Das soll um Gottes willen keine Mi߬
achtung der Bauern bedeuten. Sie sind heute in der Mode, und Worbswede
ist doch auch viel schöner als Berlin, und die schmeisset hat mehr Erdgeruch
als Wiesbaden. Der Politiker, auch der Wirtschafts- und Sozialpolitiker,
wird aber doch nicht ganz übersehen dürfen, daß das bäuerliche Gepräge unsers
landwirtschaftlichen Gewerbes gewisse Eigentümlichkeiten der politischen, wirt¬
schaftlichen und sozialen Urteilsfähigkeit im Gefolge haben könnte, die für eine
verständige Verteilung des Einflusses im Staat und im Reich unter Umständen
nicht ganz ohne Interesse wären. Freilich wird es immer darauf ankommen,
wer die Bildung auf dem Lande vertritt und sich auf die Bauerndemagogie
versteht: der agrarische Junker und Bauernbündler oder der ultramontane
Beichtvater, vielleicht auch einmal der sozialdemokratische Wühler. Wer den
„Reichsgedanken" hochhält, der darf auch einmal daran denken.


2

Wie diese Verhältnisse im Auslande liegen, darüber mögen folgende kurze
Mitteilungen einigen Aufschluß geben, wenn auch das Zahlenwerk unter sich
und mit dem deutschen nicht streng vergleichbar ist.*)

In Frankreich haben sich bei der Agrarenauete von 1892 für die,
übrigens nach der Gesamtfläche begrenzten, Größenklassen folgende Zahlen
ergeben:

Zahl Gesamtfläche
absolutin
Prozentabsolut
d»in
Prozent
Ires xotitos oulwros (unter 1 da)223540539,2013272532,69
?stiess vulwrss (1—10 Im) . .261755745,901124475022,69
Uo^ounss vvltnrss (10—40 da) .71111812,471431341728,99
6rsMs8 eulturss (über 4V da)1386712,4322493 39345,55
zusammen....... 57027525702752100,004» 378 813100,00

Mit den deutschen sind diese Zahlen nicht vergleichbar, schon weil den
Größenklassen die Gesamtfläche zu Grunde liegt. Sie lassen aber erkennen,
daß auch in Frankreich von einem Übermaß der Zwergwirtschaft gegenüber der
Vauernwirtschaft uicht wohl die Rede sein kann- Betriebe mit mehr als hundert
Hektar Gesamtfläche find auch in Frankreich über 30000 gezählt worden
(0,51 Prozent aller Betriebe), während in Deutschland Betriebe mit hundert



