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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Die einheitliche Regelung des Notariats durch die Reichsgesetzgebung

schwindet alles vor der einen großen Idee des Vaterlandes. Nicht jedem Ge¬
schlechte ist es beschieden, solchen Segen an sich zu erfahren; wer ihn aber er¬
fahren hat, der fühlt etwas in sich, was ihn von der jünger" Generation
unterscheidet, und der sieht mit Geringschätzung auf alle Arten von Kleinlichkeit
und Sondertum herab, denn er versteht sie nicht mehr.




Die einheitliche Regelung des Notariats
durch die Reichsgesetzgebung
Lügen Josef von

as preußische Abgeordnetenhaus hat bei der Beratung des
Notariatsgesetzes am 15. Juli 1890 folgende Resolution an¬
genommen: Die Staatsregierung möge dahin wirken, daß das
Notariatswesen einheitlich für das ganze Reich geregelt werde.
Für eine ähnliche Resolution hat sich im Dezember 1897 die
Reichstagskommission zur Beratung des Gesetzes über die Angelegenheiten der
freiwilligen Gerichtsbarkeit und demnächst der Reichstag selbst erklärt. Sollte
die Reichsgesetzgebung dieser Anregung folgen, so wird sie vor eine überaus
schwierige Aufgabe gestellt; denn auf keinem Gebiet der Rechtspflege besteht
seit etwa einem Jahrhundert eine derartige Buntscheckigkeit, wie auf dem des
Notariats, nicht bloß zwischen den einzelnen Bundesstaaten, sondern zuweilen
sogar innerhalb desselben Staates. In einigen Staaten (so in Oldenburg, dem
rechtsrheinischen Hessen und in einzelnen thüringischen Staaten) giebt es über¬
haupt keine Notare; die in andern Staaten bestehende Verschiedenheit hängt
mit der Regelung der freiwilligen Gerichtsbarkeit in diesen Staaten zusammen.

Es sind hier zwei große Gruppen zu unterscheiden. In den altpreußischen
Provinzen und den meisten norddeutschen Staaten ist von jeher die freiwillige
Gerichtsbarkeit -- das Vvrmnndschafts-, Grundbuch-, Register-, Nachlaß- und
Beurkundungswesen -- von den Gerichten ausgeübt worden. Neben den Ge¬
richten giebt es (in Preußen seit dem Ende des vorigen Jahrhunderts) auch
Notare; ihre Amtsobliegeuheit besteht jedoch lediglich in der Beurkundung von
rechtsgeschäftlichen Erklärungen und rechtserheblichen Vorgängen. Das Publikum
hat es hierbei (abgesehen von gewissen, den Gerichten ausschließlich vorbehaltnen
Beurkundungen) in seiner Wahl, das Gericht oder den Notar anzugehen.
Demzufolge besteht und bestand in den gedachten Rechtsgebieten das Amt des


Die einheitliche Regelung des Notariats durch die Reichsgesetzgebung

schwindet alles vor der einen großen Idee des Vaterlandes. Nicht jedem Ge¬
schlechte ist es beschieden, solchen Segen an sich zu erfahren; wer ihn aber er¬
fahren hat, der fühlt etwas in sich, was ihn von der jünger» Generation
unterscheidet, und der sieht mit Geringschätzung auf alle Arten von Kleinlichkeit
und Sondertum herab, denn er versteht sie nicht mehr.




Die einheitliche Regelung des Notariats
durch die Reichsgesetzgebung
Lügen Josef von

as preußische Abgeordnetenhaus hat bei der Beratung des
Notariatsgesetzes am 15. Juli 1890 folgende Resolution an¬
genommen: Die Staatsregierung möge dahin wirken, daß das
Notariatswesen einheitlich für das ganze Reich geregelt werde.
Für eine ähnliche Resolution hat sich im Dezember 1897 die
Reichstagskommission zur Beratung des Gesetzes über die Angelegenheiten der
freiwilligen Gerichtsbarkeit und demnächst der Reichstag selbst erklärt. Sollte
die Reichsgesetzgebung dieser Anregung folgen, so wird sie vor eine überaus
schwierige Aufgabe gestellt; denn auf keinem Gebiet der Rechtspflege besteht
seit etwa einem Jahrhundert eine derartige Buntscheckigkeit, wie auf dem des
Notariats, nicht bloß zwischen den einzelnen Bundesstaaten, sondern zuweilen
sogar innerhalb desselben Staates. In einigen Staaten (so in Oldenburg, dem
rechtsrheinischen Hessen und in einzelnen thüringischen Staaten) giebt es über¬
haupt keine Notare; die in andern Staaten bestehende Verschiedenheit hängt
mit der Regelung der freiwilligen Gerichtsbarkeit in diesen Staaten zusammen.