*) Österreich will erst eine amtliche Betriebsstatistik herstellen, Ungarn hat dies 1896
gethan, aber die Ergebnisse noch nicht veröffentlicht. In der Schweiz hat der Kanton Zürich
1886 und 1806 eine ausgenommen, auch Bern und Aargau haben ähnliche Erhebungen ver¬
anstaltet. Italien ist trotz seiner großen Agrarenquete der siebziger Jahre zu keiner brauchbaren
Betriebsstatistik gelangt. Spanien und Portugal haben nichts dergleichen, Osteuropa nichts
brauchbares.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0157" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/228459"/>
            <fw type="header" place="top"> Bauerngüter und Großbetriebe in der Landwirtschaft</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_487" prev="#ID_486"> lichen, ganz gewaltig zurückstehen. Das bedeutet, daß im großen und ganzen<lb/>
das landwirtschaftliche Gewerbe nur ausnahmsweise von Leuten mit höherer<lb/>
Bildung und höhern Lebensansprüchen betrieben, und das platte Land nur<lb/>
sehr spärlich von solchen bewohnt wird. Das soll um Gottes willen keine Mi߬<lb/>
achtung der Bauern bedeuten. Sie sind heute in der Mode, und Worbswede<lb/>
ist doch auch viel schöner als Berlin, und die schmeisset hat mehr Erdgeruch<lb/>
als Wiesbaden. Der Politiker, auch der Wirtschafts- und Sozialpolitiker,<lb/>
wird aber doch nicht ganz übersehen dürfen, daß das bäuerliche Gepräge unsers<lb/>
landwirtschaftlichen Gewerbes gewisse Eigentümlichkeiten der politischen, wirt¬<lb/>
schaftlichen und sozialen Urteilsfähigkeit im Gefolge haben könnte, die für eine<lb/>
verständige Verteilung des Einflusses im Staat und im Reich unter Umständen<lb/>
nicht ganz ohne Interesse wären. Freilich wird es immer darauf ankommen,<lb/>
wer die Bildung auf dem Lande vertritt und sich auf die Bauerndemagogie<lb/>
versteht: der agrarische Junker und Bauernbündler oder der ultramontane<lb/>
Beichtvater, vielleicht auch einmal der sozialdemokratische Wühler. Wer den<lb/>
&#x201E;Reichsgedanken" hochhält, der darf auch einmal daran denken.</p><lb/>
          </div>
          <div n="2">
            <head> 2</head><lb/>
            <p xml:id="ID_488"> Wie diese Verhältnisse im Auslande liegen, darüber mögen folgende kurze<lb/>
Mitteilungen einigen Aufschluß geben, wenn auch das Zahlenwerk unter sich<lb/>
und mit dem deutschen nicht streng vergleichbar ist.*)</p><lb/>
            <p xml:id="ID_489"> In Frankreich haben sich bei der Agrarenauete von 1892 für die,<lb/>
übrigens nach der Gesamtfläche begrenzten, Größenklassen folgende Zahlen<lb/>
ergeben:</p><lb/>
            <list>
              <item> Zahl Gesamtfläche</item>
              <item> absolutin<lb/>
Prozentabsolut<lb/>
d»in<lb/>
Prozent</item>
              <item> Ires xotitos oulwros (unter 1 da)223540539,2013272532,69</item>
              <item> ?stiess vulwrss (1&#x2014;10 Im) . .261755745,901124475022,69</item>
              <item> Uo^ounss vvltnrss (10&#x2014;40 da) .71111812,471431341728,99</item>
              <item> 6rsMs8 eulturss (über 4V da)1386712,4322493 39345,55</item>
              <item> zusammen....... 57027525702752100,004» 378 813100,00</item>
            </list><lb/>
            <p xml:id="ID_490" next="#ID_491"> Mit den deutschen sind diese Zahlen nicht vergleichbar, schon weil den<lb/>
Größenklassen die Gesamtfläche zu Grunde liegt. Sie lassen aber erkennen,<lb/>
daß auch in Frankreich von einem Übermaß der Zwergwirtschaft gegenüber der<lb/>
Vauernwirtschaft uicht wohl die Rede sein kann- Betriebe mit mehr als hundert<lb/>
Hektar Gesamtfläche find auch in Frankreich über 30000 gezählt worden<lb/>
(0,51 Prozent aller Betriebe), während in Deutschland Betriebe mit hundert</p><lb/>
            <note xml:id="FID_33" place="foot"> *) Österreich will erst eine amtliche Betriebsstatistik herstellen, Ungarn hat dies 1896<lb/>
gethan, aber die Ergebnisse noch nicht veröffentlicht. In der Schweiz hat der Kanton Zürich<lb/>
1886 und 1806 eine ausgenommen, auch Bern und Aargau haben ähnliche Erhebungen ver¬<lb/>
anstaltet. Italien ist trotz seiner großen Agrarenquete der siebziger Jahre zu keiner brauchbaren<lb/>
Betriebsstatistik gelangt. Spanien und Portugal haben nichts dergleichen, Osteuropa nichts<lb/>
brauchbares.</note><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0157] Bauerngüter und Großbetriebe in der Landwirtschaft lichen, ganz gewaltig zurückstehen. Das bedeutet, daß im großen und ganzen das landwirtschaftliche Gewerbe nur ausnahmsweise von Leuten mit höherer Bildung und höhern Lebensansprüchen betrieben, und das platte Land nur sehr spärlich von solchen bewohnt wird. Das soll um Gottes willen keine Mi߬ achtung der Bauern bedeuten. Sie sind heute in der Mode, und Worbswede ist doch auch viel schöner als Berlin, und die schmeisset hat mehr Erdgeruch als Wiesbaden. Der Politiker, auch der Wirtschafts- und Sozialpolitiker, wird aber doch nicht ganz übersehen dürfen, daß das bäuerliche Gepräge unsers landwirtschaftlichen Gewerbes gewisse Eigentümlichkeiten der politischen, wirt¬ schaftlichen und sozialen Urteilsfähigkeit im Gefolge haben könnte, die für eine verständige Verteilung des Einflusses im Staat und im Reich unter Umständen nicht ganz ohne Interesse wären. Freilich wird es immer darauf ankommen, wer die Bildung auf dem Lande vertritt und sich auf die Bauerndemagogie versteht: der agrarische Junker und Bauernbündler oder der ultramontane Beichtvater, vielleicht auch einmal der sozialdemokratische Wühler. Wer den „Reichsgedanken" hochhält, der darf auch einmal daran denken. 2 Wie diese Verhältnisse im Auslande liegen, darüber mögen folgende kurze Mitteilungen einigen Aufschluß geben, wenn auch das Zahlenwerk unter sich und mit dem deutschen nicht streng vergleichbar ist.*) In Frankreich haben sich bei der Agrarenauete von 1892 für die, übrigens nach der Gesamtfläche begrenzten, Größenklassen folgende Zahlen ergeben: Zahl Gesamtfläche absolutin Prozentabsolut d»in Prozent Ires xotitos oulwros (unter 1 da)223540539,2013272532,69 ?stiess vulwrss (1—10 Im) . .261755745,901124475022,69 Uo^ounss vvltnrss (10—40 da) .71111812,471431341728,99 6rsMs8 eulturss (über 4V da)1386712,4322493 39345,55 zusammen....... 57027525702752100,004» 378 813100,00 Mit den deutschen sind diese Zahlen nicht vergleichbar, schon weil den Größenklassen die Gesamtfläche zu Grunde liegt. Sie lassen aber erkennen, daß auch in Frankreich von einem Übermaß der Zwergwirtschaft gegenüber der Vauernwirtschaft uicht wohl die Rede sein kann- Betriebe mit mehr als hundert Hektar Gesamtfläche find auch in Frankreich über 30000 gezählt worden (0,51 Prozent aller Betriebe), während in Deutschland Betriebe mit hundert *) Österreich will erst eine amtliche Betriebsstatistik herstellen, Ungarn hat dies 1896 gethan, aber die Ergebnisse noch nicht veröffentlicht. In der Schweiz hat der Kanton Zürich 1886 und 1806 eine ausgenommen, auch Bern und Aargau haben ähnliche Erhebungen ver¬ anstaltet. Italien ist trotz seiner großen Agrarenquete der siebziger Jahre zu keiner brauchbaren Betriebsstatistik gelangt. Spanien und Portugal haben nichts dergleichen, Osteuropa nichts brauchbares.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/157
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/157>, abgerufen am 29.04.2024.