Es sind hier zwei große Gruppen zu unterscheiden. In den altpreußischen
Provinzen und den meisten norddeutschen Staaten ist von jeher die freiwillige
Gerichtsbarkeit — das Vvrmnndschafts-, Grundbuch-, Register-, Nachlaß- und
Beurkundungswesen — von den Gerichten ausgeübt worden. Neben den Ge¬
richten giebt es (in Preußen seit dem Ende des vorigen Jahrhunderts) auch
Notare; ihre Amtsobliegeuheit besteht jedoch lediglich in der Beurkundung von
rechtsgeschäftlichen Erklärungen und rechtserheblichen Vorgängen. Das Publikum
hat es hierbei (abgesehen von gewissen, den Gerichten ausschließlich vorbehaltnen
Beurkundungen) in seiner Wahl, das Gericht oder den Notar anzugehen.
Demzufolge besteht und bestand in den gedachten Rechtsgebieten das Amt des


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[0214] Die einheitliche Regelung des Notariats durch die Reichsgesetzgebung schwindet alles vor der einen großen Idee des Vaterlandes. Nicht jedem Ge¬ schlechte ist es beschieden, solchen Segen an sich zu erfahren; wer ihn aber er¬ fahren hat, der fühlt etwas in sich, was ihn von der jünger» Generation unterscheidet, und der sieht mit Geringschätzung auf alle Arten von Kleinlichkeit und Sondertum herab, denn er versteht sie nicht mehr. Die einheitliche Regelung des Notariats durch die Reichsgesetzgebung Lügen Josef von as preußische Abgeordnetenhaus hat bei der Beratung des Notariatsgesetzes am 15. Juli 1890 folgende Resolution an¬ genommen: Die Staatsregierung möge dahin wirken, daß das Notariatswesen einheitlich für das ganze Reich geregelt werde. Für eine ähnliche Resolution hat sich im Dezember 1897 die Reichstagskommission zur Beratung des Gesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit und demnächst der Reichstag selbst erklärt. Sollte die Reichsgesetzgebung dieser Anregung folgen, so wird sie vor eine überaus schwierige Aufgabe gestellt; denn auf keinem Gebiet der Rechtspflege besteht seit etwa einem Jahrhundert eine derartige Buntscheckigkeit, wie auf dem des Notariats, nicht bloß zwischen den einzelnen Bundesstaaten, sondern zuweilen sogar innerhalb desselben Staates. In einigen Staaten (so in Oldenburg, dem rechtsrheinischen Hessen und in einzelnen thüringischen Staaten) giebt es über¬ haupt keine Notare; die in andern Staaten bestehende Verschiedenheit hängt mit der Regelung der freiwilligen Gerichtsbarkeit in diesen Staaten zusammen. Es sind hier zwei große Gruppen zu unterscheiden. In den altpreußischen Provinzen und den meisten norddeutschen Staaten ist von jeher die freiwillige Gerichtsbarkeit — das Vvrmnndschafts-, Grundbuch-, Register-, Nachlaß- und Beurkundungswesen — von den Gerichten ausgeübt worden. Neben den Ge¬ richten giebt es (in Preußen seit dem Ende des vorigen Jahrhunderts) auch Notare; ihre Amtsobliegeuheit besteht jedoch lediglich in der Beurkundung von rechtsgeschäftlichen Erklärungen und rechtserheblichen Vorgängen. Das Publikum hat es hierbei (abgesehen von gewissen, den Gerichten ausschließlich vorbehaltnen Beurkundungen) in seiner Wahl, das Gericht oder den Notar anzugehen. Demzufolge besteht und bestand in den gedachten Rechtsgebieten das Amt des

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/214>, abgerufen am 29.04.2024.